Russland:Läuten gehört

Russland: Skepsis auf beiden Seiten des Zauns: Bürger von Jekaterinburg demonstrieren gegen den Bau einer Kirche im Stadtpark.

Skepsis auf beiden Seiten des Zauns: Bürger von Jekaterinburg demonstrieren gegen den Bau einer Kirche im Stadtpark.

(Foto: Alexei Vladykin/AFP)

In Jekaterinburg haben Proteste den Bau einer Kirche verhindert, nachdem sich der Präsident eingeschaltet hat. Doch die Behörden sind verunsichert.

Von Silke Bigalke, Moskau

Kurz sah es so aus, als sei der große Streit um den kleinen Park vorüber. Als hätten sich die Bürger im russischen Jekaterinburg durchgesetzt. Die Mehrheit dort möchte die Grünanlage am Flussufer behalten. Sie will nicht, dass die Kirche den Park mit einem weiteren Gotteshaus verbaut. Das Projekt, gegen das sich Tausende Demonstranten gewehrt haben, ist vorerst gestoppt. Der Park ist zwar noch nicht gerettet. Trotzdem zeigen die Proteste in Jekaterinburg, welche Kraft die Zivilbevölkerung auch in Russland entwickeln kann, wenn sie sich ignoriert fühlt. Und wie unsicher das politische System auf Gegenwehr der Bürger reagiert.

Es gibt in Russland immer wieder Demonstrationen gegen Kirchenbauten. Das liegt auch daran, dass die orthodoxe Kirche Gotteshäuser wie am Fließband neu errichtet oder wiederaufbaut, nach eigenen Angaben etwa eintausend im Jahr. Verglichen damit ist die Zahl der Proteste fast verschwindend gering: In mindestens 28 russischen Städten sind in den vergangenen fünf Jahren Menschen gegen Bauprojekte der orthodoxen Kirche auf die Straße gegangen, hat das Analyseunternehmen M13 gezählt. Besonders häufig in Moskau.

Doch über keinen Fall ist landesweit so intensiv berichtet worden wie über Jekaterinburg. Das liegt zum einen wohl an der großen Anzahl und der Hartnäckigkeit der Demonstranten. Die neue Kirche soll die Kathedrale der heiligen Jekaterina ersetzen, die zur Sowjetzeit in der Nähe gesprengt wurde. In vier Jahren feiert Jekaterinburg 300. Gründungsjubiläum, bis dahin sollte der Bau fertig sein. Ein Großprojekt also, von langer Hand geplant. Zwei reiche Geschäftsleute sind Hauptgeldgeber, sie wollen auf dem Gelände gleichzeitig Wohn- und Geschäftshäuser bauen. Die orthodoxe Kirche ist Anker für die konservative Wertegrundlage, die Präsident Wladimir Putin propagiert. Sie ist eng mit der Politik verbunden, was ihr Macht und finanzielle Mittel garantiert.

Doch als die Arbeiter Anfang voriger Woche ihren Bauzaun um die Grünfläche zogen, weckte das die Wut der Parkbesucher. Mehrere Tausend protestierten, zündeten Kerzen an, rissen den Zaun ein, stießen mit der Polizei und Kirchenbefürwortern zusammen, die sich unter die Menge mischten. Trotzdem kamen die Demonstranten am nächsten Tag wieder. Fast hundert Menschen wurden festgenommen.

Es gibt eine Kettenreaktion: Auch in anderen Städten sind nun Kirchenprojekte ausgesetzt

Der Fall Jekaterinburg ist auch deswegen besonders, weil sich Putin eingemischt hat. Der bezeichnete die Demonstranten zunächst als Atheisten, entschied sich dann aber, das Problem eigenhändig zu lösen. "Es gibt einen einfachen Weg, das zu tun", sagt er. "Führt eine Umfrage durch und dann muss sich die Minderheit der Mehrheit unterordnen." Vielleicht hatte er darauf gehofft, dass es sich bei den Demonstranten nur um eine gottlose Minderheit handelte. Der Bau wurde jedenfalls zunächst gestoppt und die Mauer, die den eingerissenen Zaun ersetzte, wieder abgetragen. Die Lage entspannte sich. Noch aber glaubte kaum jemand, dass sich die Bürger durchsetzen würden. Dann rief das eher kremlnahe Umfrageinstitut Wziom bei 3000 von ihnen an. Das Ergebnis: Fast drei Viertel wollen keine Kirche im Park. 18 Prozent sind überhaupt dagegen, dass noch eine Kirche in der Stadt gebaut wird.

Die Kirche müsse einen anderen Ort in der Stadt finden, forderte der Gouverneur der Region, Jewgenij Kuwajschew. Der Bürgermeister in Jekaterinburg aber ist dagegen. Nun soll eine Arbeitsgruppe entscheidet, ob es eine weitere Umfrage oder sogar ein Referendum gibt.

Derweil hat der Kirchenstress in der viertgrößten Stadt Russlands zu einer Art Kettenreaktion geführt. Krasnojarsk hat ein Kirchenprojekt ausgesetzt, in Tscheljabinsk ist der Bau verschoben, in Uljanowsk will man die Bürger befragen. Es gibt offenbar keine Strategie, mit deren Widerstand umzugehen. Der entwickelt zunehmend Energie, das zeigen auch die monatelangen Proteste gegen eine Mülldeponie in der Region Archangelsk. Die Menschen ärgert, das über ihren Kopf hinweg entschieden wird, sie vertrauen ihren lokalen Politikern nicht. Dass Putin als Vermittler eingesprungen ist, zeigt auch, dass es sonst an Vermittlern mangelt. Die Ruhe in Jekaterinburg dauert sicher nur so lange, bis wieder ein Zaun gezogen wird.

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