Landwirtschaft:Zwei gegen das Prinzip "Wachsen oder weichen"

Lesezeit: 7 min

Kreisobmann Peter Fichtner (links) und Hans Urban finden trotz persönlich unterschiedlicher Herangehensweise an die Landwirtschaft gemeinsame Hoffnungen für die Zukunft. (Foto: Manfred Neubauer)

Der eine ist ökologischer Landwirt und Politiker, der andere konventioneller Bauer und Kreisobmann: Im Doppelinterview erklären Hans Urban und Peter Fichtner, was es mit den Direktzahlungen der EU - der sogenannten Flächenförderung - auf sich hat und was sie sich von der Politik erhoffen, damit auch kleine Betriebe überleben können

Interview von Nora Schumann, Bad Tölz-Wolfratshausen

Hans Urban sitzt für die Grünen im Landtag und betreibt seit 14 Jahren in zweiter Generation einen Biobetrieb. Peter Fichtner ist Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbands und betreibt seit 33 Jahren einen kleinen konventionellen Milchviehbetrieb. Seit dem Tag der Übernahme arbeitet er gleichzeitig in einem sozialversicherten Teilzeitjob. Beide Landwirte führen ihre Betriebe als Nebenerwerb.

SZ: Sie führen beide einen landwirtschaftlichen Betrieb, was hat sich im Laufe der Jahre verändert?

Peter Fichtner: Die ganze Wertschätzung innerhalb der Gesellschaft, das hat sich am meisten verändert. Globalisierten Handel hatten wir, als ich anfing, auch noch nicht. Zuvor war der Markt relativ abgeschirmt mit Marktstützungsmaßnahmen, ob die gut oder schlecht waren, darüber kann man debattieren. Die Milchquotenregelung war starr, trotzdem gab es damals bessere Milchpreise als heute. Durch den Mauerfall gab's dann massive Preiseinbrüche bei Milch und Fleisch. Der Markt hat sich davon nicht mehr wirklich erholt, auch durch die ständigen EU-Erweiterungen.

Hans Urban: Ich habe die Phase der Einführung und Auflösung des Kontingents nicht mehr mitgekriegt. Die Milchpreisquote ist 2015 ausgelaufen. Die Mengenregulierung war vielleicht nicht optimal, aber sie hat den Preis gehalten. Heute haben wir das Prinzip "Wachse oder weiche". Die Ansage war eigentlich: Man will die Anzahl der Betriebe erhalten, aber man will die Wertschöpfung in den Betrieben erhöhen, dann bräuchte man aber eine ganz andere Politik. Eigentlich hätte die neue GAP (Anmerk. Red: Gemeinsame Agrarpolitik)-Periode 2020 beginnen sollen und das wurde jetzt schon auf 2023 verschoben, weil sich keiner der Mitgliedsstaaten wirklich der Diskussion stellen will. Das ist ein unpopuläres Thema, den Großbetrieben zu sagen, das was wir die letzten 20 Jahre verfolgt haben, ist jetzt nicht mehr unser Ziel.

Fichtner: Was sich in dieser Zeit massiv verstärkt hat, ist der Bürokratismus. Ich habe erst dieser Tage einen Fall gehabt: Betriebskontrolle-Qualitätsmanagement. Der Prüfbericht hat mehrere Seiten, was wir für Viecher im Stall haben - und das kann's nicht sein.

Schafft nicht die EU-Politik, sondern die deutsche Umsetzung der EU-Regelungen die Probleme?

Fichtner: Das ist richtig. Die EU-Politik ist ein bisschen beständiger, nicht so sprunghaft. Das beste Beispiel ist die Datenschutzgrundverordnung. Die EU hat gesagt, die Verordnung gilt für Betriebe ab 250 Mitarbeiter und Deutschland hat gesagt, nana, die gilt für jeden. Da gibt's Kosten und Zertifizierungen in vielfältigster Weise, wir zertifizieren uns zu Tode. Oder die Düngeverordnung, die in aller Munde ist. Die österreichische Düngeverordnung ist gesetzeskonform, aber komischerweise viel einfacher als die deutsche. Diese ganze Dokumentationspflicht bei der Düngeverordnung, die macht nur Deutschland.

