Amazon-Supermarkt:Hilfe, da will jemand bar bezahlen

Amazon-Go-Supermarkt in New York

Bei Amazon Go gibt es keine Kassen mehr. Wer will, kann in New York dennoch mit Bargeld bezahlen - löst aber erstaunte Reaktionen aus.

(Foto: Michael Nagle/Bloomberg)

Im neuen Amazon-Go-Supermarkt in New York kann man außer per App erstmals auch mit echtem Geld bezahlen. Aber das ist unangenehm.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Wahrscheinlich wird Katie mies bezahlt, und auch das stundenlange Herumstehen am Eingang ist der Laune sicher nicht gerade zuträglich. Aber dass sie nun auch noch den Marsch ins Mittelalter antreten soll, das, so sagt ihre Miene, ist dann doch etwas zu viel des Guten.

Katie ist die Empfangsdame im neuen Amazon-Go-Minimarkt, den der Online-Riese aus Seattle diesen Monat in der New Yorker Luxus-Einkaufspassage Brookfield Place eröffnet hat. Die junge Frau, die eigentlich anders heißt, hilft, wenn jemand zum ersten Mal in den Laden kommt oder die Smartphone-App zickt, um die sich bei Amazon Go alles dreht: Die App generiert den Barcode, den man braucht, um eine der vier kleinen Glas-Flügeltüren am Eingang zu öffnen, sie registriert, welche Waren während des Einkaufs in den Korb oder die Jackentasche wandern, und sie sorgt dafür, dass man das Geschäft durch eine der Schwenktüren wieder verlassen kann.

Kassen gibt es nicht, alles wird automatisch über die Kreditkarte bezahlt, die mit der App verknüpft ist. Vor allem jüngere Menschen - das zeigt der Andrang - scheinen es zu lieben, dass sie nirgendwo anstehen müssen und das Portemonnaie im Büro lassen können, wenn sie sich mittags rasch etwas zu essen kaufen wollen.

Allerdings gibt es eine Besonderheit, die den New Yorker Laden von allen anderen Filialen im Land unterscheidet: Weil Kritiker moniert haben, dass ärmere Menschen ohne Handy oder Kreditkarte nicht bei Amazon Go einkaufen können, akzeptiert der Konzern im Laden gleich neben dem One World Trade Center auch Barzahlungen - eine Transaktionstechnik aus grauer Vorzeit.

Frage an Katie also: Kann man hier mit Scheinen und Münzen zahlen? Die junge Frau stutzt und greift zum Funkgerät, das sie am Revers trägt: "Bar-Kunde am Eingang", flüstert sie ins Walkie-Talkie, und sie sagt es so, als hätte man ihr gerade eine ansteckende Krankheit gestanden oder bei einer Hipster-Party nach Toast Hawaii und Mettigel gefragt. "Bar-Kunde am Eingang", haucht sie noch einmal, dann legt sie ihr eigenes Smartphone mit der Mitarbeiter-App auf den Edelstahlpfosten, und eine der Flügeltüren schwingt auf.

Der Chef fragt, ob man eine kleine Tüte will. Das kriegen die App-Kunden nicht

Katies Reserviertheit ist verständlich, denn Brookfield Place ist einer jener Orte in New York, an denen Menschen ohne Kreditkarte, arme gar, etwa so häufig anzutreffen sind wie Mettigel auf Hipster-Partys. Das Zentrum der marmornen Passage bildet ein riesiges Atrium mit Palmen und gläsernen Dachbögen, die Geschäfte, die sich rechts und links anschließen, reichen von Burberry über Gucci und Hermès bis zu Louis Vuitton.

Der Amazon-Go-Supermarkt ist ganz auf jüngere, wohlhabende Touristen und die Tausenden Anzugmenschen und Kostümträgerinnen zugeschnitten, die in der Goldman-Sachs-Zentrale unmittelbar nebenan und den vielen anderen Bürohochhäusern rundherum arbeiten: Hunderte eingeschweißte Sandwiches und Wraps der besseren Art, Bio-Joghurts, Süßigkeiten, Getränke, daneben eine kleine Auswahl an abgepacktem Gemüse, Wurst, Aufstrichen und Kaffee, sollte es bei der Arbeit wieder einmal spät werden.

Am Ausgang nickt Katie dem zögernden Kunden zu: "Einfach durchgehen, wir haben Sie erfasst", sagt sie, als es ihr plötzlich dämmert: der Bar-Kunde! "Bar-Kunde will zahlen", sagt sie ins Funkgerät, doch sie muss den Satz noch dreimal wiederholen, bis ihr Chef auftaucht und den Bar-Kunden mitsamt Wrap und Joghurt wieder mit nach hinten ins Geschäft nimmt. Er fischt einen Schlüssel aus der Hosentasche, geht in die Knie, öffnet die Tür eines Rollschränkchens, in dem sich tatsächlich eine kleine Registrierkasse und ein tragbares Barcode-Lesegerät befinden. "9,14 Dollar", sagt er, nimmt den 20-Dollar-Schein und gibt das Wechselgeld heraus. Wie viele Bar-Kunden pro Woche kommen? "Na ja, einige wenige", sagt der Chef und fragt dann, ob man eine kleine Plastiktüte wolle, um den Einkauf zu verstauen - ha, das kriegen die App-Kunden nicht. Auf dem Kassenbon ist ein Barcode aufgedruckt, den man nur auf eine der Edelstahleinfassungen am Ausgang legen muss. Die Tür öffnet sich, und man ist wieder draußen. Katie lächelt.

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