Digitalkultur:Alles für alle und smarter als die meisten

Julian Assange

Julian Assange 2010 in London. So wurde er zur Hacker-Ikone.

(Foto: Polaris/laif)

Julian Assange hat gerade eine Anhörung versäumt. Aber mit ihm sollen die Ideen der Hacker-Kultur vor Gericht gestellt werden.

Von Jannis Brühl, Mirjam Hauck

80c11049faebf441d524fb3c4cd5351c: Diese Zeichenkombination tippt die amerikanische Soldatin Chelsea Manning am 8. März 2010 in einen Chat. Es ist ein sogenannter Hashwert, die verschlüsselte Form eines Passworts. Manning will eine weitere Tür öffnen im Computersystem der Armee, aus dem sie interne Dokumente an Wikileaks weiterleitet. Aber sie kann den Hash nicht knacken, hofft auf ihren Chatpartner, und laut US-Justizministerium heißt der Julian Assange. Doch auch der Wikileaks-Gründer und sein Team schaffen es nicht, den Hash zu entschlüsseln.

Ausgerechnet der Moment, in dem Assanges Hacker-Künste versagen, wird ihm zum Verhängnis.

An diesem Donnerstag sollte das bekannteste Gesicht, das die Hacker-Kultur hervorgebracht hat, in London vor Gericht stehen. Aber er versäumte die Anhörung. Seine Anwältin Gareth Peirce entschuldigte ihn, es gehe ihm nicht gut. Wikileaks teilte mit, man mache sich schwere Sorgen um Assanges Gesundheit. Es geht in dem Gerichtsverfahren darum, ob Assange an seinen Erzfeind, die Vereinigten Staaten von Amerika, ausgeliefert werden soll. In den USA lautet der Vorwurf gegen ihn: Spionage als Komplize von Manning. Man kann es so sehen, dass diese Anklage die Pressefreiheit in Frage stellt. Verhandelt wird aber auch die Grundüberzeugung einer immer einflussreicher gewordenen Subkultur: dass alle Information aus dunklen Computerspeichern befreit und jegliches Herrschaftswissen beseitigt werden muss. Alles für alle. Assange ist der einzige Anarchist, der im 21. Jahrhundert Weltpolitik gemacht hat.

Der Begriff "Hacker" kommt erstmals in den 1950ern in den USA auf und hat mit politischen Ideen erst einmal wenig zu tun. In den Universitäten stehen die ersten Großrechner, die noch mit Lochkarten programmiert werden. Die frühen Hacker wollen nicht in fremde Computersysteme eindringen - von denen gibt es ja noch kaum welche. Sie wollen die Funktionen der Computer erweitern. Das Wort "Hack" bedeutet zunächst, dass ein technisches Problem gelöst wird. Im "Tech Model Railroad Club", einem Modeleisenbahnverein am Massachusetts Institute of Technology, tüfteln die ersten Hacker daran, Schaltungen von Gleisen zu verbessern.

Der Hacker als ambivalente Figur: Ein Systemstörer, der das System besser macht

Später löst Chiptechnologie den Transistorrechner ab, Computer werden kleiner und für Privatpersonen erschwinglicher. Aber weil es bis in die 1980er noch keine grafischen Benutzeroberflächen gibt, müssen die Besitzer zumindest ein wenig programmieren können. Bis heute stellen Filme Hacking als Röntgenblick dar, der wahrnimmt, was sich unter den glatten Oberflächen der Geräte abspielt. Julia Gül Erdogan, die am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam zu Hackerkulturen in der BRD und DDR promoviert, sieht das anders. Sie sagt: "Ziel der frühen Hacker war, die Computertechnologie zu entmystifizieren. Sie wollten ihre neuen Maschinen verstehen und beherrschen."

1984 formuliert der US-Journalist Steven Levy seine "Hacker-Ethik". Es geht da vor allem um freien Zugang zu Computern und Wissen. Und um Misstrauen gegen Autoritäten. Dieser Geist treibt Assange an, der seit Anfang der Neunziger von seiner Heimat Australien aus in Militärnetzwerke eindringt. Ein Geist, der irgendwann in seinem persönlichen Hass auf außenpolitische "Falken" wie Hillary Clinton mündet.

Schon früh entdecken manche in der Szene den Computer als politisches Werkzeug. Seit den 1980ern fordert die Freie-Software-Bewegung, dass Menschen jederzeit die Kontrolle über die von ihnen genutzten Programme haben müssen, und sie jederzeit verändern dürfen. Anderen Hackern wird klar, dass sich mit ihrem Wissen Geld verdienen lässt. Bill Gates hackt als Student an Uni-Rechnern, Steve Jobs und Steve Wozniak manipulieren Telefonschaltungen, indem sie Pfeiftöne in einer bestimmten Frequenz über die Leitung schicken (Phreaking). Ihre Firmen Microsoft und Apple erobern später die Welt.

