DDR:Flott wie der Germina Speeder

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Archäologie des Alltags: Eine Berliner Ausstellung würdigt "Ostberlin" als "halbe Hauptstadt" - mit Fotografien, Schaufensterpuppen und einem Skateboard.

Von Lothar Müller

Eher klein und etwas verloren wirkt Friedrich der Große auf dem Modell des Reiterstandbildes, das seit November 1980 wieder in Berlin Unter den Linden steht. Vielleicht irritieren ihn die Fotografien der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR, die ihn umgeben. Als der König, nur um wenige Meter versetzt, an seinen alten Standort zurückkehrte, hielten die Regierenden in der DDR ihren Staat für so gefestigt, dass sie daran gingen, das untergegangene Preußen in sein Erbe und das Stadtbild einzubeziehen. Ein Jahrzehnt später gab es die DDR nicht mehr.

Das Ephraim-Palais, in dem das Stadtmuseum Berlin in Kooperation mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam die Ausstellung "Ost-Berlin. Die halbe Hauptstadt" zeigt, wurde in der Regierungszeit Friedrichs des Großen errichtet. Dass es im Nikolai-Viertel, ebenfalls nur leicht versetzt, neu errichtet wurde, verdankt es den 750-Jahr-Feiern, in denen Ostberlin und Westberlin demonstrierten, dass sie etwas gemeinsam hatten, nämlich die Funktion, "Schaufenster" zu sein.

Vor gut vier Jahren zeigte das Stadtmuseum hier die Ausstellung "West:Berlin". Sie verdankte ihren großen Erfolg nicht zuletzt dem Umstand, dass sie an eine Welt erinnerte, deren Sonderstatus unzweifelhaft war. Westberlin stand im Kontrast zu seinem östlichen Gegenüber, aber zugleich, trotz aller beschworenen Bindungen, zur alten Bundesrepublik, und es hatte sich selbst, zumal in der Kultur, stets so inszeniert. Resultiert nicht der Sonderstatus von Ost-Berlin gerade umgekehrt daraus, dass es das politische Machtzentrum der DDR war, repräsentativ für den Staat, der es zu seiner Hauptstadt machte?

Ja, sagt das Kuratorenteam um den Historiker Jürgen Danyel, nun, dreißig Jahre nach 1989, auch Ost-Berlin war etwas Besonderes. In seiner Funktion als Hauptstadt, Zentrum des Machtapparats und Aufmarschgelände ging es nicht auf. Es war eine Stadt mit gut einer Millionen Einwohner, die einzige dieser Größenordnung in der DDR, und es mochten viele darunter sein, die auf eine Karriere im Staatsdienst aus waren, aber es war zugleich, wie jede Metropole, ein Anziehungspunkt für Neuankömmlinge aus der Provinz.

Die Instrumente der Repression überlässt die Ausstellung dem Stasi-Museum in der Normannenstraße. Sie zeigt Ost-Berlin im Horizont der Alltagsgeschichte. Die Trommeln werden gerührt in Jürgen Nagels Fotografie "35 Jahre Kampfgruppen der DDR" von 1988. Kurz zuvor hatte der VEB Schokoladen-Verarbeitungsmaschinen in Wernigerode das Skateboard "Germina Speeder" herausgebracht, darin steckte ein anderer Rhythmus.

Eine Rakete aus dem Vergnügungspark Plänterwald, 1969 gebaut, steht am Fuß der Treppe, die zur Ausstellung führt, im obersten Stock wartet eine Imitation des Blicks von Aussichtsplattform und Restaurant des Fernsehturms am Alexanderplatz über die Stadt. Die Raketen waren wie die Kosmonauten, wie Gagarin, Teil der vertikalen Fortschrittsmythologie des realen Sozialismus. Aber im Vergnügungspark dienten sie wie die Karussells der puren Bewegungslust. Und der Blick vom Fernsehturm dementierte die in der Ausstellung gezeigten Stadtpläne, auf denen Westberlin in einer weißen Fläche verschwunden war.

