München-Pasing:Unfreiwilliger Umzug mit 96 Jahren

München-Pasing: Dauerwohnrecht: Als Langzeitmieter kann Ludwig Asam seine Wohnung nicht einfach gekündigt werden.

Dauerwohnrecht: Als Langzeitmieter kann Ludwig Asam seine Wohnung nicht einfach gekündigt werden.

(Foto: Catherina Hess)

In München wird eine ehemalige Eisenbahnersiedlung saniert, dabei sollen auch zwei Blöcke abgerissen werden. Hochbetagte Menschen wie Ludwig Asam wohnen dort schon seit Anfang der Sechzigerjahre.

Von Jutta Czeguhn

"Wissen's, ich bin doch eh der Älteste, egal wo ich hinkomm', ich bin halt ein Überbleibsel", sagt Ludwig Asam, seine blauen Augen blitzen, Ehefrau Judith nickt und seufzt, "ach, ja". Beide sind jenseits der Neunzig, Ludwig Asam ist 96 Jahre alt, um genau zu sein. Seit fast 70 Jahren sind sie verheiratet. Die Wohnung in der Pasinger Volmstraße 27, in der sie seit 1963 leben, erzählt viele Geschichten. Die Möbel sind mit ihren Besitzern alt geworden und scheinen mit dem Fußboden verwachsen. Die Bilder an den Wänden stammen von Judith Asams Mutter, die lieber malte, als Hausfrau zu sein. Zu ihrer Zeit recht revolutionär.

Und auch "Wigg" Asam kommt gerne ins Erzählen, der Zweite Weltkrieg ist ziemlich präsent in seinem Kopf oder seine Zeit als Fahrdienstleiter bei der Reichsbahn, später der Bundesbahn, und überhaupt all die Jahre, in denen er für seine SPD im Pasinger Bezirksausschuss saß. Am kommenden Mittwoch wird er sich, wenn die Gesundheit mitspielt, nach langer Zeit mal wieder hinüber ins Rathaus begeben. Quasi in eigener Sache, denn dort wollen sie eine Mietergemeinschaft gründen. Die Asams sollen umziehen, ihr Vermieter, die Vonovia, will den Wohnblock abreißen.

Das gleiche Schicksal könnte Georg Mayer treffen. Er wohnt mit seiner Frau Anna im Block gegenüber, auf 69 Quadratmetern. Auch er ein alter Bahnerer, Lockführer ist er einmal gewesen. Anders als sein hochbetagter Nachbar und Kollege Wigg Asam, ist der 76-Jährige in einer Art Kampfmodus. Im Bezirksausschuss neulich, als die Bürger das Wort hatten, hat Mayer seine ganze Verzweiflung und Wut, man kann es nicht anders sagen, herausgebrüllt. "Die schmeißen uns nach 56 Jahren aus der Wohnung, und keiner kümmert sich, keiner hilft uns!", hat er von hinten in den Saal gerufen, und im Gremium um den großen Tisch herum haben sie recht bedröppelt, fast schon unangenehm berührt dreingeschaut.

Nun, ein paar Tage später, sitzen die Mayers sehr ruhig an ihrem Wohnzimmertisch, haben ein paar Papiere auf dem Tisch ausgebreitet und schildern die Situation. "Sehr geehrte Mieterinnen und Mieter, die Vonovia hat sich dazu entschieden, die Wohnsiedlung in der Volmstraße und der Hieronymusstraße zukunftsfähig zu entwickeln", ist auf einem Schreiben, datiert 11. März 2019 zu lesen. Absender ist der Immobilienservice der Vonovia, Region München, Sitz Bochum. Das Unternehmen, so wird angekündigt, werde in den kommenden Jahren im Quartier westlich der Lortzingstraße bestehende Häuser modernisieren und aufstocken sowie Neubauten errichten.

"Die Grünflächen werden neu gestaltet, ein modernes Flächenkonzept entsteht. Im Zuge dieser Quartiersentwicklung sollen auch punktuell Bestandsgebäude zurückgebaut werden." Es sei der Vonovia wichtig, liest man weiter, das "Vorhaben möglichst behutsam, sozial verträglich" zu verwirklichen, vor allem unter Einbeziehung der betroffenen Mieterinnen und Mieter. In kleinen Gruppen wolle man ihnen deshalb das Projekt vorstellen. Dann folgt die Einladung zu einem Auftaktgespräch ins Wirtshaus "Im Sportpark" an der Aubinger Straße. Es hatte Ende März stattgefunden, die Mayers waren dort, und auch Wig Asam hatte sich mit seinem Rollator dorthin aufgemacht.

