Europawahl in Dachau:Was der Jugend Europa bedeutet

Europawahl junge Menschen

Corbinian Ruckerbauer, Katrin Häberle und Jonathan Ruckerbauer erzählen, warum ihnen Europa wichtig ist.

(Foto: Niels P. Joergensen/privat)

Neuer Nationalismus, Abschottung und Brexit: Die EU steht unter Druck, doch sie erhält auch viel Zuspruch, gerade von jungen Leuten. Drei Landkreisbürger erzählen von den Vorteilen eines offenen Kontinents und warum man am Sonntag unbedingt wählen sollte.

Von Anika Blatz, Dachau

Wenn am Sonntag ein neues Europaparlament gewählt wird, treffen die Auswirkungen dieser Wahl junge Menschen ganz besonders: Sie sind es gewohnt, Freunde in anderen europäischen Ländern zu besuchen, im Ausland zu studieren und dort zu arbeiten. Auch Themen wie der Klimaschutz, die gerade der von Jugendlichen getragenen Fridays-for-Future-Bewegung besonders großes Anliegen sind, werden auf der europäischen Ebene behandelt.

Drei junge Erwachsene aus dem Landkreis Dachau sprechen über ihre Ansichten zu Europa, der Wahl am Sonntag und die politischen Herausforderungen ihrer Zeit.

Der Geschichtsbewusste

Gemindepartnerschaft

Jonathan Ruckerbauer wurde gerade 18 und wählt am Sonntag zum ersten Mal.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Bei Jonathan Ruckerbauer ist momentan einiges los. Nicht nur, dass er gerade mitten in den Abiturprüfungen steckt und im Anschluss zu einer Reise durch Europa aufbrechen will - er wurde am 19. Mai auch volljährig, pünktlich zur Europawahl. Für Jonathan ist Europa eine Herzensangelegenheit. Seit er vor vier Jahren zum ersten Mal am Austauschprogramm der Jugendkontaktgruppe Petershausen-Varennes teilgenommen hat, befasst er sich mit dem Thema Europa. Bei den wechselseitigen einmal im Jahr stattfindenden einwöchigen Besuchen kommen französische und deutsche Jugendliche miteinander in Kontakt. Durch gemeinsame Projekte und Ausflüge bilden sich oft tiefe Freundschaften, die Heranwachsenden werden aber auch an die gemeinsame Historie herangeführt.

Dass sich Deutsche und Franzosen im Laufe der Geschichte immer wieder grausam bekämpften, führt vor Augen, warum das Projekt der europäischen Gemeinschaft so wichtig ist: "Europa ist in erster Linie der Zusammenschluss von Ländern zur Friedensschaffung und -erhaltung. Für mich persönlich bedeutet Europa aber vor allem Freiheit und Freundschaft", sagt Jonathan Ruckerbauer. Dass man über die Grenzen hinweg reisen könne, wohin man möchte, das sei eine großartige Sache. Insofern könne er die rückwärtsgerichteten Tendenzen hin zur Stärkung des Nationalstaats und der Abschottung nach außen nicht verstehen. Die aktuelle politische Lage Europas besorgt ihn. "Der grassierende Populismus ist toxisch für Europa. Er gefährdet die europäische Idee".

Dennoch denke er, dass gerade die jungen Leute eher proeuropäisch wählen - auch dank solcher Projekte wie dem Jugendaustausch. "Wer bei so was mitmacht, wer andere Länder bereist und verschiedene Kulturen kennenlernt und besser versteht, der legt Stereotype und Xenophobie ab", stellt er fest. Davon, wie wichtig es ist, seine Stimme abzugeben, überzeugt er auch andere. "Wenn ich mitbekomme, dass jemand nicht wählen gehen will, diskutiere ich mit ihm darüber." Oft fühlten sich diese Leute uninformiert. Seinen Altersgenossen rät er dann, sich die Wahlprogramme der einzelnen Parteien anzuschauen oder durch den Wahl-O-Mat herauszufinden, wer am ehesten die eigene Meinung vertritt. Die zur Wahl stehenden Kandidaten sollten in seinen Augen noch mehr auf die jungen Leute eingehen. "Ich wünsche mir, dass die Politiker Themen ernstnehmen, die uns bewegen". Dazu gehöre beispielsweise die europäische Urheberrechtsreform sowie Umwelt- und klimapolitische Fragen.

Die Pragmatikerin

Katrin Häberle

Katrin Häberle organisiert den Austausch der Jugendkontaktgruppe Varennes-Petershausen.

(Foto: oh)

"Ich finde es total wichtig, dass sich junge Leute mit dem Thema Europa befassen und zur Wahl gehen", sagt Katrin Häberle. Die Petershausenerin ist schon länger als Betreuerin der Jugendkontaktgruppe, der sich auch Jonathan Ruckerbauer angeschlossen hat, aktiv und organisiert die Treffen auf deutscher Seite mittlerweile federführend. "Dass es Europa in seiner heutigen Ausprägung gibt, ist für mich normal. Ich kenne es nicht anders." Europa, das bedeute für sie Gemeinschaft. Die Staatengemeinschaft als ein einziges Land zu sehen, wie es uninformierte Amerikaner oft täten, sei im Grunde gar nicht schlecht. "Das ist doch das Besondere an diesem Bündnis. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich nach Italien oder Österreich fahre und Grenzen passieren muss oder dass ich nicht überall problemlos studieren kann. Europa ist einfach einfach." Dass die Briten diese Gemeinschaft verlassen wollen, finde sie "total bescheuert". Sie könne nicht nachvollziehen, wenn man einen so positiven Zusammenschluss, so gute Handelsbedingungen und Vorteile habe und dann austrete. "Das ist wie Schlussmachen in einer Beziehung, wenn einem mal was nicht passt. Aber so funktioniert das nicht, denn sonst gäbe es keine EU."

