Kritik:Einzug mit Sternchen

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Das Pathos ist verwandelt und zeigt "Der Schimmelreiterin"

Von Egbert Tholl, München

Das da oben ist kein Druckfehler, es fehlt nur ein Sternchen. Eigentlich also "Der Schimmelreiter*in", wie man das halt so macht heute, hier aber mit Augenzwinkern, weil mit der, die oder das bringt dann auch das Sternchen nichts. Und Theodor Stroms Novelle heißt nun einmal "Der Schimmelreiter", und um die geht's.

Es scheint verwunderlich, dass das Pathos mit einer 130 Jahre alten Geschichte wiedereröffnet wird. Seit Judith Huber und Lea Ralfs das Theater übernahmen, haben sie mit vielen tapferen Helfern erst einmal Monate lang geputzt und gebastelt. Sie rissen die diversen Verschalungen von den Fenstern, nun liegen sie frei, von zwei Seiten dringt helles Licht in den weiß getünchten Raum, der jetzt wie ein kleines Industriedenkmaljuwel wirkt. Und Luft hat. Dazu bauten sie ein Gasthaus hinein, mit schwerem Parkett und Vorhängen aus Tüll, ein reizender Ort, in dem die Aufführung beginnt. Hier gibt es Brot, Salz und Tee aus norddeutsch blau gemusterten Tassen. Allerdings ist der Tee aus und es gibt nur noch Rum. Der hilft schließlich gegen die Stürme an der Nordsee.

Die Gastgeberinnen Huber und Ralfs tragen erlesene Kleider vom Ende des 19. Jahrhunderts, die anderen - Marysol Barber-Llorente, Dennis Fell-Hernandez, Angelika Krautzberger und Susanne Schroeder - sind zupackend gekleidet, schließlich muss ein Deich gebaut werden. Den will Hauke Haien. Er, der Deichgraf, hat lange das Meer beobachtet, weiß, dass die alten Deiche, errichtet wie störrische Mauern, nichts taugen. Ein sanfter Deich gibt dem Meer Frieden. Vielleicht geht es der See so wie dem Menschen, der "einen natürlichen Sog zur Ruhe" hat.

Das Ganze geht in mythischer Überhöhung gründlich schief. Ein Deich hält nur, ist "was Lebiges" darin verbaut. So heißt es seit langen Jahren, und die störrischen Einwohner halten daran fest, glauben Haien nichts, wurschteln weiter wie bisher. Am Ende holt sich das Meer Haien, dessen Frau und Kind. Es geht um Hybris und Verstocktheit, ums Scheitern einer neuen, richtigen Idee.

Schon Storm erzählt die Geschichte mit verschiedenen Ebenen. Huber und Ralfs machen daraus auch einen Abend über das Erzählen an sich, über die Imagination von Geschichten aus den Worten heraus. Dazu gibt es viel schöne Musik, Mathias Götz macht zauberhafte Sachen, mal fiept es ganz zart, gibt es eine sehr, sehr analoge Version von "Riders on the storm", wie ein Gespinst. Dann wiederum trötet Götz in die Posaune und es geht im Kreis herum, als spiele eine Hochzeitskapelle bei einer Beerdigung in New Orleans.

Das inklusive Ensemble nähert sich auch Fragen des Glaubens, der nach Gott, auch heidnischen Urwurzeln, trägt Heidekraut auf dem Kopf. Ein Baby, das nicht da ist, schreit, ein Spuk zieht vorüber, während draußen der Wind ein Bäumchen vor dem Fenster schüttelt. Die Sonne geht unter, im Pathos drinnen wird alles Licht. Ein Ort entsteht neu, ein wundervoller Raum, dessen lange Geschichte man nun lange weiterschreiben kann.

© SZ vom 20.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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