Urban: Das sollte man vielleicht kurz erklären: Ausschlaggebend ist die europäische Wasserrahmenrichtlinie, die gibt den Standard vor, wie Wasser einzustufen ist. Und dann gibt es die nationale Umsetzung, bei uns jetzt die Düngeverordnung. Und da hat man feststellen müssen, dass wir in Deutschland Nitrateinträge in gewaltigem Ausmaß haben, aber nicht flächendeckend. Man hat dann ein einheitliches, sehr kompliziertes Werk geschaffen, was für kleine Betriebe schwer umsetzbar ist. Da gebe ich deutscher Politik schon eine Schuld, weil die Wasserrahmenrichtlinie, die haben deutsche Politiker in Brüssel mit beschlossen.

Die europäischen Richtlinien an sich sind also sinnvoll?

Urban: Das beste Beispiel ist da die GAP. Da geht es um die EU-Förderung. Es gibt die erste und die zweite Säule. Die erste Säule ist die Flächenförderung, die zweite Säule ist die Umweltförderung, aber auch die Leader-Förderung und so weiter. Und die EU hat bisher bis zu 30 Prozent eine Umschichtung von der ersten in die zweite Säule ermöglicht. Das setzt aber voraus, dass das Mitgliedsland, in diesem Fall der Freistaat Bayern, die Umschichtung mit 50 Prozent co-fördert. Deshalb ist das recht unbeliebt im Freistaat Bayern.

Könnten die Umwelt und die Entwicklung des ländlichen Raums mit der doppelten Menge an Geld gefördert werden, wenn die deutsche beziehungsweise die bayerische Regierung das wollen würde?

Urban: Der Freistaat könnte schon sagen, wir wollen ein höchstmögliches Maß an Geldern verschieben.

Die zweite Säule steht unter anderem für Umweltschutzmaßnahmen. Welche Auswirkungen hat die Flächenförderung der ersten Säule auf die Förderung von konventionellem und ökologischen Landbau?

Urban: Der bayerische Durchschnittsbetrieb hat 35 Hektar und diese Zahl sagt uns, dass die meisten weniger als 35 Hektar haben, und für die muss ich doch Politik machen. Die profitieren nicht von der Flächenförderung. Der Bauer, der mit viel Arbeitseinsatz die Buckelwiese im Mittenwald mäht oder irgendwo einen Magerrasen pflegt oder Hecken pflanzt, der leistet doch mehr fürs Gemeinwohl, die Artenvielfalt und den Lebensraum insgesamt. Förderkriterien muss ich nach Umweltleistung und Arbeitskraft ausrichten, aber auch danach, wie ich die Betriebe strukturell haben will in meinem Land.

Fichtner: Ich habe einen konventionellen Betrieb, wir sind aber relativ weit weg von der Intensivierung. Um meinen Grund gehen 1, 5 Kilometer Zaun, reine Hecken. Wir haben das nie weggeschnitten. In unserem Ortsteil gibt es sieben Bauern mit mehr oder weniger der gleichen Situation. Wenn wir das zusammenschmeißen und einen Betrieb machen, kommt als allererstes der große Bauer und reißt alle Hecken raus. Dann wird sechsmal im Jahr mit dem Großflächenmäher gemäht, zehn mal im Jahr Gülle gefahren. Das entspricht dann zwar den Bio-Verordnungen, aber das will keiner. Und daran sieht man das Problem des Schwarzweißdenkens in Bezug auf konventionell und bio.