Die Unruhe im Haus wächst

Im Restaurant hatten sie dann erfahren, dass just ihre Wohnblöcke, Volmstraße 27/29 und Hieronymusstraße 1/3 die einzigen in der Siedlungs sind, die abgerissen werden sollen. Aus statischen Gründen sei es nicht möglich, die Bauten um ein bis zwei Etagen aufzustocken, wie es bei den anderen viergeschossigen Mehrspännern entlang der Volm-, Hieronymus- und Varnhagenstraße vorgesehen ist. An die Stelle der beiden Häuser mit insgesamt 19 Mietparteien, plant das Unternehmen ein Hochhaus mit Tiefgarage. Die Vonovia, börsennotiert und heute der größte Immobilienbesitzer im Land, will im Karree verdichten und sanieren, Satteldächer durch Flachdächer ersetzen. Die ehemaligen Wohnungen der Eisenbahngesellschaft waren 2001 im Zuge der Bahnreform im Paket an die Deutsche Annington verkauft worden, 2015 ging aus einem Zusammenschluss der Annington mit der GAGFAH die Vonovia hervor.

Gleich nach der Infoveranstaltung im März ist Georg Mayer durch die beiden Wohnblöcke gelaufen und hat Unterschriften gesammelt gegen den Abriss seines Zuhauses. Der Protestbrief ging an die Regionalleitung der Vonovia. Gehört habe er seit her nichts, sagt Mayer, weder von der Lokalbaukommission der Stadt, noch von OB Dieter Reiter, dem er ebenfalls seine Sorgen in einem Brief geschildert habe.

Häuser für Abriss Pasing

Ludwig Asams Wohnung liegt in dem Mehrspänner rechts im Bild.

(Foto: Florian Peljak)

Wegen der Ungewissheit gebe es mittlerweile eine große Unruhe im Haus. "Da wird ein Wirbel gemacht und Dinge erzählt, die nicht stimmen", klagt er. Beispielsweise, dass er ausziehen wolle und eine Ersatzwohnung, die ihm die Vonovia in der Nähe angeboten habe, akzeptiert habe. "Dabei hab' ich mich nur informiert." Aber die Mayers möchten nicht ausziehen. "So ein Umzug ist ab einem bestimmten Alter ein Riesenproblem, da hat man keine Nerven mehr dazu", sagt er. Und seine Frau erzählt von der Echtholzküche, auf die man lange hin gespart habe, die hätte ein Schreiner passgenau eingebaut, ebenso wie den Riesenschrank im Schlafzimmer. "Wir haben einen Haufen Geld in diese Wohnung gesteckt", sagt Anna Mayer.

Die Vermieter hingegen hätten in den 48 Jahren, die sie hier wohnen, einmal den Block "hinuntergeweißelt" und die Fenster erneuert. Sonst nichts. Anders als viele Mieter in München brauchen die Mayers und die Asams nicht zu befürchten, dass ihnen die Wohnungen gekündigt werden. "Das dürfen sie nicht, wir sind Altmieter", sagt Georg Mayer, Ludwig Asam schränkt ein wenig ein: "Ich hab' ein Dauerwohnrecht, weiß aber nicht, ob's noch gilt."

Aktuell macht die Vonovia bundesweit Schlagzeilen damit, dass sie ihren Mietern im Alter von 70 Jahren an die Wohngarantie gewähren und auch ihre Mieten bezahlbar halten will. Im Fall der beiden Pasinger Wohnblöcke schreibt sich der Konzern ebenfalls ein faires Vorgehen zu. So erklärt Unternehmenssprecherin Bettina Benner, das ihre Kollegen bei der Mieterversammlung im März klar herausgestellt hätten, "dass das Angebot an die Mieter natürlich freiwillig ist und kein Mieter seine Wohnung verlassen muss". Aktuell habe man mit zehn von den 19 Parteien Gespräche geführt oder Gesprächstermine vereinbart. "Mit insgesamt sieben Parteien haben wir bisher einvernehmliche Lösungen erarbeitet", so Benner. Jeder Mieter, der eine Ersatzwohnung bei Vonovia anmieten wolle, könne dies zu den alten Vertragskonditionen tun. Es werde ihm die alte Quadratmeter-Miete zugesichert. Darüber hinaus verzichtet Vonovia auf Mieterhöhungen.

Grundsätzlich, auch das betont Benner, könne der Abriss "natürlich nur dann - und erst dann - vorgenommen werden, wenn im Vorfeld einvernehmliche Vereinbarungen mit den Mietern getroffen werden konnten". Und wenn die Stadt für das Quartiersprojekt einen positiven Vorbescheid erteilt, was bislang nicht der Fall ist, wie Thorsten Vogel, Sprecher des Planungsreferat mitteilt. Auch werde von der Lokalbaukommission derzeit geprüft, ob die großen alten Bäume, auf die die Mayers und die Asams von ihrer Wohnung aus blicken, gefällt werden dürfen.

Gerorg und Anna Mayer werden am 22. Mai, auf jeden Fall im Pasinger Rathaus sein, wenn dort die Gründung der Mietergemeinschaft ansteht, zu der Mieterbeirat Willy Schneider auch Vertreter der Vonovia eingeladen hat und die, so bestätigt Sprecherin Bettina Benner, auch erscheinen werden. Und Ludwig Asam wird, sofern er einen guten Tag hat und ihm das alles nicht zu beschwerlich ist, im alten Sitzungssaal mal wieder der Älteste sein.

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