Österreich:Angezählt

Kanzler Sebastian Kurz muss sich an diesem Montag einem Misstrauensvotum im Parlament stellen. Fiele er durch, wäre das ein Novum für Österreich: Noch nie wurde ein Regierungschef auf diese Weise aus dem Amt gejagt.

Von Peter Münch, Wien

Austrian Chancellor Sebastian Kurz and his girlfriend Susanne Thier arrive to cast their votes during European Parliament Elections in Vienna

Am Sonntag wählte Sebastian Kurz mit seiner Freundin Susanne Thier, am Montag wird über ihn abgestimmt.

(Foto: Leonhard Foeger/Reuters)

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz droht an diesem Montag das abrupte Ende seiner Amtszeit. Nach einer turbulenten Woche der Regierungskrisen muss er sich im Parlament einem Misstrauensvotum stellen. Die Stimmung im Lager der Opposition hat sich in den letzten Tagen deutlich verhärtet, obwohl Bundespräsident Alexander Van der Bellen vor einer Verschärfung der Lage gewarnt und für eine "Stabilisierung" bis zur geplanten Neuwahl im September geworben hatte.

Der vom Parlament erzwungene Abgang des Bundeskanzlers wäre ein Novum in Österreichs Geschichte. Anders als in Deutschland, wo bei einem Misstrauensvotum im Bundestag in derselben Sitzung auch ein neuer Kanzler gewählt werden muss, ist in Österreich dann der Bundespräsident am Zug. Er muss umgehend einen neuen Regierungschef ernennen. Dies könnte ein Regierungsmitglied, ein Spitzenbeamter oder auch eine andere erfahrene Persönlichkeit sein.

Kanzler Kurz steht derzeit einer Minderheitsregierung vor, nachdem die erst vor anderthalb Jahren gebildete Koalition mit der FPÖ als Folge der Veröffentlichung des Ibiza-Videos mit dem inzwischen zurückgetretenen FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache gescheitert ist. Im Parlament verfügt seine ÖVP lediglich noch über 61 der insgesamt 183 Sitze. Für einen Erfolg des Misstrauensvotums reicht eine einfache Mehrheit, sofern mindestens die Hälfte der Abgeordneten anwesend ist.

Eingebracht wurde der Misstrauensantrag von der kleinen Liste Jetzt (sieben Sitze)

. Kurz hatte in den vergangenen Tagen mehrfach versucht, seine Position durch Angebote an die Opposition zu verbessern. So traf er sich mit Vertretern aller Parteien und lud auch die Regierungschefs der Länder zum Gespräch ins Kanzleramt. Zudem bot er an, dass alle Fraktionsvorsitzenden an den wöchentlichen Sitzungen des Ministerrats teilnehmen könnten und versprach, dass bis zur Neuwahl im September keine weitreichenden politischen Entscheidungen mehr getroffen würden. "Unsere Hand ist ausgestreckt", betonte er.

Nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos schaltete der Kanzler sofort in den Wahlkampfmodus

Das Echo darauf war jedoch wenig positiv. In der Opposition überwiegt der Eindruck, dass Kurz nur vordergründig den Dialog suche und an die Staatsräson appelliere, in Wirklichkeit aber vor allem an der Absicherung seiner eigenen Position interessiert sei. Als Indiz dafür war gewertet worden, dass er gleich in seinen ersten Reaktionen auf das Ibiza-Video sehr offenkundig in den Wahlkampfmodus umgeschaltet hatte. Mit dem Misstrauensvotum könnte nun zumindest verhindert werden, dass Kurz im Wahlkampf seinen Kanzlerbonus ausspielt.

Natürlich dominieren auch im Lager der Opposition längst wahltaktische Überlegungen sowie vielerlei Abrechnungsgelüste. Aus der FPÖ, die über 51 Sitze verfügt, ist zum Beispiel zu hören, dass die Mitglieder der Fraktion eventuell der Abstimmung fernbleiben könnten. Weil dann nur noch maximal 132 Abgeordnete teilnehmen würden, könnte der Kanzler mithilfe der zehn Stimmen der liberalen Neos, die sich bereits gegen das Misstrauensvotum ausgesprochen haben, die Abstimmung überstehen. Deutlich lauter jedoch sind aus den Reihen der FPÖ die Stimmen derer zu hören, die Kurz nun beim Misstrauensvotum die Quittung dafür geben wollen, dass er die Koalition mit ihnen aufgekündigt hat. In der SPÖ schwankte die Stimmung in den letzten Tagen angesichts des Problems, gemeinsam mit der FPÖ stimmen zu müssen. Am späten Sonntagabend aber entschied sich die Partei für den Kanzlersturz. Das Bundesparteipräsidium der SPÖ habe sich einstimmig dafür ausgesprochen, sagte Parteichefin Pamela Rendi-Wagner in einem Interview mit dem ORF. "Wir sind nach fast dreistündiger Beratung zum Schluss gekommen, dass wir eine Empfehlung abgeben werden an den sozialdemokratischen Parlamentsklub, Sebastian Kurz und seiner ÖVP-Alleinregierung hier das Vertrauen morgen nicht auszusprechen", sagte die SPÖ-Chefin. Das Klima zwischen Kurz und den Sozialdemokraten ist ohnehin schon seit dem Wahlkampf 2017 vergiftet. Zugleich fürchtet die SPÖ jedoch auch negative Folgen. Denn den Sozialdemokraten könnte vorgeworfen werden, das Land noch weiter in die Krise getrieben zu haben. Zudem könnte Kurz den eigenen Sturz im anstehenden Wahlkampf zum Opfermythos veredeln.

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