Urban: Natürlich hat man festgestellt, dass bei einer extensiv genutzten Grünfläche die Wasserspeicherkapazität und Artenvielfalt höher ist. Wir sollten die Förderung auf den Wert von Lebensraum verlagern - also auf die Meter Hecken sollten wir was zahlen, wenn einer die schon hat. Dann wäre es für einen 200 Hektar Betrieb schwerer, wenn er 15 Kilometer Hecken pflanzen muss. Die pauschale Flächenförderung hat uns weder in der Artenvielfalt noch bei der Förderung von kleinbäuerlichen Betrieben geholfen.

Welche Verbesserungen der EU-Richtlinien bedürfte es?

Fichtner: Auf alle Fälle, wenn's denn bei der ersten Säule bleibt, die wesentlich stärker staffeln. Wir hatten mal einen Staatssekretär vom Bundeslandwirtschaftsmuseum dagehabt, der wurde auch gefragt: Braucht der 250 Hektar Ackerbaubetrieb noch Förderung? Der hat gesagt, nein, der müsste auch ohne Förderung zurechtkommen. Aber die momentane Rechtslage wird sich nicht ändern, weil der Einfluss verschiedener Lobbyisten, von der Landmaschinenindustrie bis zu Funktionären des bayerischen und deutschen Bauernverbands, die große Betriebe haben, mit reinspielt.

Wie ist denn das Verhältnis von großen Betrieben, die von der Flächenförderung profitieren, im Vergleich zu kleineren Betrieben, die davon nicht oder weniger gefördert werden?

Fichtner: Es gibt da diese 80/20-Regelung, aber die stimmt halt nur zum Teil.

Urban: Zehn Prozent der Betriebe profitieren gewaltig.

Wie kann es dann sein, dass die große Mehrheit der Betriebe, die ja nicht von der Flächenförderung profitieren, sich dieser Regelung nicht verweigern?

Urban: Das unterstelle ich dem Verband. Es ist ja perfide, was da abläuft. Da werden die kleinen Betriebe benutzt, um den Großen Deckung zu geben. Und das läuft in diesem Verband vollkommen falsch.

Fichtner: Die Agrarförderung hat sich halt aus der Struktur heraus so entwickelt, die erste große Förderung war 1992. Das war das Ende der Marktstützungsmaßnahmen. Da hat man das System gewendet und die Landwirte entschädigt. Und wie hat man das errechnet? Man hat geschaut: Was ist der Produktionswert pro Hektar, was geht dem Landwirt durch die Öffnung der Märkte verloren, das kriegt der pro Hektar ersetzt. Ein ganz einfaches Rechenmittel, von dem man sich leider bis heute nicht verabschieden konnte und wollte.

Urban: Der Verband macht keine Politik für den bayerischen Durchschnittsbetrieb mit 35 Hektar, vor zehn Jahren waren es im Durchschnitt noch 25 Hektar. Die Interessen dieser Betriebe sind nie vertreten worden.

Fichtner: Das Problem ist, dass diese Entscheidungen nicht vom bayerischen Bauernverband getroffen werden, sondern vom deutschen, und der bayerische Verband ist nur einer von 16 Verbänden im deutschen Bauernverband. Und auch dieser Verband funktioniert nach demokratischen Prinzipien und wenn ich keine Mehrheit zusammenbringe, dann geht's halt nicht.

Urban: Aber in Bayern kann ich das separat gestalten.

Fichtner: Nein, weil der Bauernverband nicht maßgebend ist für die Politik.

Urban: Aber der hat schon Einfluss, ich kann schon mitreden, dass der Bauernpräsident die Ministerin im Würgegriff hat. Aber der Verband ist nicht gewillt, Politik für die Mehrheit der bäuerlichen Mitglieder zu machen. Und das ist das, was mich furchtbar stört.

Der bayerische und der deutsche Bauernverband sind demokratisch organisiert. Wenn nur zehn Prozent der Landwirte tatsächlich von der Flächenförderung profitieren, warum wehren sich die restlichen 90 Prozent nicht gegen diese Politik?

Urban: Weil man's hinnimmt. Erst mal müsste innerhalb des Verbandes etwas passieren. Da müsste eine echte Interessensvertretung stattfinden, da ist Demokratie nicht wirklich vorhanden.

