Portrait:"Ich fühle mich sehr europäisch"

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Paola Caselli, 52, ist Direktorin des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik. Das Fachgebiet der in der Toskana geborenen Forscherin ist die chemische Astrophysik. (Foto: Axel Griesch/MPG)

Die Italienerin Paola Caselli forscht in München, ihr Partner ist Engländer und arbeitet in Schweden, die Tochter studiert in Holland. Was bedeutet Heimat für sie?

Von Giordana Marsilio

Die zwölf goldenen Sterne auf blauem Hintergrund, sie haben eine besondere Bedeutung für Paola Caselli. Nicht oder zumindest nicht nur, weil sie beruflich mit Sternen zu tun hat. "Ich fühle mich sehr europäisch", sagt die Professorin für Astrophysik, dann zählt sie auf: "Meine Eltern und mein Bruder sind in der Toskana, meine Tochter wohnt seit September 2018 in Holland, wo sie Physik studiert, und mein Lebenspartner ist Engländer und lebt in Schweden, während meine Arbeit in München ist." Caselli stammt aus Follonica, einer kleinen Stadt in der Toskana. Seit fünf Jahren ist sie Direktorin der Abteilung für extraterrestrische Physik am Max-Planck-Institut in Garching.

"Europa bedeutet für mich die Chance zu haben, als Wissenschaftler all seine Träume zu erfüllen", sagt sie. Nach dem Studium der Astrophysik und der Chemie in Bologna promovierte sie an der Ohio State University und am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics. Nach einem ersten Forschungsaufenthalt in München am Max-Planck-Institut, wechselte sie an das Osservatorio Astrofisico di Arcetri in Florenz, danach folgte ein weiteres Jahr als Dozentin am Harvard-Smithsonian. Als Professorin lehrte sie an der University of Leeds und an der University of California, ehe sie 2014 an die Isar zurückkehrte.

Dass sie so oft das Land wechseln musste, hat nie eine Rolle gespielt. "Für Wissenschaftler ist es sehr wichtig, das eigene Land zu verlassen", sagt sie, "wir müssen neugierig und weltoffen sein, wenn wir die Welt, in der wir leben, und das Universum um uns herum erklären und entdecken wollen". Caselli erforscht die Bewegung und die Anziehung der interstellaren Moleküle, die zur Entstehung der Sterne beitragen. Bewegung und Anziehung, aus denen etwas entsteht - hört sich nach Europa an. "In unserer Arbeit ist der Austausch wesentlich", sagt Caselli. "Ohne Kommunikation und Konfrontation kommt man in der Recherche nicht weiter. Man muss sich verlinken und sich ständig austauschen." Mit anderen Teams in Europa zusammenzuarbeiten bedeutet, von jeder Synergie zu profitieren: "Wenn wir nicht so einfach reisen könnten oder wenn wir keine europäischen Konventionen hätten, wäre unsere Arbeit viel schwieriger." Forschung könne nicht stattfinden, wenn man sie nicht mit anderen teile.

Caselli leitet eine Gruppe von 30 Wissenschaftlern aus der ganzen Welt: Russland, England, Italien, Frankreich, Spanien, Ukraine und Deutschland. Ihre Studenten nehmen an vielen Austauschprogrammen teil. "In der Forschung gibt es keine Grenzen, keine Herkunft, denn wir haben das gleiche Ziel: etwas zu entdecken." Verschiedene Herkünfte ermöglichen unterschiedliche Herangehensweisen an ein Problem und sie erhöhen die Chancen, schneller eine Lösung zu finden. Caselli erklärt, in ihrer Gruppe gebe es einen russischen Studenten, der im Studium eine sehr analytische und rigorose Denkweise trainiert habe. Englische Studenten müssten dagegen während der Promotion viel unterrichten, weshalb sie sehr gut kommunizierten. "Diversität und Internationalität sind ein großer Vorteil für eine Gruppe, die forscht."

Für die Entstehung der Sterne interessierte sich Caselli bereits mit zwölf. Eine Lehrerin gab ihr ein Buch: "The Black Cloud" von Fred Hoyle, ein Science-Fiction-Roman, der von einer riesigen Gaswolke handelt, die ins Sonnensystem eindringt und das Leben auf der Erde zu zerstören scheint. In dem Buch spielten die damals neuen Beobachtungen von Molekülen im Weltall eine Rolle, "das beeindruckte mich zutiefst".

Auch die europäische Einheit ist bedroht, immer wieder, die schwarzen Wolken, wenn man sie so nennen mag, sind jedoch irdischer Natur. "Ich bezeichne mich als Weltstädterin, ich fühle mich überall zuhause", sagt Paola Caselli. "Es sind vor allem die Erfahrungen, die man an einem Ort macht, die das Gefühl von Heimat vermitteln", schiebt sie hinterher. Und fühlt sich da wahrscheinlich gerade wieder sehr europäisch.

© SZ vom 20.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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