Venedig:Was Sie auf der Biennale nicht verpassen sollten

Kritische Oper, Anti-Rassismus - und ein Schiff, das ein Grab ist. Surrealismus trifft bitteren Realismus auf der Kunst-Biennale. Ein Best-of aus Venedig.

Von Catrin Lorch und Kia Vahland

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Litauischer Pavillon

Art Biennale Venedig 2019

Quelle: Lena Klimkeit/dpa

Das Meer ist das Motiv dieser Biennale - es ist, als müsse das Publikum sich angesichts steigender Meeresspiegel, von Flüchtlingsbooten und Vermüllung der Ozeane noch einmal dieses Sehnsuchtsortes versichern. Und nach der Flut der dramatischen Bilder und Installationen hat dann der sanfteste unter den Beiträgen gewonnen: "Sun & Sea (Marina)" im litauischen Pavillon. Da das Land kein Haus an der Lagune unterhält, hat die Kuratorin Lucia Pietrouisti ein altes Lagerhaus im Militärhafen für die Regisseurin Rugilé Barzdziukaite, die Drehbuchautorin Vaiva Grainyté und die Komponistin Lina Lapelyté hergerichtet: Sand aufgeschüttet, Badelaken ausgelegt, Heizstrahler und UV-Lampen installiert. Jetzt spielen Statisten und Sänger dort Strand, als Oper, während der Badegäste ihre Solos singen - sie handeln von störenden Müll, Hundehaufen, ausbleichenden Korallenriffen. Der Strand ist eine unbehagliche Vision von menschlicher Ignoranz, aber auch eine sexy unterhaltsame.

Catrin Lorch

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Deutscher Pavillon

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Quelle: Antonio Calanni/AP

Bekannt wurde Natascha Süder Happelmann, die mit bürgerlichem Namen Natascha Sadr Haghighian heißt, mit einem steinartigen Gebilde, das sie bei ihren Auftritten und in Videos auf dem Kopf trägt. Im deutschen Pavillon aber ist die Kunstfigur nicht zu sehen. Den zur Nazizeit umgebauten Kunstort teilt nun eine hohe Wand in zwei Teile, auf der einen Seite pfeift Trillerpfeifenmusik aus Lautsprechern, auf der anderen liegen Betonklötze herum. Ein Staudamm soll die Mauer sein, zugleich handelt Süder Hapelmanns Stück von Flucht, vom Ausgeschlossensein und gemeinsamer Aktion. Die Monumentalität des deutschen Pavillons macht sich die Bremer Kunstprofessorin geschickt zunutze, fremdelt aber auch ein wenig mit dem Bau: Zentrale Teile des Werkes, drei Road Movies zu Fluchtorten in Deutschland und Italien, sind nur auf der Website zu sehen.

Kia Vahland

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Der belgische Pavillon (Thys/Gruyters)

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Quelle: Antonio Calanni/AP

Lustig sehen sie aus, die Damen und Herren mit den rosigen Gesichtern, die da fleissig am Arbeiten sind. Ihre Wangen glühen rosig, die Kostüme sind folkloristisch bunt und überall surrt und schnurrt es. Harald Thys und Jos de Gruyter lassen im belgischen Pavillon ein Völkchen von lebensgroßen, mechanischen Puppen auftreten, echte Mitteleuropäer, die kochen und malen, musizieren und das Spinnrad treten. Die hölzerne Bühne, auf der sie installiert sind, steht in gehörigem Abstand zu den Seitenkabinetten, in denen all die Anderen - hinter kräftigen Gittern gesichert - stehen und zuschauen müssen: Die Armen, die Kranken, Flüchtlinge und Verzweifelte. Das muntere Stück namens "Mondo Condo", das hier gegeben wird, ist grell und überzeichnet wie eine Karikatur, einer der fiesesten und fröhlichsten Kommentare zum Kontinent Europa.

