Fachhochschulen:Ihr dürft nicht mitmachen

Lange Wartezeiten für psychisch Kranke - Thüringen Schlusslicht

Überall in Deutschland fehlen Psychotherapeuten. Trotzdem sollen künftig viele Ausbildungsstätten für diesen Beruf wegfallen.

(Foto: Soeren Stache/dpa)

Die neuen Psychotherapie-Studiengänge sollen nur an Unis, nicht an Fachhochschulen angesiedelt werden.

Interview von Jutta Pilgram

Fast drei Viertel der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten in Deutschland haben an einer Fachhochschule (FH) studiert. Das soll sich ändern. Die Hochschulen für angewandte Wissenschaften, wie die FHs heute offiziell heißen, dürfen das neue Psychotherapie-Studium nicht anbieten. Professor Michael Borg-Laufs unterrichtet Theorie und Praxis psychosozialer Arbeit mit Kindern an der Hochschule Niederrhein und erklärt, warum er das für einen groben Fehler hält.

SZ: Was bedeutet es für die Fachhochschulen, wenn sie beim Psychotherapie-Studium ausgeschlossen werden?

Michael Borg-Laufs: Dieser Ausschluss ist völlig unverständlich. Der entscheidende Punkt ist dabei gar nicht, dass wir eventuell ein paar Studierende verlieren könnten. Sondern die Tatsache, dass die Stärken der FHs auf diesem Gebiet komplett ignoriert werden. Den Nachteil haben nicht nur die FHs, sondern das Gesundheitssystem und die Patienten.

Es heißt, die FHs hätten nicht die nötigen Ressourcen, um das anspruchsvolle Psychotherapie-Studium anzubieten, vor allem in der Forschung.

Quantitativ sind uns die Universitäten in der Forschung immer noch deutlich überlegen, das stimmt. Das liegt auch am höheren Lehrdeputat unserer Professoren. Forschung ist erst seit der Bologna-Reform ausdrücklich Auftrag der FHs. Ihre Forschungsleistung befindet sich seither im rasanten Aufschwung. Vor allem praxisorientierte Forschung. Und Psychotherapie ist ein Anwendungsfach. Die FHs würden das Studium enorm bereichern.

Inwiefern?

An den Universitäten sind fast alle Lehrstühle in klinischer Psychologie mit Verhaltenstherapeuten besetzt. An den FHs werden mehr verschiedene Therapieschulen gelehrt, systemische, personenzentrierte, tiefenpsychologische und psychoanalytische. Die Verfahrensbreite ist also viel besser sichergestellt. Wir haben ein breites lebensweltorientiertes, biopsychosoziales Verständnis von psychischer Störung, da sich bei uns nicht nur Psychologen, sondern auch Mediziner, Pädagogen, Soziologen damit beschäftigen. Psychische Krisen werden immer auch im Zusammenhang mit dem Hilfesystem, mit netzwerkorientierter Arbeit betrachtet, während an den Unis ein individuumszentriertes Bild von psychischer Störung vorherrscht. Und wir haben von jeher deutlich mehr Ressourcen, mit Patienten, die nicht aus der Mittelschicht stammen oder aus schwierigeren sozialen Lagen kommen, in Kontakt zu treten.

Würde es denn zu viele Psychotherapie-Studiengänge geben, wenn auch die Fachhochschulen mitmachen dürften?

Angeblich stehen 50 Universitäten in den Startlöchern und könnten sofort den neuen Studiengang anbieten - diese Zahl halte ich für etwas hochgegriffen. Umgekehrt würden von den 80 Sozialwesen-Fachbereichen an den FHs gar nicht alle einen Psychotherapie-Studiengang installieren wollen. Es dürfte nur eine Handvoll FHs geben, die so stark klinisch orientiert sind, dass es für sie infrage kommt - das führt also keineswegs zu einer riesigen Ausweitung. Hinzu kommt: Die Zahlen sind viel zu stark am Status quo orientiert. Der Mangel an Therapeuten ist doch offensichtlich. Wer an einer Depression leidet, muss häufig ein halbes Jahr auf einen Therapieplatz warten.

Der neue Studiengang soll analog zum Medizinstudium und zur fachärztlichen Weiterbildung organisiert werden. Ist da auch Dünkel im Spiel, wenn die FHs ausgeschlossen werden?

Ich fürchte ja. Hinter vorgehaltener Hand heißt es sogar, dies sei eigentlich das wichtigste Argument. Früher wollten die Psychologen zu den Medizinern aufschließen. Jetzt sind sie dort angekommen und versuchen, alle anderen rauszu-halten. Man will nicht mit den Schmuddelkindern von der Fachhochschule in einen Topf geworfen werden. Das finde ich skandalös. Seit der Bologna-Reform sind FH und Uni formal und inhaltlich gleichgestellt. 40 Prozent der Studierenden in Deutschland sind an einer Fachhochschule. Das sind jedes Jahr eine Million Absolventen - und es sind nicht die schlechteren.

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