Die 23-Jährige studiert Wirtschaftspädagogik und Betriebswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilian-Universität. Sie hat auch über ein Auslandssemester in Oxford nachgedacht. Ob das jetzt noch so einfach möglich wäre, bezweifelt sie. "Ich fände es ganz schlimm, wenn man jetzt wieder eigene Wege geht, wenn die Gemeinschaft zerfällt. Europa ist doch was Gutes, auch wenn man Kompromisse eingehen muss." Um sich für die europäische Idee stark zu machen, legt sie allen jungen Menschen ans Herz wählen zu gehen. "Selbst wenn man sich nicht auskennt und unsicher ist". Auch sie kenne sich politisch nicht besonders gut aus, räumt sie ein. Aber das sei kein Grund, sich vor der Wahl zu drücken. Schließlich habe man genug Möglichkeiten, sich zu informieren. "Ihr müsst kein Politikgenie sein", sagt sie an die Adresse anderer junger Wähler. "Es gibt kein richtig oder falsch und auch keine hundertprozentige Übereinstimmung mit den einzelnen Wahlprogrammen. Schaut einfach, wer eure Gedanken, Wünsche und Bedürfnisse am ehesten repräsentiert und macht da euer Kreuz."

Der Botschafter

Corbinian Ruckerbauer

Corbinian Ruckerbauer studiert European Studies in Frankfurt an der Oder und war Juniorbotschafter des deutsch-französischen Jugendwerks.

(Foto: oh)

Europa liegt Corbinian Ruckerbauer am Herzen. So sehr, dass er sich auch beruflich mit dem Themenkomplex befasst. Er studiert derzeit European Studies an der Europa-Universität in Frankfurt an der Oder. Bis September 2018 war er zudem ehrenamtlicher Juniorbotschafter des deutsch-französischen Jugendwerks in Paris. In dieser Funktion vertrat er das Jugendwerk nach außen und kümmerte sich vor allem darum, Austauschprogramme voranzutreiben und zu bewerben. Wie seinen Bruder Jonathan hat auch ihn der kulturelle Austausch nachhaltig geprägt. "Solche Erfahrungen in der Jugend beeinflussen einen ganz stark.." Die Jugend solle sich trauen, die Möglichkeiten und Freiheiten zu nutzen, die ihnen die EU gibt. Europa in einem Wort? "Fortschritt", sagt er. In historischer Hinsicht "weg vom Nationalismus hin zu dem, was wir heute haben" und unter dem Aspekt der zukünftigen Entwicklung der Staaten: "Egal ob Globalisierung, Umwelt, soziale Fragen oder Digitalisierung - die einzige Lösung ist, dass Europa sich weiterentwickelt und passende Antworten auf die Fragen der Zeit gibt."

Zu den Herausforderungen der Zeit gehören auch die adäquate Reaktion auf den geplanten EU-Austritt der Briten und der Umgang mit (rechts-)populistischen Parteien, die in der EU kein fortschrittliches Projekt sehen, sondern eine Bedrohung. "Der Brexit und die populistischen Strömungen sollten Weckruf und Anstoß für die EU-Staaten sein sich tief greifende Gedanken darüber zu machen, wie man jetzt weitermacht. Das europäische Friedensprojekt und die ideelle Basis der EU sind in Gefahr, wenn man sich wieder auf den Nationalstaat beschränken will und versucht, die EU auf den funktionellen Nutzen des einzelnen Mitgliedstaates zuzuschneiden."

Dennoch solle man sich nicht allzu sehr auf die Populisten fokussieren, sondern mit seiner Stimme dazu beitragen, dass die proeuropäischen Parteien mit einem klaren Mandat ausgestattet werden. Auch von den späteren Mandatsträgern wünsche er sich, dass diese sich nicht im Kampf gegen die Europagegner verzetteln. "Am wichtigsten sollte sein, wie man der EU die Reformen verpassen kann, die es braucht, um die europäische Spaltung zu verhindern. Die Abgeordneten sollten die nächsten fünf Jahre dazu nutzen, Europa so auf Vordermann zu bringen, dass sich bei der nächsten Wahl keiner mehr für die Ansichten der Populisten interessiert."

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Auch konkrete Vorschläge, welche Maßnahmen das sein könnten, hat der 22-Jährige: "Vor allem muss die Demokratisierung der EU vorangetrieben werden, also vor allem die Stärkung des Europäischen Parlaments und die Einführung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen."

Und was können andere junge Menschen tun, um sich für Europa stark zu machen? "Informiert euch, führt Debatten. Engagiert euch in Vereinen, zum Beispiel in Städtepartnerschaften. Seid mutig. Sprecht euch für eure Überzeugung und Ideale aus. Und am wichtigsten: Geht wählen!"

Für Erstwähler gibt es ein praktisches Wahlhilfe-Tool auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung: wahlhilfe.bpb.de. Informationen zum Europawahlverfahren gibt es unter www.wahlrecht.de/ausland/europa-de.htm.

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