Angela Merkel:Pflichtprogramm Europa

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Die Kanzlerin sucht keinen neuen Job nach Ende ihrer Amtszeit. Sie weiß aber, dass sie später einmal am Zustand Europas gemessen werden wird. Ihre Aufgabe ist es nun, für Einheit in der EU zu sorgen.

Von Daniel Brössler

Früher einmal konnte sich Angela Merkel wenigstens auf Mark Rutte verlassen. Der niederländische Premierminister ist zwar nicht so lange an der Macht wie Merkel, aber doch schon seit bald zehn Jahren. Die Kanzlerin kennt ihn als nicht eben enthusiastischen, aber verlässlichen Europäer. Als einen, mit dem man Bündnisse schmieden kann. Nun ist Rutte wieder dabei bei einem Bündnis - allerdings gegen Merkel. Dass der Niederländer sie am Donnerstag im Kanzleramt als "persönliche Freundin" gepriesen hat, ändert daran nichts. Der Liberale gehört zu denen, die verhindern wollen, dass Manfred Weber, Spitzenkandidat der europäischen Christdemokraten, nach der Europawahl Präsident der EU-Kommission wird. Merkel wiederum steht für Weber im Wort.

Das ist gerade Merkels Lage, wenn es um Europa geht. Sie muss sich überlegen, wie sie gegen alle Widerstände ihren Mann durchsetzt, und wie sie den Schaden begrenzt, wenn es nicht klappt. Gerade hat sie in der Süddeutschen Zeitung bekannt, dass sie sich Sorgen macht um Europa und dass sie ein "gesteigertes Gefühl der Verantwortung" spüre, sich um das Schicksal Europas zu kümmern. Ein "gesteigertes" Gefühl - in Merkels eher emotionsarmer Sprachwelt ist das schon was. Die Frage ist nur: was? Die von einigen lange ersehnte Bewerbung um eine Anschlussverwendung in Brüssel ist es jedenfalls nicht. Das hat sie nach dem Treffen mit Rutte klargestellt.

Aus mehreren Gründen kann man ihr glauben. Zunächst, weil schon ihre ursprünglichen Worte eigentlich nichts anderes bedeutet hatten. Man stelle sich vor, Merkel hätte das Gegenteil gesagt: dass sie sich keine großen Sorgen um Europa mache und dass sie auch nicht das Gefühl habe, hier noch viel Energie investieren zu müssen. Das wäre zwar auch keine Empfehlung für Brüssel, aber erst recht wäre es keine für noch ein Weilchen in Berlin. Eine deutsche Regierungschefin, die wenige Tage vor der Europawahl nicht den Ernst der Lage in der EU und auch keine gesteigerte Verantwortung sähe, sich dieser Lage weiter anzunehmen, wäre nicht länger tragbar.

Die Kanzlerin wird später einmal am Zustand der EU gemessen werden

Zwar stimmt, dass Merkel mit ihrer Erfahrung für einen Job etwa als EU-Ratspräsidentin qualifiziert wäre wie keine andere. Gerade mit ihrer Erfahrung weiß aber auch niemand besser als Merkel, wie wenig ihr dieser Job noch zu bieten hätte. Sie hat mit Erfolg und Misserfolg an allen denkbaren Fäden in dieser Union gezogen. Für sie geht es nun nur noch darum, ihr europapolitisches Erbe zu regeln. Als eines ihrer Verdienste steht fest, dass die EU sich in der Euro- und Finanzkrise zwar bis zum Abgrund bewegt hat, aber nicht weiter. Bleiben wird aber auch ihre Mitverantwortung für tiefe Risse, wie sie etwa in der Flüchtlingskrise zutage getreten sind. Was einmal unterm Strich stehen wird, entscheidet sich nach der Europawahl. Dann müsste sich gesteigertes Verantwortungsgefühl endlich in gesteigerten Gestaltungswillen übersetzen.

Dafür steht sie in der Pflicht. Nicht für ein Brüsseler Amt, das sie nicht haben will. Altkanzler Gerhard Schröder rechtfertigt seine Nähe zu Kremlchef Wladimir Putin und seine Jobs im Pipeline-Geschäft damit, schließlich sei es sein eigenes Leben, um das es gehe. Sobald Angela Merkel sich nach mehr als doppelt so langer Zeit im Kanzleramt in die Uckermark verabschieden sollte, darf sie das für sich erst recht in Anspruch nehmen.

© SZ vom 17.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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