Catrin Lorch

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Der ghanaische Pavillon (Freedom)

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Quelle: Tiziana Fabi/AFP

Der von dem Architekten David Adjaye aus ockerbraunem Lehm in die Arsenale eingepasste Pavillon war der Favorit vieler Besucher. Der Titel "Freedom" erinnert daran, dass das westafrikanische Land das erste war, das die Abhängigkeit einer Kolonie überwand. In den verschachtelten Sälen ist eine vielschichtige Ausstellung eingerichtet worden. Unter den Fotografen, Filmemachern und Malern sind internationale Stars aus Ghana wie El Anatsui, John Akomfrah und Lynette Yiadom-Boakye, sie stellen ein nicht von Armut oder Naturkatastrophen bestimmtes Bild vom afrikanischen Kontinent aus, sondern einfach große Kunst.

Catrin Lorch

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Barca nostra von Christoph Büchel

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Quelle: Antonio Calanni/AP

Es ist das Werk, das von diesem Kunstsommer in Erinnerung bleiben wird: Die "Barca Nostra", die der Schweizer Künstler Christoph Büchel in die Arsenale hat schleppen lassen, ist das Wrack, bei dessen Havarie im April 2015 mehr als 800 Flüchtlinge aus Afrika in Sichtweite der italienischen Küste starben. Mit diesem Sarg hat Kurator Ralph Rugoff seiner Ausstellung "May You Live In Interesting Times" ein Werk untergeschoben, das - als echter Tatort, als Mordwerkzeug - nicht nur zum Hinsehen in politischer Hinsicht auffordert sondern das Publikum zum Voyeurismus zwingt. Während Maler wie Luc Tuymans oder Gerhard Richter lange zögerten, "den Holocaust zu malen", scheint die Kunst nicht zimperlich, wo es um den Tod von Armen geht, von schwarzen Körpern.

Catrin Lorch

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Alexandra Birckens zersägte Motorräder

Art Biennale Venedig 2019

Quelle: Felix Hörhager/dpa

Ein zersägtes Motorrad der deutschen Künsterlin Alexandra Bircken ist in der Hauptausstellung "May You Live In Interesting Times" zu sehen. Die Motorräder hat die Bildhauerin sauber zerschnitten und verdreht zusammengesteckt. Vor dem Metallschrott kann man die Epoche der Bewegung sanft austuckern lassen, die Ära des ressourcenverschlingenden "Jettens".

Catrin Lorch

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Polnischer Pavillon: Zersägtes Flugzeug (Roman Stanczak)

Kunst Biennale Venedig 2019 58th International Art Exhibition Venezia Giardini Foto Pavillon P

Quelle: imago images/Manfred Segerer

Im polnischen Pavillon hat Roman Stańczak einen Luxusjet, den Familienschlitten der Superreichen, ausgeweidet und auf den Rücken abgelegt, als immobiles Wesen. Ein Haufen aus festgefressenem Stahl, Reifengummi, Kabeln und Kunstleder.

Catrin Lorch

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Gemälde von Henry Taylor und Juli Mehretu

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Quelle: Italo Rondinella/www.italorond

Im Eingang der Weltkunstschau hat schon lange kein Gemälde mehr gehangen - doch diese Biennale steht ganz im Bann der Malerei. Im Zentralpavillon hat Ralph Rugoff große Gemälde von Henry Taylor und Juli Mehretu abwechselnd gehängt, als gälte es, die Wände ganz und gar auszutapezieren mit Leinwand.

Catrin Lorch

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George Condos Double Elvis

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Quelle: Italo Rondinella / www.italorond

In den Arsenale darf der Amerikaner George Condo allein herrschen, wo ein Bild von ihm allein die Eingangs-Rotunde füllt, bis unter die Decke reichend. "Double Elvis" ist ein in silberner Helligkeit fast auftrumpfendes Meisterwerk, das sich allein auf Kunst - nämlich auf Andy Warhols gleichnamigen Siebdruck - beruft, sich selbstvergessen aus der Geschichte der Malerei nährt, daraus, dass Kunst immer auch eine Antwort ist auf Kunst, ihr Nachhall.

Catrin Lorch

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Videos von Arthur Jafa und ...

