Theater:Schaumschläger auf schmierigem Grund

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Saubere Arbeit: Zeynep Bozbay (links) und Julia Windischbauer sind nicht zum Reinemachen auf der Bühne, sondern zum Reden. (Foto: Gabriela Neeb)

Kevin Barz seift Alexander Schimmelbuschs Roman "Hochdeutschland" an den Kammerspielen ein

Von Egbert Tholl, München

Muss man das Manifest eines megareichen Bankers ernstnehmen, der eine Art Überdrüssigkeitsschub die eigene Existenz und die Gesellschaft an sich betreffend kriegt und sich dazu im Hotel Adlon in Berlin eine Peking-Ente für zwei Personen und dazu eine Flasche Wein für 2400 Euro aufs Zimmer bringen lässt? Das tut Victor, also das mit der Ente und dem Wein, nebenbei schreibt es sein Manifest, weil: "Deutschland war ein Land der Dichter und Denker und kein Land der Milliardäre und Jachtbesitzer." Den ersten Teil des Satzes würde er zwar vermutlich revidieren nach einem Besuch beim Media Markt, quasi eine Erkundung auf ihm soziologisch bislang fremdem Terrain unter Menschen, die Ein-Euro-Plastikjacken tragen. Aber was bleibt, ist das Nachdenken über die maßlose Ungerechtigkeit der Vermögensverteilung in diesem Land, deshalb also das Manifest. Dieses ist teilweise klug, teilweise purer Populismus, teilweise abenteuerlich und kehrt Splitter und Krümel dessen zusammen, was uns an Ängsten, Thesen und Utopien umgibt.

Vor gut einem Jahr kam Alexander Schimmelbuschs Roman "Hochdeutschland" heraus, jetzt hat ihn Kevin Barz in die Spielhalle der Kammerspiele, sagen wir mal, hineininstalliert. Schimmelbusch war einige Jahre lang Investmentbanker, dann fing er an, Romane zu schreiben. Im Grunde wirkt der Victor des Buches wie eine Spiegelfigur von ihm, auch ein Banker, der etwas aufschreibt wie einen Ablassbrief für all das Geld, das er angehäuft hat.

Barz agiert inszenatorisch eher scheu. Fürs größte Theater sorgt das immer wieder hochdramatische, in Neonröhrenstelen auch erzählerisch eingesetzte Licht von Christian Schweig. Die Bühne ist voll mit einem halben Meter hohen Schaum, auch weil Victor in einer Luxusbleibe über dem Nebel von Frankfurt residiert. Und weil im Schaum jede Eigentlichkeit verschwindet. Im Schaum stehen vier weißgekleidete Menschen, die sich im Erzählen abwechseln, sie reden über Victor, der letztlich gar nicht da ist, sie reden sehr viel. Zwei können dies gut, Zeynep Bozbay und Julia Windischbauer, die zwei anderen, Abdoul Kader Traoré und Jannik Mioducki, wären in einer Aufführung, die nicht fast ausschließlich auf die Vermittlung von Sprache setzte, deutlich besser aufgehoben. Aus einem krächzenden Lautsprecher tönen Informationen, Merkel und AfD-Scheiße, zur vierfach aufgeteilten Lesung des Manifests spielt Sachiko Hara gute, deutsche, romantische Klaviermusik.

Barz entwickelt keine Haltung zum Stoff, nimmt ihn, wie er ist. Aber Schimmelbusch ist (sprachlich) vor allem da gut, wo es sich auf dem Boden der Arroganz eines Bankerlebens bewegt, wenn er etwa über die Qualität von Nudelgerichten bei Vapiano und die bei dieser Nahrungsaufnahmekette herrschenden Arbeitsbedingungen räsoniert. Wird er politisch, wird's seifig, dann rettet sich der Text in eine vage Zukunftsvision, die schon eingetreten ist. Aus dem Manifest wird eine Partei, 25 Millionen Euro sind die Vermögensobergrenze, dagegen formiert sich Widerstand, und eine Terroristin von der PAF, der "Porsche Armee Fraktion", räumt Victor weg.

Haften bleibt indes von diesem Abend nur die hellwache, leuchtende Präsenz von Zeynep Bozbay.

© SZ vom 27.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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