Soziale Medien:Das Ungeheuer Facebook muss zerlegt werden

Soziale Medien: Mark Zuckerberg sieht sich wachsender Kritik ausgesetzt. Sogar Chris Hughes, ein Mitbegründer von Facebook, wendet sich gegen ihn.

Mark Zuckerberg sieht sich wachsender Kritik ausgesetzt. Sogar Chris Hughes, ein Mitbegründer von Facebook, wendet sich gegen ihn.

(Foto: AFP)

Die Debatte über den zerstörerischen Einfluss des Monopolisten hat endlich auch die USA erreicht. Sogar ein Miterfinder fordert: Der Staat muss eingreifen.

Kolumne von Norbert Frei

Vielleicht ist es die räumliche Nähe - das Hauptquartier von Facebook ist keine 30 Fahrradminuten von meinem Büro in Stanford entfernt -, die mich immer wieder an das Plädoyer denken lässt, mit dem Mark Zuckerbergs einstiger Kommilitone Chris Hughes am vorvergangenen Sonntag in der New York Times an die Öffentlichkeit trat. Über vier Zeitungsseiten erstreckt sich der Text, in dem Hughes die Zerschlagung des Unternehmens fordert, das er vor 15 Jahren mit Zuckerberg und drei weiteren Harvard-Studenten gegründet hat. Aus der group of nerds von damals sind mindestens Halb-, meist Multimilliardäre in ihren Dreißigern geworden, und wenn sie sich erinnern, hängt der Stolz auf die gemeinsame Großtat noch immer in der Luft. Doch nun schwenkt einer von ihnen radikal um.

"Die Regierung muss Mark zur Rechenschaft ziehen", schreibt Hughes, der nach seinem Ausstieg bei Facebook 2008 für Barack Obama in den Digitalwahlkampf zog. "Wir sind eine Nation, die eine Tradition darin hat, Monopolen die Zügel anzulegen, ganz einerlei, wie wohlmeinend die Chefs solcher Unternehmen sein mögen. Marks Macht ist präzedenzlos und unamerikanisch."

Wer die seit Jahren sich auftürmenden Nachrichten über die Nachtseiten von Facebook verfolgt hat, dem erklärt dessen Mitgründer womöglich nicht viel Neues; immerhin sind wir über die schlimmsten politischen Skandale wie die Preisgabe von Nutzerdaten an Trumps Wahlkampf-Manipulatoren von Cambridge Analytica schon länger im Bild - dank intensiver Recherchen übrigens der viel geschmähten "alten" Medien.

Hughes' Ausführungen über die Macht der Algorithmen im Allgemeinen und die Praktiken bei Facebook im Besonderen könnten gleichwohl einen Wendepunkt markieren. Denn nicht nur spricht hier einer der Miterfinder des mit Abstand größten sozialen Netzwerks der Erde. Fast nebenbei zeichnet der noch immer junge Mann das Bild einer Tech-Gesellschaft von bedrückender politischer Ignoranz und ökonomischer Ahnungslosigkeit. So zitiert er zum Beispiel Freunde ("mehr als nur einen"), die nicht einmal wissen, dass Facebook nicht entkommt, wer zu Whatsapp, Messenger oder Instagram wechselt, weil alle diese Anbieter zu Zuckerbergs Imperium gehören. Man hätte unter den "Millennials", wenn schon keine Vertrautheit mit der Logik des Kapitalismus, doch wenigstens Kenntnis über die Herkunft der Dinge vermutet, mit denen sie alltäglich hantieren.

Es ist wohl auch dieses Erschrecken über die eigenen Peers, die Chris Hughes nun auf staatliche Regulierung setzen lässt. Genauer gesagt, liegen seine Hoffnungen bei der 1914 gegründeten Federal Trade Commission. Schon deren entschlossener Versuch, das von ihm, Hughes, mitgeschaffene Ungeheuer zu zerlegen, werde Wirkung entfalten: "Ein aggressives Vorgehen gegen Facebook würde andere Behemoths wie Google und Amazon veranlassen, künftig zweimal über die Ausschaltung des Wettbewerbs in ihren Bereichen nachzudenken: aus Angst, sie könnten die Nächsten sein."

