Geigenbauer in München:"Früher gehörte es zum Berufsethos, sich einen alten Italiener zu leisten"

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Im Bayerischen Nationalmuseum hängt derzeit der Himmel voller Geigen. Experten wie Wolfgang Schiele geben Tipps zum Klang und zum Wert der Instrumente. (Foto: Corinna Guthknecht)

Als Wolfgang Schiele 1990 seine eigene Werkstatt eröffnete, gab es nur zehn Geigenbauer in München. Mittlerweile existieren 30 nebeneinander - aber die Nachfrage ist ungebrochen groß.

Von Martina Scherf

Als Wolfgang Schiele in New York zum ersten Mal Hand an eine alte Amati anlegen durfte, Baujahr circa 1660, empfand er Ehrfurcht. Es war ein Vertrauensbeweis, den ihm die Werkstattmeister Peter und Wendela Moes dabei erwiesen. Das deutsch-amerikanische Paar hatte sich einst an der Geigenbauschule in Mittenwald kennen und lieben gelernt und gehörte damals schon zu den bekanntesten Geigenbauern der USA. Drei Jahre hat Schiele mit ihnen gearbeitet. Im letzten Jahr begann die Arbeit an dem historischen Instrument, das ein Arzt aus Boston zum Restaurieren gebracht hatte. "Und jeder Stammkunde, der in den Laden kam, fragte: Na, wie geht's der Amati heute?"

Mensch und Geige, das ist eine innige Beziehung. Vielleicht noch inniger als zum Klavier oder zum Saxofon. Das warme Holz, der sinnliche Klang - und schon die Haltung der Geige fordert Hingabe. Das Üben ist anfangs eine schmerzhafte Prozedur, die Hürde, dranzubleiben, ist hoch. Doch wer es geschafft hat, sagen die Geiger, spürt irgendwann diese Magie.

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Das gilt in ähnlicher Weise auch für Bratsche oder Cello. In New York gehörten Stars wie der Cellist Yo-Yo Ma und der Violinist Isaac Stern zu den Kunden der Moes. Und jeder große Musiker hat eine Vorstellung vom Klang seines Instruments - heller oder dunkler, kräftiger oder zarter - die gilt es für die Geigenbauer zu treffen.

Schiele, 1959 in Berlin geboren, hatte ebenfalls in Mittenwald gelernt und vor seinem New-York-Aufenthalt schon bei Geigenbauern in Frankreich gearbeitet. Erst nach zehn Jahren Lehr- und Gesellenzeit in mehreren Ländern fühlte er sich reif für die Meisterprüfung. Danach baute er in London für einen Händler wertvoller alter Geigen die Werkstatt auf. "Man lernt ja sein Leben lang nicht aus", erzählt Schiele und streicht über die Decke der Geige, die vor ihm auf dem Tisch liegt, "denn jeder Riss ist anders. Du musst Hunderte Risse behandelt haben, bevor du die nötige Erfahrung hast." Schiele spricht leise und konzentriert, er überlegt jeden Satz genau, so als ginge es darum, das Schnitzmesser sorgfältig ans Holz zu setzen. Seine schlanken Finger unterstreichen die Worte mit vorsichtigen Gesten.

Als Schiele dann 1990 in der Fraunhofer Straße in München seine eigene Werkstatt eröffnete, "da gab es nur zehn Geigenbauer in der Stadt", erzählt er. Sein erster Kunde war Michael Hell, Solocellist der Münchner Philharmoniker. Sie sind bis heute befreundet. Inzwischen hat der Geigenbauer die Werkstatt in seine Wohnung im Lehel verlegt, das ist günstiger und lässt sich besser mit der Familie vereinbaren.

Die Nachfrage in München ist groß

Und die Konkurrenz ist gewachsen. Etwa 30 Geigenbauerwerkstätten gibt es heute in München und Umgebung. Einige von ihnen stellen sich bis Sonntag bei den Geigentagen im Mars-Venus-Saal des Bayerischen Nationalmuseums vor, die Schiele zusammen mit den Kollegen Susanne Conradi und Robert Eibl organisiert hat. Sie machen das seit Jahren, um mehr Aufmerksamkeit auf ihr Handwerk und das Instrument zu lenken. Wobei, "in einer Stadt, die sechs große Berufsorchester, eine angesehene Musikhochschule und mehr als 40 Amateurorchester hat, dazu ein Bildungsbürgertum, das seine Kinder ein Instrument lernen lässt, ist die Nachfrage ungebrochen groß", sagt Schiele. Rund 2000 Euro kostet ein Einsteigermodell, die Orchestergeige etwa zehn Mal so viel. Eine Stradivari, wie sie Anne-Sophie Mutter spielt, geht in die Millionen.

"Früher gehörte es zum Berufsethos, sich einen alten Italiener zu leisten", sagt Schiele. Doch mit Schulden von 100 000 Euro oder mehr seine Karriere zu starten, passe heute nicht mehr so recht in die Zeit. Deswegen lassen sich viele Musiker ihre Geigen beim Meister ihrer Wahl bauen. Schiele hat sich intensiv mit der Geschichte des Geigenbaus beschäftigt. Aus Nordafrika kamen die Saiteninstrumente nach Spanien und Süddeutschland, von dort gelangten sie nach Oberitalien. In Cremona entstanden dann die berühmtesten Werkstätten der Welt. Nicola Amati, Antonio Stradivari, Giuseppe Guarneri, diese Namen klingen bis heute wie Gold. Und der ideale Geigenbau, sagt Schiele, folgt dem Goldenen Schnitt. Wie in der Architektur der Renaissance, der Malerei, der Bildhauerei. "Als Grundmaß diente damals die Cremoneser Elle, die noch heute am Glockenturm von Cremona in Stein gemeißelt ist", erzählt der Geigenbauer. Dann brauchte es nur noch Kreis, Dreieck, Hexagramm und Quadrat, und schon hatte man die idealen Proportionen. "Da brauchen Sie nur Zirkel und Lineal."

Im Familienleben der Schieles spielt Musik eine zentrale Rolle. Gemeinsam mit seiner Frau spielt der Geigenbauer in einem Amateurorchester und ist Konzertmeister. Tochter Antonia kommt an den Tisch, auf dem die kleine Kindergeige liegt, die der Papa ihr gebaut hat. Sie ist sichtlich stolz darauf und kann mit ihren acht Jahren schon bei Vivaldi und Telemann mitreden. Ihr fünfjähriger Bruder spielt Cello. Sie haben privaten Unterricht, spielen aber im Orchester der Städtischen Sing- und Musikschule. "Das ist ein wunderbarer Weg, die Freude am gemeinsamen Spielen zu fördern", sagt ihr Vater. "Und bei den Ferienfahrten machen wir immer ein Lagerfeuer", erzählt Antonia. Und das Üben? "Das kann man in den Tagesablauf einbauen wie Zähneputzen", sagt der Vater. "Wenn sie dann die erste kleine Melodie können, springt der Funke über, denn Klang spricht doch immer die Seele an."

Münchner Geigentage im Bayerischen Nationalmuseum, bis 26. Mai: www.muenchner-geigentage.de

© SZ vom 22.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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