Regierungskrise:In Österreich heißt es: Jeder gegen jeden

Austrian Vice-Chancellor Resigns After Release Of Video

Gegen House-of-Cards-Verhältnisse: Menschen demonstrieren vor dem Bundeskanzleramt am Ballhausplatz in Wien.

(Foto: Getty Images)
  • Das Ibiza-Video um Heinz-Christian Strache hat in Österreich eine Regierungskrise ausgelöst.
  • Nachdem die FPÖ-Minister geschlossen zurückgetreten sind, muss sich Kanzler Sebastian Kurz nun möglicherweise einem Misstrauensvotum stellen.
  • Bislang wollen seiner ÖVP nur die liberalen Neos beistehen. Zur erforderlichen Mehrheit bedarf es aber mindestens noch der Stimmen der SPÖ.
  • Im Hintergrund treffen alle Parteien bereits Vorbereitungen für Neuwahlen.

Von Peter Münch, Wien

Die Not ist groß in Österreich, und dazu kommt noch die Trauer. Der Nationalheld Niki Lauda ist gestorben, und als Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Kanzler Sebastian Kurz am Dienstagnachmittag wieder einmal aus einem Krisengespräch kommen, da wird zuerst einmal des Verstorbenen gedacht. Als Vorbild lobt ihn Kurz, "mutig und entschlossen" sei er gewesen. "Er wird uns allen fehlen." Da hat er sicher recht. Denn an Entschlossenheit, zumindest im positiven Sinne, herrscht derzeit großer Mangel im Wiener Politikbetrieb.

Das Land taumelt durch eine turbulente Phase, in der sich eine Regierungskrise zur Staatskrise auswachsen könnte. Nicht nur die erst vor anderthalb Jahren gebildete Koalition aus ÖVP und FPÖ ist nach der Veröffentlichung des heimlich aufgenommenen Ibiza-Videos mit Heinz-Christian Strache zerbrochen - es stellt sich inzwischen auch die Frage, ob im Machtgefüge überhaupt noch ein Stein auf dem anderen bleibt.

In dieser angespannten Lage wendet sich der Bundespräsident am Abend eigens noch einmal in einer Rede an die österreichische Bevölkerung. Es geht ihm darum, Ängste und Unsicherheiten zu zerstreuen. "Wir alle haben ein Sittenbild gesehen, das Grenzen zutiefst verletzt, ein Bild der Respektlosigkeit, des Vertrauensbruchs und der politischen Verwahrlosung", sagte er. Deshalb sei es ihm wichtig, die Politiker zu ermahnen: Denken Sie nicht daran, was Sie für Ihre Partei kurzfristig herausholen können, sondern was Sie für Österreich tun können!

Dringend zu klären ist nun aber zunächst, wie die Zeit bis zur angekündigten Neuwahl im September überbrückt werden kann. Nachdem die FPÖ ihre Minister mit sofortiger Wirkung abberufen hat, sind fünf Stellen frei im Kabinett. Allein die von den Freiheitlichen nominierte, aber parteilose Außenministerin Karin Kneissl will im Amt bleiben. Kurz möchte die vakanten Posten mit unabhängigen Experten besetzen und die Vorschlagsliste schnellstmöglich beim Bundespräsidenten einreichen. Womöglich aber führt ihn das zu keinem Ziel, weil er selbst durch einen Misstrauensantrag bedroht ist. Das Chaos ist groß. Doch mit einer Klärung ist wohl nicht vor nächster Woche zu rechnen. Denn erst am Montag soll in Wien das Parlament zusammenkommen.

Wie verfahren die Lage ist, zeigt bereits der Streit um die Ansetzung dieses Termins. Die Opposition, allen voran die SPÖ, hatte auf eine Sondersitzung schon an diesem Mittwoch gedrungen. Der von der regierenden ÖVP gestellte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka jedoch trat auf die Bremse und begründete das mit "staatspolitischer Verantwortung". Man müsse "dem EU-Wahlkampf Raum geben", erklärte er.

Zum Kalkül gehört aber sicher auch, dass dadurch der Kanzler Zeit gewinnt, hinter den Kulissen und in enger Abstimmung mit dem Präsidenten zu versuchen, den kompletten Zusammenbruch seiner Regierung abzuwenden. Eingebracht wird der Misstrauensantrag gegen Kurz von der Liste Jetzt. Die verfügt zwar im Nationalrat lediglich über sieben Sitze. Aber in seinem Tatendrang und Selbstbewusstsein hat sich der Listengründer Peter Pilz von solchen Fakten noch nie eingrenzen lassen. "Ich gehe ziemlich sicher davon aus, dass das erfolgreich ist und ich es schaffe, dass Kurz am Dienstag nicht mehr Bundeskanzler ist", sagt er.

Spannend dürfte es werden. Denn für die Abwahl des Kanzlers, die ein Novum wäre in Österreich, reicht die einfache Mehrheit. Der Bundespräsident müsste dann umgehend einen neuen Regierungschef ernennen. Die ÖVP von Kurz verfügt mit 61 Mandaten exakt über ein Drittel der 183 Stimmen. Beistand für ihn haben bislang allein die liberalen Neos bekundet, die zehn Mandate in die Waagschale werfen können. Sie haben das begründet mit einer "Verantwortung für das Land". Bei den anderen Parteien dominieren ganz offenkundig taktische Überlegungen.

Die SPÖ will sich noch nicht festlegen

Die FPÖ lässt deutliche Rachegelüste dafür erkennen, dass Kurz nach dem Rücktritt Straches und der Neuwahlankündigung auch noch Innenminister Herbert Kickl hinausgedrängt hatte. Kickl revanchierte sich mit dem Satz: "Wer Vertrauen gibt, erhält Vertrauen. Wer Misstrauen gibt, kriegt Misstrauen." Der Kanzler, so schimpfte er im Gratisblatt Österreich, habe "das Tischtuch ohne Not zerschnitten". Klarer kann man sich kaum positionieren. Doch um die Spannung zu erhöhen, ließ die FPÖ-Führung wenig später wissen, Kickls Äußerungen würden missinterpretiert. Noch sei nicht geklärt, wie man sich bei einem Misstrauensantrag gegen Kurz verhalte.

Festlegen wollen sich auch die Sozialdemokraten noch nicht. Sie verfolgen noch einen anderen Plan und plädieren dafür, die gesamte Regierung, einschließlich des Kanzleramts, bis zur Neuwahl mit Experten zu besetzen. Der Vorteil für sie: Kurz müsste dann im Wahlkampf auf seinen Kanzlerbonus verzichten.

So wird die Lösung der derzeitigen Krise schon heftig überlagert von den Positionierungskämpfen für den Wahlkampf. Die ÖVP spekuliert auf Stimmen von enttäuschten Wählern der FPÖ. Sie orientiert sich dabei am Beispiel ihres Altkanzlers Wolfgang Schüssel, der nach dem Zusammenbruch der ersten schwarz-blauen Koalition 2002 von der Neuwahl enorm profitiert hatte. Die durch Straches tiefen Fall bedrängten Freiheitlichen dagegen setzen ihre Hoffnung auf einen Jetzt-erst-recht-Effekt. Der geschasste Innenminister Kickl ist dafür umgehend in seine angestammte Rolle des Provokateurs und Polarisierers zurückgefallen. Die SPÖ, für die diese Neuwahl nach den kürzlich erst überstandenen Führungswirren zu früh kommt, sucht noch nach ihrem inhaltlichen Profil, hat aber die Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner schon zur Kanzlerkandidatin bestimmt.

Mit einem schmutzigen Wahlkampf ist zu rechnen. Jeder gegen jeden - bis September wird das Land noch einiges auszuhalten haben. Erst danach müssen sich die Protagonisten der Krise dann doch wieder ernsthaft zusammensetzen, um eine neue Regierung zu bilden.

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