Theater:Lausbuben von Spießbürgern gelyncht

Ruhrfestspiele

„Jedes legt noch schnell ein Ei,/ Und dann kommt der Tod herbei“: Witwe Boltes Hühner tanzen zu Ravels „Bolero“, bevor sie ihre Federn lassen müssen.

(Foto: JR / Berliner Ensemble; Ruhrfestspiele Recklinghausen)

Antú Romero Nunes inszeniert bei den Ruhrfestspielen "Max und Moritz" so bilderbuchbunt und amüsant wie schmerzfrei.

Von Martin Krumbholz

Da das Motto der diesjährigen Ruhrfestspiele Recklinghausen unter der neuen Leitung von Olaf Kröck "Poesie und Politik" heißt, drängt sich die Frage auf, wie sich die "Bösebubengeschichte" von Wilhelm Busch dazu verhält. Poesie, schon klar - gelten doch die brutalen Verse im Outfit biedermeierlicher Idylle vielen geradezu als Inbegriff des "Poetischen", weil sie sich so herrlich reimen. "Jedes legt noch schnell ein Ei, / Und dann kommt der Tod herbei." Mit der Politik jedoch wird es schwieriger. Oder gar mit der Moral. Wie steht es damit? Busch entlarvt mit seiner 1865 erstmals veröffentlichten Bildergeschichte den Dünkel und die Saturiertheit der braven Leute auf dem Land, die den bösen Streichen der Rotzbengel Max und Moritz zum Opfer fallen; doch am Schluss müssen die beiden bitter büßen: Aus den Broten, zu denen man sie verbackt, können sie sich mit knapper Not befreien, dann aber kommt der Bauer Mecke und katapultiert seine Knabenbeute, als sei's Getreide, in den Trichter des Müllers. Und "von Trauer keine Spur"!

Die Ikonografie stimmt. Max und Moritz sehen aus, wie von Wilhelm Busch gezeichnet

Max und Moritz wollen letztlich nichts anderes, als die Spießer im Dorf ein bisschen ärgern, sie werden dafür gelyncht. Die Kräfteverhältnisse könnten nicht klarer sein. Bei der durchaus originellen Adaption der Geschichte durch den Regisseur Antú Romero Nunes liegt der Fokus zunächst auf der Ikonografie. Dank der Kostüme und Masken von Victoria Behr (die häufig mit Herbert Fritsch arbeitet) sind die Gestalten ihren von Busch gezeichneten Vorbildern wie aus dem Gesicht geschnitten. Stefanie Reinsperger als Max stemmt die Fäuste in die Lenden, eine dralle, bräsige Figur mit Pagenschnitt. Annika Meier ist der rotblonde Moritz mit der typischen kronenartigen Strähne und spreizt die Hände angriffslustig - die beiden scheinen aus ihrem Biedermeier-Comic direkt auf die Festspielbühne in Recklinghausen gesprungen zu sein, sprechen allerdings in der ersten Partie ein verqueres Kunstidiom, dem ab und an einige aktuelle Reizworte wie "Me Too" untergemischt sind.

Dies als Warm-up, bevor es mit dem ersten Streich, dem Attentat auf das Federvieh der Witwe Bolte, zur Sache geht. Die Episode beginnt spektakulär mit einem Tanz der todgeweihten Hühner zu Ravels "Bolero" - einem ersten dionysischen Höhepunkt des Abends. Der Schauspieler Sascha Nathan gibt die Witwe in einer famosen Travestie mit Schürze, Kopftuch und Kochlöffel, während Tilo Nest vierbeinig in die Gestalt des zu Unrecht der Hühnernascherei verdächtigten Spitzes schlüpft. Nathan avanciert zugleich zu einer Art Spielleiter, der die Kollegen ermahnt und antreibt - wir erleben beiläufig ein "Making- of" der Bösebubengeschichte.

Werden die ersten beiden, der Bolte gewidmeten Streiche in allen Details genüsslich ausgemalt, geht es anschließend fragmentarischer und auch ein wenig spröder zu. Tilo Nest als Schneider Böck hält einen länglichen, sprechtechnisch absichtsvoll verluderten Vortrag über Kunst und Stoff - letzterer das Tertium comparationis zwischen Ästhetik und Schneiderei. Man gönnt es dem Manne von Herzen, dass Max und Moritz ihm "ritzeratze voller Tücke" eine Lücke in die Brücke vor seinem Haus sägen, von welcher er pitsch, patsch ins Nasse stürzt; ein Malheur, das Frau Böck (wiederum Sascha Nathan) mit dem heißen Eisen gottlob wieder ausbügeln kann.

Constanze Becker spielt den Lehrer Lämpel, Handylampen bilden einen Glühwürmchen-Schwarm

Den mittels seiner Pfeife gepeinigten Lehrer Lämpel spielt in dieser Koproduktion mit dem Berliner Ensemble keine Geringere als Constanze Becker. Carolina Bigge steuert die vorzügliche Live-Musik bei. Die Maikäfer, die den guten Onkel Fritz foltern, werden in Glühwürmchen verwandelt und von Handylampen im Saal versinnbildlicht. Die Besetzung ist insgesamt so fein wie klein; und doch fragt man sich am Schluss, nachdem man mit Onkel Fritz kräftig geniest und ein paarmal amüsiert gekichert hat, ob das anarchische Moment der Geschichte nicht doch zu kurz kommt - ob so ein "Max und Moritz"-Abend für Erwachsene nicht doch einen schärferen politischen Zuschnitt bräuchte. Denn hört man genau hin, ist eine Geschichte keineswegs harmlos, die davon erzählt, wie zwei beherzte Außenseiter und Rebellen für ihre "Untaten" von der kompakten Majorität einen Kopf kürzer gemacht werden.

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