Fichtner: Da gibt's dann das Problem, ich hab's nicht erst einmal gehört, dass mir mangelnde Solidarität zum gesamten Betrieb vorgeworfen wurde. Und interessanterweise gibt es Menschen, die haben das zwanzigfache an Kühen und werfen mir mangelnde Solidarität vor. Angeblich sind große Betriebe schon ausgetreten, weil man nicht genug für sie tut. Vereinfacht gesagt: Weil der ein oder andere nicht genug kriegt. Das ist leider so. Das hat man in anderen Bereichen auch, das ist ein Wohlstandsdenken.

Kleinbauern geht es an den Kragen und sie tun sich trotzdem nicht zusammen?

Fichtner: Viele Kollegen wollen das leider auch nicht, dass die Kleinen gestärkt werden. Das muss man ganz offen sagen: Das ist ein Riesenproblem.

Urban: Wenn's der Berufsstand nicht hinbringt, dann muss die Politik da helfen. Wir haben da mehrere Faktoren: Einmal mangelnde Beteiligung vom Einzelnen. Und dann diese gewaltige Konkurrenzsituation um Boden.

Die Flächenförderung begünstigt auch die Spaltung der Bauergemeinschaft?

Urban: Genau, das treibt uns in eine Konkurrenzsituation.

Fichtner: Ich habe jetzt mit einem geredet, der hat mir gesagt, in seiner Gemeinde wird von Preisen von 750 Euro pro Hektar Grünland geredet, nicht ackerfähig, das Doppelte was die Flächenförderung ausmacht und bestimmte Betriebe sind bereit, bis 1000 Euro pro Hektar zu gehen. Da muss ich sagen, ich müsste eigentlich meine 15 Hektar verpachten.

Urban: Aber das ist ja nicht das, was wir erreichen wollen. Deshalb machen wir beide das ja aus Überzeugung. Deshalb müssen wir die Förderung gezielt auf kleine Betriebe ummünzen.

Könnte die EU da eine Chance sein?

Fichtner: Brüssel sagt immer, sie legen nur den Rahmen fest. Die Schwierigkeit ist eigentlich, dass man in der gesamten Politik niemanden mehr hat, der sich für eine Entscheidung hinstellt und sagt, so machen wir's und dazu stehe ich. Das fängt leider ganz unten an.

Urban: Genau. Politik muss ein aktiver Prozess sein. Wenn ich demokratische Entscheidungen einfordere, muss ich auch die Informationen dazu austeilen. Europäische Politik ist nicht an Bayern vorbeigegangen. Die wurde immer von bayerischen Politikern mitgestaltet, die haben's halt nicht kommuniziert.

Was würden Sie sich auf EU-Ebene von der (Landwirtschafts-)Politik wünschen?

Urban: Die Förderung ausrichten an der Arbeitskraft, an der Umweltleistung und vielleicht auch an der gesellschaftlichen Leistung.

Fichtner: Weniger von dem Bürokratiewahnsinn, den wir auch in Deutschland aufbauen. Weil leben tun wir von der produktiven Arbeit.

Urban: Grundsätzlich will ich anlässlich der Wahl darauf hinweisen, wie wichtig Europa ist und dass das Schlechteste ist, Protest zu wählen. Man sollte die Wahlen nutzen, Politik wieder präsent zu machen, dass an jedem Stammtisch diskutiert wird. Und dass wir uns bewusst sind, dass Europa täglich vor unserer Nase stattfindet.

Fichtner: Wir haben jetzt über 70 Jahre Frieden. Wir sollten regionale Stärken hervorheben, aber das große Gemeinsame suchen und fördern. Jeder von uns kennt die Schwächen vom Euro, aber auch die Vorzüge. Wenn ich irgendwo über die Grenze fahre, verstehe ich den guten Mann zwar nicht, aber wenn da 3,50 Euro steht, leg ich ihm das hin und sag "basst scho".

© SZ vom 25.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: