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Schauspiel: Eher unsanft wachgeküsst: Der verirrte Liebhaber Kalil (Jan Beller) verfällt spontan dem Charme der tief schlafenden Franziska (Sarah Schulze-Tenberge). Die ist der Meinung, eigentlich Haremsdame bei einem Scheich zu sein und will beim Träumen nicht gestört werden.

Eher unsanft wachgeküsst: Der verirrte Liebhaber Kalil (Jan Beller) verfällt spontan dem Charme der tief schlafenden Franziska (Sarah Schulze-Tenberge). Die ist der Meinung, eigentlich Haremsdame bei einem Scheich zu sein und will beim Träumen nicht gestört werden.

(Foto: Jochen Klenk)

Marlene Anna Schäfer zaubert Roland Schimmelpfennigs Märchen "Die arabische Nacht" als poetischen, luftigen Abend auf die Bühne des Stadttheaters Ingolstadt

Von Christiane Lutz

Dem winzigen Mann in der Flasche ist nicht mehr zu helfen, dem schlummernden Wüstenmädchen auch nicht. Hoffnungslos auch das Schicksal des bemitleidenswerten Kalil, der auf dem Weg zu seiner Geliebte Fatima ständig von lüsternen Frauen zum Koitus genötigt wird. Und dabei fing alles damit an, dass irgendwo im siebten Stock des Hochhauses eine Wasserleitung kaputt war, ausgerechnet im Sommer. Soweit das Setting in Roland Schimmelpfennigs "Die Arabische Nacht".

Es gibt keinerlei zwingenden Anlass, ausgerechnet jetzt "Die Arabische Nacht" von Roland Schimmelpfenning auf die Bühne zu bringen, abgesehen davon, dass die Beschäftigung mit Schimmelpfennig nie eine schlechte Idee ist. Nichts an diesem poetischen, leicht rätselhaften Text ist drängend oder gar politisch. Das Stadttheater Ingolstadt wollte trotzdem eine "Arabische Nacht" haben, vermutlich wegen eben jener Poesie - und bekommt auch eine, feinsinnig inszeniert von Marlene Anna Schäfer.

"Ich höre Wasser. Es ist keines da, aber ich kann es hören" - dieser erste Satz, gesprochen von dem Hausmeister Lomeier (Richard Putzinger) fasst das Stück schon recht hübsch zusammen. Sofort ist klar: Man muss sich hier auf das Ungezeigte einlassen. Die Geschichte, die sich um fünf Hochhausbewohner dreht, ist höchst zauberhaft: Franziska (Sarah Schulze-Tenberge) fällt jede Nacht in einen Dornröschenschlaf und träumt sich in einen Harem, in dem sie angeblich lebt, seit sie als Kind entführt wurde. Vom Zauber der Schlafenden angezogen, machen sich der Hausmeister Lomeier, der Gegenüber-Nachbar Karpati (Matthias Zajgier) und der genötigte Schwerenöter Kalil (Jan Beller) auf, einen Kuss von ihr abzustauben. Nur logisch, dass der Hausmeister sich selbst und das fehlende Wasser plötzlich in einer Wüste wieder findet, Karpati auf Minimalgröße in eine Cognacflasche schrumpft und Fatima (Sarah Horak), Kalils Freundin, diesen mit dem Messer erledigt, als sie ihn mit Franziska erwischt.

Nach seiner Uraufführung 2001 wurde das Stück als Kunstwerk gelobt und eifrig nachinszeniert, aber, glaubt man Kritiken, oft nicht sehr kunstvoll. Schimmelpfennig webt Monologe der fünf Figuren zu einem poetischen Erzählteppich, auf dem einige Inszenierungen berauscht hinfort ins Morgenland schwebten, während andere zu lesungsartigen Abenden erstarrten. Es geht um Eskapismus, sicherlich, aber auch um Alltag. Vielleicht um das Magische im Alltäglichen. So verliebt sich die Schlafende am Ende in den wenig prinzenhaften Hausmeister und der Flaschengeist, nun ja, zerschellt samt Flasche.

Die Regisseurin Marlene Anna Schäfer fürchtet sich nicht vor der rätselhaften Magie des Stücks, gibt sich ihr aber auch nicht vollständig hin. Sie schafft kein Kitschmärchen, keine Groteske und keine Lesung, sondern ein poetisches, wohltemperiertes Spiel. Sie lässt den Worten Raum zum Atmen, wie auch ihre Bühne ein luftiger, von Plastikplanen umschwebter Ort ist, der Drinnen und Draußen zugleich sein kann, Wüste und Cognacflasche. Die Ausstatter Lorena Diaz Stephens und Jan Hendrik Neidert kitzeln Hübsches aus dem Theaterraum, lassen Wasser aus einem Rohrgerüst von der Decke tropfen, senken es herab, senken den Bühnenboden komplett ins Untergeschoss. An einer Stelle zieht der Vollmond vorbei. Und immer wieder hört man Wasser plätschern (Klanginstallation: Olli Holland). Es ist da und ist doch nicht da.

Die Schauspieler berichten nach vorn, ins Publikum hinein, von ihren persönlichen Strapazen dieser Nacht und sind doch von der Regie fein aufeinander abgestimmt. Sie berühren sich und berühren sich doch nicht. So kann sich Schimmelpfennigs unaufdringlicher Humor leicht entspinnen, ohne dass die Rätselhaftigkeit des Stücks verloren ginge. Ein Abend, so angenehm wie ein Teppichflug ohne Turbulenzen.

Die Arabische Nacht, Samstag, 11. Mai und weitere Termine, Stadttheater Ingolstadt

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