Stadtgestaltung:München ist schöner geworden

Im Streit über moderne Architektur wird oft vergessen, dass zahlreiche Plätze und Ecken der Stadt heute weit einladender sind als früher. Trotzdem ist nicht alles perfekt.

Von Dominik Hutter

Vor dem "Lilli P." verteilt ein Kellner gerade Kissen auf die leeren Stühle. Es ist noch etwas kühl, im Inneren des Cafés sitzen mehrere Leute beim Frühstück. Die Atmosphäre: stylisch-modern. Wie das ganze Haus eigentlich, an dessen dunkler Glasfassade goldene Fensterrahmen in der Sonne schimmern. Büromenschen machen ihre erste Zigarettenpause, eine Frau hat es sich lesend auf ihrem Balkon bequem gemacht. Von der Donnersbergerbrücke her strömen Passanten in das noch immer sehr neu wirkende Ensemble, ein langer Tross Radfahrer zieht über die Erika-Mann-Straße. Ein ganz normaler Vormittag in einem der meistgescholtenen Neuzugänge unter den Münchner Stadtquartieren: Willkommen im Arnulfpark.

Architekturkritiker tadeln das seit 2004 errichtete Stadtviertel gerne als gestalterisches Notstandsgebiet, als Ansammlung langweiliger Schuhschachteln ohne städtebauliche Vision. Und tatsächlich steht direkt gegenüber dem "Lilli P." ein Wohnblock, dessen Fassade auch in den Sechzigerjahren entstanden sein könnte. Auf dem Dach eines anderen Wohnriegels prangen alberne Bommel, die ein wenig an barocke Gartenarchitektur erinnern.

Aber es gibt eben auch markante Bauten wie den schwarzen Wohnblock am Westende des großen Platzes, dessen Fassade mit ihren Balkonen ein bisschen aussieht wie ein Designer-Regal - was durchaus elegant wirkt. Es gibt die unterschiedlich hohen Bürohäuser an der Bahnschneise, die dem Schienenstrang Richtung Hauptbahnhof einen großstädtischen Rahmen geben. Oder die breiten Bögen in dem modernen Ziegelbau, in dem Google seine Büros hat: Sie erinnern irgendwie an ein ligurisches Eisenbahnviadukt.

Aber viel wichtiger als die Meinung in der Fachwelt ist ja eigentlich, ob die Münchner ihr neues Viertel gut annehmen. Und das tun sie, es gibt offenbar nicht viel zu klagen. Die kleinen Gärten sind liebevoll möbliert, alles wirkt adrett, das Viertel lebt. Es zieht sogar Besucher aus der Nachbarschaft an wie Mikael Rougelot, der mit seinen beiden kleinen Kindern einen Spielplatz im Arnulfpark besucht. Regelmäßig, wie er sagt, den Kindern gefalle es hier. Und Rougelot selbst auch. "Es ist alles modern", man könne sich im Arnulfpark wohlfühlen. Was natürlich noch deutlicher wird, wenn man sich vor Augen ruft, wie es hier früher einmal ausgesehen hat. Als die Brache des stillgelegten Containerbahnhofs als Busparkplatz diente. Richtig Leben gab es hier nur dann, wenn auf der weiten Fläche Flohmarkt war.

31 000 Quadratmeter

Grünflächen sind durch die 2015 eröffneten Straßentunnel im Münchner Südwesten entstanden. Sie befinden sich nicht nur auf dem Luise-Kiesselbach-Platz selbst, sondern auch über dem benachbarten Heckenstallertunnel, auf dessen Decke ein autofreier Park entstanden ist. Die früher stellenweise sechsspurige Garmischer Straße wurde auf eine Spur je Richtung verschmälert, in der Fahrbahnmitte verläuft nun eine grüne Promenade. Die mehr als 100 000 Autos, die an dieser Stelle jeden Tag vorbeifuhren, rollen nun in einem alles in allem gut 2,5 Kilometer langen Tunnelsystem.

Überhaupt wird bei den Debatten über neue Stadtviertel oft der Vergleich vergessen, wie es denn an dieser Stelle früher ausgesehen hat. Welche Verbesserung es gegeben hat, auch wenn man mit dem Ergebnis nicht hundertprozentig zufrieden ist. Sechs Kilometer nordwestlich des Arnulfparks befand sich noch vor wenigen Jahren ein mit Stacheldraht umzäuntes Niemandsland: die Funkkaserne. Nun marschiert man dort durch ein begehrtes Wohnviertel, den Domagkpark mit seiner großen zentralen Grünfläche.