Dass nun ausgerechnet einer aus der Gründergeneration der sozialen Medien nach politischem Eingreifen verlangt, ruft die Geschichte von J. Robert Oppenheimer in Erinnerung: Der hochbegabte Kopf des amerikanischen Atomprogramms im Zweiten Weltkrieg begann sich unter dem Eindruck des Abwurfs der Bomben auf Hiroshima und Nagasaki vor einem nuklearen Wettrüsten zu fürchten - und engagierte sich fortan so sehr für eine internationale Kontrolle der Kernenergie, dass er im Zeitalter des Antikommunismus in Verdacht geriet, sowjetischer Spion zu sein.

Derlei Tragik steht im Silicon Valley nicht zu erwarten. Auch dass Chris Hughes allem Anschein nach kein kalifornischer Kevin Kühnert werden will, dürfte im Sinne einer Lösung sein. Denn so schwierig die Ver(welt)gesellschaftlichung global agierender Kommunikationsplattformen werden würde, so unbestreitbar sind die pragmatischen Möglichkeiten, den Zug in Richtung eines Zuckerberg-Monopols aufzuhalten. Zu Recht erinnert Hughes an den Sherman Antitrust Act von 1890, der in den USA bis heute die Zerschlagung wettbewerbsschädlicher Monopole ermöglicht. Die produktiven Kräfte, die solche Eingriffe immer wieder (und auf Dauer selten zu Lasten der Kapitaleigner) freigesetzt haben, zeigten sich zum Beispiel 1911 bei der Entflechtung von Rockefellers Standard Oil Company oder 1982 bei der Aufteilung des nationalen Telefonriesen AT&T. Es ist nicht einzusehen, warum dergleichen auf dem Feld der Digitalwirtschaft nicht ebenfalls möglich sein sollte - auch wenn ein Verfahren gegen Microsoft 1994 ergebnislos blieb.

Die EU-Kommission hat bewiesen: Facebook und Co. sind nicht unangreifbar

Das klassische Argument der Preisverzerrung durch Monopole ist gegenüber Unternehmen wie Facebook kaum noch von Bedeutung. Doch inzwischen spricht sich unter uns Nutzern herum, dass wir für die vermeintlich kostenlosen Dienste mit unseren Daten bezahlen. An dieser Stelle könnte ein Entflechtungsverfahren ansetzen, dessen Ziel es wäre, neuen Anbietern Chancen zu eröffnen, die ihre Grundsätze des data mining offenlegen oder gegen Bezahlung ganz darauf verzichten.

Dass Facebook und Co. nicht unangreifbar sind und die Machtverteilung in der digitalen Welt nicht so undemokratisch bleiben muss, wie sie ist, hat die Europäische Kommission in der Person von Margrethe Vestager bereits bewiesen. Mit zähen Wettbewerbsverfahren und Strafbefehlen gegen Google, Apple und Facebook hat die Dänin in den vergangenen Jahren auch nach dem Eindruck vieler Kritiker der Tech-Giganten einiges erreicht. Im Silicon Valley jedenfalls wird die Kommissarin inzwischen in einer Reihe mit den Senatorinnen Elizabeth Warren und Amy Klobuchar genannt, die beide 2020 für die Demokraten gegen Trump kandidieren wollen; beide haben angekündigt, Facebook zerlegen beziehungsweise dessen Zukäufe von Instagram und Whatsapp überprüfen zu wollen.

Nicht mehr ausgeschlossen also, dass die Digitalindustrie mit dem von ihr verfochtenen Prinzip der Disruption nun selbst Bekanntschaft macht. Der globalen Kommunikationskultur könnte das nur nützen.

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Kolumne von Norbert Frei

Norbert Frei ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena, er leitet das Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts. Alle Kolumnen von ihm lesen Sie hier.

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