Schweiz:Drei Wochen, 12 000 Chinesen

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Ein Teil der 4000 Personen starken chinesischen Touristengruppe posiert für ein Selfie auf der Kapellbrücke, dem Wahrzeichen Luzerns. (Foto: REUTERS)

Es ist die größte Reisegruppe, die die Schweiz je besucht hat: Ein Kosmetikkonzern schickt 12 000 chinesische Mitarbeiter auf Tour. Das hinterlässt Spuren im Stadtbild von Luzern und reichlich Geld in den Kassen.

Von Isabel Pfaff, Luzern

Ein funkelnder Berg aus Schweizer Schokolade, da kann die junge Chinesin nicht widerstehen. Sie nimmt eine große Handvoll der gelb, grün und rot verpackten Kugeln und lässt sie in ein Tütchen fallen. 100 Gramm für 5,50 Euro, offenbar ein akzeptabler Preis, auch ihre Freundinnen werden schwach. Schnell noch ein Foto von der enormen Pralinenauswahl und der Schokoladenwand, an der es dunkelbraun hinunterfließt, dann müssen die drei Damen weiter. Löwendenkmal, Kapellbrücke, später Galadinner auf dem Messegelände: Luzern im Schnelldurchlauf.

Die drei Frauen gehören zu der größten Reisegruppe, die die Schweiz jemals besucht hat: 12 000 Chinesen in drei Wellen, erkennbar an den roten Bändern mit Schildchen um den Hals und den Guides mit roten Fähnchen. In sechs Tagen inklusive An- und Abreise erkunden sie die Schweiz, besichtigen den Rheinfall, Zürich oder Interlaken, besteigen den Titlis und kommen am Schluss nach Luzern, das malerische Städtchen am Vierwaldstättersee.

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Die Chinesen sind auf Einladung des US-Kosmetikkonzerns Jeunesse Global in der Schweiz, quasi als Belohnung: Laut einem Sprecher von Schweiz Tourismus handelt es sich um eine "Incentive-Reise" für besonders erfolgreiche Jeunesse-Verkäufer. Der Vertrieb von Jeunesse arbeitet nämlich mit den Kunden zusammen: Sie kaufen die Produkte nicht nur, sondern versuchen sie auch selbst an den Mann zu bringen. Das ist wegen des Risikos für die Verkäufer zwar umstritten, in China aber offenbar beliebt: Dort haben sich deutlich mehr Menschen für die Belohnungsreise qualifiziert als angenommen. "Auch die Firma wurde überrascht von diesem Andrang", so der Tourismus-Sprecher.

"Wave 2", Welle zwei, steht auf den Fähnchen der Guides

Es schüttet unerbittlich am Montag, doch die Chinesen schieben sich Gruppe um Gruppe den schmalen Pfad zum Löwendenkmal hinauf. Ein Meer aus Schirmen wogt vor dem sterbenden Tier, herausgehauen aus einer gewaltigen Felswand. Wer ein Foto gemacht hat, reiht sich wieder ein in den Strom den Pfad hinab. "Wave 2", Welle zwei, steht auf den Fähnchen der Guides, die ihre Gruppen an diesem Vormittag durch den Regen lotsen. Verteilt auf zwei Tage halten sich diese Woche 4600 Chinesen in Luzern auf. Die Stadt ist zwar touristenerprobt, die Behörden sprechen von üblicherweise 15 000 bis 20 000 Besuchern täglich. Doch die Jeunesse-Reisegruppe stellt auch eine Stadt wie diese vor große Herausforderungen.

Mehr als siebzig Reisebusse parken in Luzern. So ein Besuch einer Mega-Reisegruppe ist auch eine logistische Herausforderung. (Foto: Manuel Geisser/Imago)

Wo parken die Reisebusse? Wie kommen die Gruppen von der Kapellbrücke zum Löwendenkmal? Welche Gruppe besteigt wann das Schiff? Mario Lütolf, Leiter Stadtraum und Veranstaltungen der Stadt Luzern, musste sich etwas ausdenken. Er hat ein "Mobilitätskonzept" ausgetüftelt, um Alltag und Verkehr in der Stadt so gut es geht zu schonen: Staffelung der Besucher, Shuttleservice im Stadtzentrum, Busparkplätze außerhalb der Innenstadt. Am Montagnachmittag, die zweite Welle ist fast geschafft, zeigt er sich zufrieden: "Das Konzept hat sich außerordentlich gut bewährt." Ihm seien keine Beschwerden zu Ohren gekommen, auch die Teilnehmer seien "glücklich und zufrieden".

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Bei einem Gang über die Kapellbrücke wirkt die Touristenschwemme dann doch etwas bedrohlich. Etwa alle zehn Minuten füllt eine neue Gruppe samt Fähnchenträger die hölzerne Brücke, staut sich beim Souvenirshop, wälzt weiter. In den Läden am zentral gelegenen Schwanenplatz ist die Luft zum Schneiden dick, vor den Uhrenauslagen und den Vitrinen mit den Taschenmessern drängen sich Männer und Frauen mit roten Bändern um den Hals, in einer Confiserie ruft eine Verkäuferin verzweifelt "I don't speak Chinese!" Eine Luzernerin beobachtet kopfschüttelnd, wie ein chinesisches Paar versucht, ohne Englischkenntnisse Essen zu bestellen. Manchmal störe sie die Haltung vieler Chinesen schon, sagt sie. "Wenn ich nach China reise, erwarte ich doch auch nicht, dass alle Deutsch können. Außerdem machen diese Riesengruppen nie Platz auf der Straße."

Das Gute an einer 4000-Personen-Reisegruppe: Man findet immer jemanden, mit dem man Gruppenfotos machen kann. (Foto: Manuel Geisser/Imago)

Andere Stadtbewohner sehen die Besucher gelassener. Als ein paar Dutzend Chinesen am Ufer des Vierwaldstättersees an ihr vorbeiziehen, grinst eine junge Frau nur. "Ich glaube nicht, dass Schweizer Reisegruppen dieser Größe sich so diszipliniert verhalten würden." Am Ende jedenfalls, so die Hoffnung derBehörden, soll sich die zusätzliche Belastung für die Stadt lohnen. Luzern Tourismus beziffert die erwartete Wertschöpfung durch die 12 000 Chinesen auf vier Millionen Schweizer Franken. Am Montag zeigen sich die Ladeninhaber rund um den Schwanenplatz schon mal zufrieden. "Am Umsatz merken wir auf jeden Fall, dass diese Reisegruppe da war", sagt die Besitzerin des Souvenirladens auf der Kapellbrücke. Eine Zahl will sie nicht nennen, dafür verrät sie, was Chinesen am liebsten kaufen: Uhren im unteren Preissegment, Holzschnitzereien - und vor allem: Sparschäler von Victorinox. "Die gehen weg wie nix, meist vier, fünf auf einmal." "For my daddy!", strahlt eine junge Chinesin, die genau solche in ihrem Einkaufskorb hat. Sie spricht nur ein paar Brocken Englisch, sagt, dass es ihr erstes Mal in Europa ist. "Switzerland, beautiful!" Und: "Welcome to China!"

Auch Wei Li ist begeistert von der Reise. Der 51-Jährige kommt aus Peking, er liebt die Natur in der Schweiz, sagt er, und die alten Gebäude, denen man ihre Geschichte ansieht. "Better than America!" Am späten Nachmittag werden die Menschen mit den roten Halsbändern weniger, Luzern leert sich. Bis nächste Woche: Dann trudelt Welle drei ein.

© SZ vom 21.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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