Theater:Irrenhausbesuch

Die Physiker

Mehr Diva als Doktorin: Mathilde von Zahnd (Carolin Hartmann) trägt gern Tüll auf, um ihren Gefühlen Nachdruck zu verleihen.

(Foto: Arno Declair)

Abdullah Karaca inszeniert Dürrenmatts "Die Physiker" am Volkstheater farbenprächtig und ausdrucksstark - findet aber trotz aktueller Themen zu keiner klaren Haltung und keinem durchgehenden Rhythmus

Von Christiane Lutz

Wenn Abdullah Karaca am Volkstheater inszeniert, sieht das in den allermeisten Fällen schon mal sehr gut aus. Das liegt natürlich an Karacas Handwerk, aber immer auch an Vincent Mesnaritsch, Karacas treuem Bühnenbildner. Allerlei tolle Räume hat Mesnaritsch schon geschaffen, diesmal aber ist ihm für Dürrenmatts "Die Physiker" ein besonders auffälliges, stimmiges Bühnenbild geglückt. Mesnaritschs "Heilanstalt" ist ein gerahmter Raum, grell wie eine Disco aus den Siebzigerjahren, alles etwas schräg und nun ja, ver-rückt, wild tapeziert, in der Mitte ein kreisrunder Durchgang in einen palmengrünen Hinterraum. Eine Klinik, die aussieht wie die fantastisch-fanatische Gedankenwelt ihrer Patienten. Darin bewegen sich Pflegerinnen, Oberärztin und die drei Patienten, die Physiker. Die Wissenschaftler verschanzen sich dort unter dem Vorwand, verrückt zu sein, um sich wahlweise gegenseitig zu beschatten oder ihren Genius vor der Welt zu bewahren. Als drei Schwestern ermordet werden, schlägt Inspektor Voß auf, bringt Unruhe in den wohlgeordneten Klinik-Alltag. Seit seiner Uraufführung 1962 amüsiert Dürrenmatts "Physiker" immer auch mit der Frage, wer eigentlich verrückt ist.

Karaca bedient sich beim Inszenieren, wie er das oft tut, filmischer Zitate. Die Schauspieler - dunkel geschminkte, weit aufgerissene Augen, weiße Haut und wirres Haar - könnten der Addams Family angehören, oder aus einem Stummfilm stammen. Der kreisrunde Durchgang erinnert an den Gewehrlauf aus dem James-Bond-Intro. Achtung, hier passiert gleich was! Darin wird Schwester Monika (Luise Deborah Daberkow) in einem skurrilen und sehr komischen rot-schwarzen Schattenspiel erst erdrosselt, dann erstochen, schließlich mit der Kettensäge zerteilt. Darin prügeln sich die Physiker in Zeitlupe im Laurel-und-Hardy-Stil, sehr elegant choreografiert. Diese Inszenierungsideen von Regisseur Karaca sind wunderbar ästhetisch anzusehen, der Raum ist in diesen Momenten ideal genutzt. Jedoch: So richtig Fahrt nimmt die Geschichte in diesem hübschen Irrenhaus nicht auf, trotz toller Bühne und tollem Ensemble.

Die Schauspieler finden keinen gemeinsamen Rhythmus, jeder wurschtelt in seinem Tempo, ihre Handlungen sind oft unmotiviert. Es passt zur Figur, wenn sich Oberärztin Mathilde von Zahnd (Carolin Hartmann) im roten Abendkleid und jeder Menge Tüll als die Chanson singende Diva geriert, die sie glaubt, zu sein. Wenn aber die ermordete, naive Schwester Monika (Luise Deborah Daberkow) dasselbe tut und als Zombiebraut "Je ne regrette rien" singt, ergibt das wenig Sinn. Was Karaca bei seiner letzten Komödie "Volpone" so schön gelang - nämlich das schmiergeölte Ineinanderflutschen von Worten und Taten -, funktioniert hier nicht recht. Vielleicht, weil sich Karaca selbst nicht richtig entscheiden kann, was er eigentlich erzählen will. Das Ganze wirkt unentschlossen, lauwarm. Für eine Komödie sind diese "Physiker" nicht straff genug, für eine Gesellschaftskritik nicht drängend genug inszeniert. Und das ist doch das, was man als Theaterzuschauer immer spüren möchte: Dringlichkeit.

Dabei ist die in den Physikern verhandelte Frage nach der Verantwortung, die aus Wissen entsteht, ungeheuer brisant, heute wohl noch mehr als zu Dürrenmatts Zeiten. Physiker Möbius (Jakob Immervoll) glaubt, seine entdeckte Weltformel könnte die Menschheit an den Abgrund führen. Seine Verantwortung begreift er darin, sich mit seinen Erkenntnissen einzuschließen, um sie vor der Öffentlichkeit zu schützen. Der im Programmheft zitierte Whistleblower Edward Snowden ist hingegen ins Exil verdammt, weil er sein Wissen eben nicht zurückhielt und es teilen musste. Welche Verantwortung aus Wissen resultiert, kann man aktuell auch wunderbar am Fall des ehemaligen österreichischen Vizekanzlers Strache beobachten: Es oblag den Medien, die im Besitz des kompromittierenden Videos waren, zu entscheiden, ob und in welcher Form sie ihr Wissen teilen. Mit dramatischen Konsequenzen: die Aufkündigung einer Regierungskoalition, mögliche Neuwahlen, vom gesteigerten Misstrauen in die Politik ganz abgesehen. Von alldem hatte Friedrich Dürrenmatt freilich noch keine Ahnung, jedoch lassen sich solche Ereignisse wunderbar mit den in den Physikern angerissenen Gedankenspielen zusammen denken, was einen Theatertext ja erst zu einem zeitlosen Theatertext macht.

Dass die Inszenierung aber doch einige sehr komische und überzeugende Momente bereithält, liegt neben der schon gelobten Bühne vor allem an den Schauspielern: Die verlässlich starke Carolin Hartmann spielt die durchgeknallte Oberärztin von Zahnd als elegante Hausherrin, deren explosiver Wahnsinn aber von der ersten Sekunde an unter der Oberfläche vibriert. Dann der ebenfalls immer starke Jakob Immervoll, der als zerzaustes Genie Möbius die Zerrissenheit so anrührend spielt, dass man sich fragt, ob man dieses Seelchen vor der Welt und nicht die Welt vor ihm schützen muss. Ach ja: Verrückt, das sind natürlich am Ende alle.

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