Auch hier, wie so oft in München, könnten die Häuser ein paar Etagen höher sein. Aber es gibt die unterschiedlichsten Haustypen, gemeinschaftliche Grillplätze und Gemüsebeete, gepflegte Gärten hinter den bislang noch sehr niedrigen Hecken. Kinder bevölkern die Spielplätze, Erwachsene flanieren über die nagelneuen Wege. Auch das ist München. Die Stadt besteht eben nicht nur aus Altbaustraßen in Schwabing, Haidhausen und dem Glockenbachviertel, sondern auch aus weniger bekannten Neubauquartieren mit Cafés, Läden und Spielflächen. Die fast immer an Orten sind, die vorher viel hässlicher waren.

Aber auch im Bestand lässt sich einiges verbessern, und vor lauter Nörgelei über die angeblich so katastrophalen Neubau-Architektur vergessen viele Münchner, dass ihre Stadt in den vergangenen Jahren an diversen Stellen schöner geworden ist. Beispiel Moosach: Auf dem zugigen Platz vor dem S-Bahnhof kam man sich früher stets ein wenig verloren vor. Kein Ort zum Bleiben war das: ein einsamer Altbau, viele Riegel aus den Sechzigerjahren und noch mehr Brachland. Inzwischen ist an der Bunzlauer Straße ein veritables Stadtteilzentrum entstanden. Mit Läden, Restaurants, Hotels und einem kleinen Einkaufszentrum.

Und apropos verschönerter Bahnhofsvorplatz: Noch viel extremer hat sich Pasing verändert, seitdem die Stadt den an sich widersinnig klingenden Plan verwirklicht hat, mitten durch eine Großstadt eine Umgehungsstraße zu bauen. Seitdem rollt der Verkehr, der einst das Pasinger Zentrum zu einer ungemütlichen Feinstaubwüste machte, auf neuer Route direkt an den Bahngleisen entlang. Die Pasinger Mariensäule befindet sich nicht mehr auf einer umtosten Verkehrsinsel, sondern auf einem richtigen Platz. Mit Sitzgelegenheit und Pflanztrögen. Das Ganze war obendrein die Initialzündung für eine großräumige Verschönerung des Pasinger Zentrums. Vor dem Bahnhof kann man nun gemütlich unter Sonnenschirmen im Freien sitzen, und in der einst wie eine riesige Bushaltestelle wirkenden Gleichmannstraße geben die Fußgänger den Ton an. Es ist längst nicht alles perfekt. Aber doch deutlich besser als vorher.

Das Auto muss zurückstecken

Doktert die Stadt an bereits bestehenden Straßenzügen herum, folgt die Umgestaltung immer dem gleichen Rezept: Der städtebauliche Verschandeler Nummer eins, das Auto, muss zurückstecken. Nahe des Stiglmaierplatzes, wo die Schleißheimer im spitzen Winkel auf die Dachauer Straße trifft, befand sich einst ein komplett zugeparktes dreieckiges Niemandsland. Heute stehen Bänke auf dem Rudi-Hierl-Platz, es gibt einen öffentlichen Bücherschrank und Flächen für Flaneure. Eine Mini-Aufwertung, zugegeben. Aber eine wirksame.

Spektakulärer ist die Verwandlung des St.-Jakobs-Platzes in der Altstadt, der noch zur Jahrtausendwende wie ein typisches Nachkriegs-Provisorium aussah: mit Baulücken, holprigem Asphalt und vielen Autos. Inzwischen kann man sich mit Blick auf die spektakuläre Synagoge am Brunnen ausruhen, Kaffee trinken oder im Freien etwas essen. Da kommt auch das historische Zeughaus aus dem Jahr 1500, in dem das Stadtmuseum residiert, wieder richtig zur Geltung.

Oder der Harras: Sendlings wichtigster Platz war eigentlich kein solcher, sondern eine überdimensionierte Straßenkreuzung. Bis Bautrupps anrückten und das Straßennetz neu sortierten. Seitdem kann man auf einer weiten Fläche auf langen Bänken fläzen und die Jugendstilfassaden bewundern. Exakt an dieser Stelle verliefen früher vier Fahrspuren.

Keiner dieser in den vergangenen Jahren aufgemotzten Plätze musste aber jemals so viel Verkehr ertragen wie die Riesenfläche im Münchner Südwesten, die nach der Frauenrechtlerin Luise Kiesselbach benannt ist. Auch nach der Eröffnung des komplexen Tunnelbauwerks rollen Autos auf oberirdischen Fahrspuren an dem von zwei Türmen gekrönten Altenheim St. Josef vorbei. Das ist aber kein Vergleich zu früher. Der "neue" Luise-Kiesselbach-Platz wirkt ein wenig unfertig, die Bäume am Straßenrand sind winzig, die Grünfläche folgt eher dem Typus Fußballwiese als dem des gestalteten Stadtparks. Gut so, findet die Dame, die gerade ihre Hunde ausführt und den Luise-Kiesselbach-Platz einfach "cool" findet. München verändert sich. Manchmal sogar zum Positiven.

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