Der Hacker an sich ist also eine ambivalente Figur. Ein Systemstörer, der das System besser macht. Der "Penetrationstest", ein Angriff auf ein Netzwerk, um Schwächen in der Abwehr zu finden, ist heute ein Lebensunterhalt für Hacker, die sich vornehm "IT-Sicherheitsexperten" nennen. Doch gerade weil der Hacker und sein Werk meist unsichtbar bleiben, beflügelt er kollektive Fantasien und die Popkultur.

Als Gegenspieler der etablierten Helden der Moderne lösen Hacker eine Urangst aus

Hacker in fiktiven Werken sind heute vor allem düster, wie Elliot Alderson (Rami Malek), der in Mr. Robot als zerrissener Drogensüchtiger einen übermächtigen Konzern sabotiert. Dank Beratern aus der Szene gehört die Serie zu den wenigen Darstellungen, mit der Fachleute zufrieden sind: mit digitalen Angriffstechniken, die wirklich existieren, und ohne quietschbunte Visualisierungen von Computerviren. Assange selbst inspirierte vermutlich die Figur des sexfixierten Transparenz-Gurus Andreas Wolf in Jonathan Franzens Roman "Unschuld", und James Bonds Gegenspieler in "Skyfall".

Die Wege zum Hacking sind unterschiedlich, Beau Woods beschreibt seinen so: "Im College machen Leute manchmal Dinge, die nerven, und dann willst du einfach deren Computer plattmachen." Der US-Amerikaner arbeitet für Think Tanks und seine NGO "i am the cavalry", die Hacker mit dem Rest der Gesellschaft zusammenbringen soll. Den schwarzen Kapuzenpulli, versichert er beim Treffen auf der Digitalkonferenz SXSW in Austin, trage er nur ironisch.

In Deutschland profiliert sich seit den 1980er-Jahren der Chaos Computer Club (CCC) als Expertengruppe. Einschneidendes Erlebnis für die Bundesrepublik ist der "KGB-Hack", der 1989 publik wurde: Eine Gruppe aus Hannover verkaufte Informationen von US-amerikanischen Servern an den sowjetischen Geheimdienst. Vom "größten Spionagefall seit Guillaume" war die Rede, auch wenn die Informationen alles andere als brisant waren. In der öffentlichen Wahrnehmung verbinden sich jedoch seither die Ängste vor einer vernetzten Welt mit den Praktiken von Hackern.

Dagegen verblassen die Aktionen der "White Hats", jener Hacker der hellen Seite also, die im Gegensatz zu kriminellen "Black Hats" niemandem schaden wollen. Beim BTX-Hack 1984 konnten CCC-Mitglieder auf die Hamburger Sparkasse zugreifen und sie theoretisch um 135 000 Mark erleichtern. Theoretisch, denn der CCC hielt das Hacken weitgehend in legalen Bahnen und betonte die gesellschaftliche Verantwortung der Szene. Die Mitglieder kommen aus der Bürgerrechts- und Friedensbewegung, die als technikkritisch gelten. Sie fürchten aber den Überwachungsstaat und wenden sich zum Beispiel gegen das Fernmeldemonopol der Bundespost, erklärt die Historikerin Erdogan.

Auch in der DDR wurde gehackt. Während 1986 in Westdeutschland schon mehr als drei Millionen Heimcomputer und Konsolen verkauft wurden, waren sie im sozialistischen Deutschland selten. Importierte Westtechnologie war teuer, DDR-Modelle gab es nur wenige. Der größte und bekannteste Club war der im Haus der jungen Talente in Ostberlin. Dort gab es 1987 zwei Commodore 64 und einen Atari 130 XL. Die Stasi habe die Treffen überwacht, sagt Erdogan. In der DDR sei private Online-Kommunikation nicht möglich gewesen.

Im 21. Jahrhundert werden Staatsferne und Idealismus der Kultur auf die Probe gestellt. Erpresser-Software, die die Computer der Opfer lahmlegt, bis die zahlen, wird lukrativ. Facebook und Google bieten Experten astronomische Summen, um ihre Produkte zu schützen.

Für Beau Woods lösen Hacker eine Urangst der Industriegesellschaft aus. Sie seien Gegenspieler der etablierten Helden der Moderne: "Wissenschaftler und Ingenieure zähmen die Natur, vor der die Menschen immer Angst hatten. Der König der Assyrer soll vor Tausenden Jahren in die Wildnis gegangen sein und Löwen getötet haben, weil die Menschen töteten." Später hätten Ingenieure mit Maschinen Ordnung in der Natur geschaffen. "Jetzt aber gibt es Menschen, Hacker, die die Maschinen der Ingenieure ihren Willen ausführen lassen." Das irritiere die Menschen. Woods sagt, andere sähen ihn so: "Die Zauberer haben das Smartphone geschaffen, aber du übertriffst sie noch, weil du in das, was sie erschaffen haben, einbrechen kannst." Wer solche Fähigkeiten hat, kann sich ein bisschen Arroganz leisten. Die Pointe des "Hacker-Manifests" von 1986 lautet: "Mein Verbrechen ist, dass ich smarter bin als ihr, was ihr mir nie verzeihen werdet." Ein Satz wie eine Autobiografie von Julian Assange.

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