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Quelle: Tiziana Fabi/AFP

Im Durcheinander der Hauptausstellung sind die Video-Installationen die Höhlen, in denen die Kunst sich ungestört entfalten kann. Doch bleiben Besucher auch deswegen ungewöhnlich lange vor den Projektionen von Arthur Jafa und Kahlil Joseph sitzen, weil sie sich überraschend zeitgenössisch anfühlen, mit den elektronischen Bildern und Botschaften arbeiten, die milliardenfach auf Smartphones gespeichert und verbreitet werden, verlinkt und geliked.

Catrin Lorch

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Video-Installation von Khalil Joseph

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Quelle: Kahlil Joseph, Ryoji Ikeda and Hito Steyerl

Kahlil Joseph hat mit "BLKNWS" einen schwarzen Nachrichtenkanal simuliert, es gibt knackige Beiträge über Black Feminism, glückliche Kindergesichter und drastische Tanzszenen. Arthur Jafas Film "The White Album" (2019) besteht aus Fernsehtrash, Teenager-Bekenntnissen und elegischen Beobachtungen auf dem Dancefloor, die sich zu einem poetischen Essay über Rassismus verdichten. Es ist die aufrichtige, aber auch verzweifelte Suche nach Sinn in der Gegenwart. Die Jury, die ihn mit einem Goldenen Löwen als bester Beitrag in der Ausstellung auszeichnete, lobte aber vor allem, dass er auch "an unsere Kapazität zu lieben" erinnere.

Catrin Lorch

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Tschechischer und Slowakischer Pavillon

Kunst Biennale Venedig 2019 58th International Art Exhibition Venezia Giardini Photo Czech and

Quelle: imago images / Manfred Segerer

Die Biennale ist der Gegenwart verpflichtet. Immer wieder treten hier aber auch Künstler mit langer Geschichte auf, die deshalb heute so überraschend wirken, weil die Biennale und andere Kulturinstitutionen ihre Brillanz zuvor jahrzehntelang ignoriert hatten. So ein Künstler ist der 93-jährige Prager Avantgardist Stanislav Kolíbal, der den tschechischen und slowakischen Pavillon bespielt. Exemplarische Skulpturen und Wandarbeiten seit den Sechzigerjahren drängen sich in den kleinen Raum, der trotzdem luftig wirkt. Denn Kolíbals Werk ist so reduziert, so auf den Punkt, so frei, dass es die Betrachter nie einengt. Eine geviertelte Kugel öffnet sich nach außen, ein schief hängendes Brett mit Faden kündet von Labilität und Leichtigkeit zugleich. Hier wertschätzt einer sein Material, formt es ohne Zwang und Strenge. Kolíbal hatte es, besonders in den Jahren nach dem Prager Frühling, in seinem Land nicht immer leicht. Verbittert hat ihn das nicht, eher noch eigensinniger gemacht.

Kia Vahland

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Brasilianischer Pavillon/Swinguerra

Biennale 2019 - Pavillon Brasilien

Quelle: Biennale 2019

Nein sie tanzen nicht selbst. Sie fotografieren und filmen nur andere beim Tanzen, und das mit sehr klassischen Mitteln. Keine wackelnde Kamera, keine schnellen Schnitte, sondern ruhige, farbstarke Aufnahmen präsentiert das Künstlerpaar Bárbara Wagner und Benjamin de Burca im brasilianischen Pavillon. Die Bühne überlassen sie ihren Protagonisten, jungen Gruppentänzern aus dem Nordosten Brasiliens. Die entwickeln eine Dynamik, die das Publikum im Pavillon bald selbst zum Hüftenschwingen und Klatschen bringt. In ihren selbsterfundenen Choreografien stimmen die Jugendlichen ihre mal zackigen, mal weichen Bewegungen aufeinander ab, formieren sich zu einer gemeinsamen Energie, die nicht wirkungslos bleiben kann. Mit gängigen Klischees kommerzialisierter Tanzmusik, gar Pornochic hat "Swinguira" nichts zu tun. Ganz unterschiedliche Körper treffen hier aufeinander, männliche, weibliche und die dazwischen. Es scheint keine Hierarchie der Geschlechter und der Schönheitsmodelle zu geben, nur Anziehung, Abstoßung, Kraftübertragung.

Kia Vahland

© SZ.de/luch/lala
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