Von einem Reiseführer, der in den Achtzigerjahren im Westen erschienen ist, hat sich die Ausstellung ihren Untertitel geliehen. "Die halbe Hauptstadt", das nimmt die weißen Flächen in sich auf, den geteilten Himmel über der Stadt. Großformatig reproduzierte Fotografien der zugemauerten U-Bahn-Schächte erinnern an die abgeschnittenen Verbindungen zwischen Ost und West, eine entwertete S-Bahnkarte vom 12. August 1961 erinnert an den Mauerbau. Aber es wird hier nicht die Geschichte Ost-Berlins über die gesamte Nachkriegszeit hinweg erzählt. Die Ausstellung konzentriert sich auf die beiden letzten Jahrzehnte der DDR, auf die Honecker-Ära.

Sie wirft Seitenblicke auf den Westen im Osten, etwa auf die "Hausverfügungen und Hausmitteilungen für die Mitglieder der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland", auf den Alltag von Korrespondenten von Medien der Bundesrepublik oder auf ein Plakat zum Auftritt von Bob Dylan und Tom Petty beim Friedenskonzert der FDJ.

Die Exponate aus der Arbeitswelt, etwa eine Werkbank aus der Maschinenfabrik Marzahn und die Elektronik-Uhr "20 Jahre DDR" mit der Nationalhymne als Weckton zeugt von den technologischen Ambitionen, wirken aber wie Industriearchäologie. Gegenüber den Dingen und Nachbauten, etwa den Schaufensterpuppen, die Modellkleider tragen, oder der Rotationsvervielfältigungsmaschine, die in der Erlöserkirche den Friedensgruppen diente, stellen die über 600 meist schwarz-weißen Fotografien den Löwenanteil der Exponate.

Sie holen den Stadtraum und die Innenräume in die Ausstellung, lassen dem Planmodell Ost-Berlins und dem Panorama-Gemälde von Walter Womacka, die am Beginn des Parcours stehen, nicht das letzte Wort. Sie zeigen, wie es an einem leibhaftigen Boulevard, der Schönhauser Allee, aussah. Den Fotografien der offiziellen Agenturen, die das Bild der "sozialistischen Metropole" der modernen Plattenbauten und des Sport- und Erholungszentrums (SEZ) in Friedrichshain entwerfen, stehen die Bilder von Helga Paris, Harald Hauswald, Gundula Schulze Eldowy und vieler anderer gegenüber, die in die Gesichter von Frauen im Bekleidungswerk VEB Treffmodelle blicken, in Kneipen wie das berühmte "Melzer Eck", in Hinterhöfe, in aseptische Produktionsanlagen.

Ein Fund aus dem Archiv fällt ins Auge, die zu einem Fries zusammengesetzten Bilder, die ein unbekannter Fotograf 1981 von der Greifswalder Straße aufnahm, der Einfallstraße für die Mitglieder des Staatsapparates auf dem Weg von Wandlitz ins Zentrum. Hier machte der Verfall der Altbauten, der zu stillen Hausbesetzungen einlud, vor den Erdgeschossen halt, die aus den Limousinen heraus zu sehen waren.

Nahe der Greifswalder Straße standen die großen Gasometer, die in den mittleren Achtzigerjahren gesprengt wurden. Die Losung "Gasometer sprengt man nicht", die Fotografien und Gemälde, die gegen die Sprengung gesetzt wurden, gehören zur Vorgeschichte von 1989. Es ist nicht weit von hier zu den Hauptquartieren der bildenden Künstler, in denen Auftragskunst und Subversion in einander übergingen.

Die Ausstellung legt den Fokus aufs Detail, nicht auf das Ganze. "Alltag" ist ein tückisches Konzept, es verspricht immer mehr, als es halten kann. Manches, wie die Spannung zwischen BFC Dynamo und Union Berlin in der Fußballwelt, bleibt unerzählt. Die Ausstellung verlässt sich auf ihr opulentes Beiprogramm und den lesenswerten Begleitband mit dreißig Essays.

Ost-Berlin. Die halbe Hauptstadt . Bis 9. November. Ephraim-Palais, Berlin. Der von Jürgen Danyel im Chr. Links Verlag herausgegebene Begleitband hat 448 Seiten und kostet 25 Euro.

© SZ vom 15.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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