Mutmaßliche Vergewaltigung:"Wenn es nur einer Frau hilft, ist es das wert"

Lesezeit: 3 min

  • Nina F. soll vor sechs Jahren in München mit K.-o.-Tropfen betäubt und vergewaltigt worden sein.
  • Obwohl Jahre später eine DNA-Spur zu einem Tatverdächtigen führte, stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein und erhob keine Anklage.
  • Nina F. kämpft nun mit einer juristischen Beschwerde und mit einer Petition für ein Gerichtsverfahren.

Von Elisa Britzelmeier

Es könnte sich wie ein Erfolg anfühlen. Nina F. hat gekämpft für ihren Fall, mit einer juristischen Beschwerde und mit einer Petition. Dafür, dass der Mann vor Gericht kommt, der sie nach einem Clubbesuch mit K.-o.-Tropfen betäubt und vergewaltigt haben soll. Sechs Jahre ist die mutmaßliche Tat her, und obwohl Jahre später eine DNA-Spur zu dem Tatverdächtigen führte, stellte die Staatsanwaltschaft München I die Ermittlungen ein und erhob keine Anklage. Nun aber reagiert die Justiz auf Nina F.s Beschwerde: Man wolle "ergänzenden Gesichtspunkten nachgehen", sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft bei einer Pressekonferenz.

Aber für Nina F. fühlt es sich nicht an wie ein Erfolg. "Happy bin ich nicht", sagt sie am Telefon, sie lebt derzeit im Ausland und arbeitet von Portugal aus als Übersetzerin. "Zum einen: Wieso bin ich die Allerletzte, die davon erfährt?" Die Mitteilung der Staatsanwaltschaft hat sie von Medienvertretern mitbekommen. Und zum anderen: Sie habe wenig Hoffnung, dass die Ergebnisse anders ausfallen und es doch noch zu einem Prozess kommt. Ähnlich hat das auch die Sprecherin der Staatsanwaltschaft formuliert, ergänzt um den Hinweis, dass die neuen Ermittlungen nicht bedeuteten, dass man etwas versäumt oder übersehen habe.

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Fast 100 000 Menschen haben die Petition unterschrieben, mit der Nina F. auf ihren Fall aufmerksam machte. Sie hat viel Unterstützung bekommen, sagt sie, auch wenn ihr natürlich klar ist, dass die Petition juristisch keine Bedeutung hat. Sondern allein die Beschwerde, die ihr Anwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft eingereicht hat. Mit den juristischen Abläufen sind längst nicht alle vertraut. Immer wieder hätten Unterstützer sie gefragt, wie viele Unterschriften sie denn noch bräuchte, damit ein Verfahren eröffnet wird. "Aber das ist ja kein Volksbegehren", sagt Nina F. und lacht.

Auch bei der Übergabe der Petition an die Generalstaatsanwaltschaft hat sie gelacht und Witze gemacht. Sie hat unzählige Interviews gegeben an diesem Tag und danach, fürs Fernsehen, fürs Radio, für Zeitungen, sie war überrascht und überwältigt von dem Interesse an ihrem Fall. Aber auch wenn die 36-jährige Nina F. souverän und ruhig aufgetreten ist bei der Pressekonferenz zur Übergabe, sagt sie: "Ich hab' schon auch meine schwachen Momente." Sie erzählt von Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Angstzuständen. Die Petition half ihr, aber die öffentliche Aufmerksamkeit führte auch zu einem gewissen Kontrollverlust. "Es war irgendwann ein Selbstläufer, man hat dann nicht mehr in der Hand, von wem und wie genau und wo etwas aufgegriffen wird." An dem Tag, als ihr Gesicht auf Seite 1 einer Boulevardzeitung in den Zeitungskästen der Stadt hing, das Schlagwort "vergewaltigt" wie ein Stempel über ihrem Kopf, war Nina F. froh, nicht in München zu sein.

Die Opferrolle ist nichts für sie, das hat sie früh beschlossen

Dass eine Frau nach einer Vergewaltigung mit ihrem Namen und ihrem Gesicht an die Öffentlichkeit geht, kommt selten vor. Noch dazu sei sie früher nicht der Typ gewesen, der gern im Mittelpunkt steht, sagt Nina F. Dass sie heute ihre Geschichte wieder und wieder erzählen kann, hat sie sich erarbeitet. Immer wieder wird sie von Bekannten angesprochen, und auch wenn sie überwiegend positiven Zuspruch bekommt, erfährt sie online auch Häme. Sie war dann doch neugierig und las die Facebook-Kommentare unter dem Petitions-Aufruf und unter Artikeln über sie. Unter anderem stand da: Sie sei doch selbst auch betrunken gewesen. Was sie darauf antwortet? "Na und, wenn du ein Auto klaust, an dem der Schlüssel steckt, ist es trotzdem Diebstahl."

Die Opferrolle ist nichts für sie, das hat sie früh beschlossen. Überhaupt, dieses Wort. "Jeder Mensch ist auf verschiedenen Ebenen und Zeitpunkten in seinem Leben irgendwann mal Opfer", sagt Nina F. Wenn schon ein Wort, dann lieber "Betroffene". Käme es in einem Prozess zum Freispruch des Beschuldigten, wäre das auch in Ordnung, sagt sie - im Zweifel für den Angeklagten. Hauptsache, ein Richter entscheidet. "Ich bin eine Bürgerin und möchte unser Rechtssystem in Anspruch nehmen, und ich finde, dass mir das zusteht."

Bereut hat sie es trotz allem nicht, an die Öffentlichkeit gegangen zu sein. Regelmäßig kämen Frauen mit ähnlichen Geschichten auf sie zu, und sie merke, dass sie helfen kann. Viele haben sich bei ihr bedankt, ihre Stärke und ihren Mut bewundert. Mit dabei ist immer wieder die Hoffnung, dass sich über ihren Fall hinaus etwas am gesellschaftlichen Bewusstsein ändert. "Zwei Bekannte bedankten sich im Namen ihrer kleinen Töchter, das hat mich zu Tränen gerührt", sagt F., "das Ganze ist längst größer als mein Fall".

Es geht um Grundsatzfragen: Wie wird nach Sexualdelikten mit Betroffenen umgegangen? Und für wie normal hält man es, dass Frauen vergewaltigt werden? Wenn inzwischen K.-o.-Tropfen-Schnelltests als Armbänder angeboten werden, dann mag das einzelne Frauen vielleicht schützen - aber es ist der falsche Ansatz, findet Nina F., weil es suggeriere, dass Frauen in einer Bringschuld seien.

In den vergangenen Wochen ist es für Nina F. immer wichtiger geworden, dass sie nicht nur für sich selbst kämpft, sondern auch für andere. Rückgängig machen kann sowieso niemand, was ihr passiert ist - also versucht sie, wenigstens ein wenig Positives aus ihrer Erfahrung zu ziehen, sagt sie. "Wenn es nur einer Frau hilft, ist es das wert."

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