Kloster Andechs:Heiliger Berg ohne Kirchenmusik

Andechs Dirigentin der Andechser Chorgemeinschaft  Sul bi Yi

Mit vollem Einsatz hat Sul Bi Yi in Andechs Kirchenmusik organisiert und aufgeführt. Nun verlässt die 31-jährige Südkoreanerin den Heiligen Berg.

(Foto: Nila Thiel)

Weil die Mönche den Vertrag mit Dirigentin Sul Bi Yi nicht verlängert haben, steht der völlig entsetzte Chor vor der Auflösung. Konzerte werden abgesagt. Es geht ums Geld.

Von Gerhard Summer

Die Kirchenmusik auf dem Heiligen Berg hat eine jahrhundertealte Tradition, doch ihre Tage könnten gezählt sein. Die Andechser Chorgemeinschaft steht nämlich vor der Auflösung. Etwa die Hälfte der derzeit noch 23 Mitglieder will sich zusammen mit ihrer Leiterin, der Organistin und Dirigentin Sul Bi Yi, von der Andechser Wallfahrtskirche verabschieden. Der Grund: Die Entscheidung der Pfarrei Sankt Vitus, den Vertrag mit der hochgelobten Kirchenmusikerin nach drei Jahren nicht mehr zu verlängern, sei bei den Sängern auf "blankes Entsetzen" und Unverständnis gestoßen, wie Chorsprecherin Gabriele Eberl sagt. Denn die 31-jährige Südkoreanerin sei eine Idealbesetzung: "Andere Pfarreien würden sich alle zehn Finger abschlecken, wenn sie eine solche Organistin und tolle Chorleiterin bekämen."

Pater Anno Bönsch, der Pfarrer von Sankt Vitus, will die Stelle zwar nun neu ausschreiben. Bis sie besetzt ist, könnte es aber dauern: Als der Andechser Pionier Anton Ludwig Pfell im Januar 2016 in Pension gegangen war, hatte sich die Suche nach seiner Nachfolgerin Yi acht Monate lang hingezogen.

Und ob es dem neuen Kirchenmusiker gelingen wird, die dann vielleicht noch verbliebene Rumpfmannschaft des Vokalensembles wieder zu einem größeren Chor auszubauen, steht dahin. Schon unter Sul Bi Yi hatten die Sänger vergeblich Verstärkung gesucht. Denn der Chor, der zu seinen Glanzzeiten 100 Mitglieder hatte und auch zu den 1998 gegründeten und 2015 gecancelten Carl-Orff-Festspielen im Kloster auftrat, singt zum einen für Gottes Lohn. Zum anderen muss er an genau den Tagen ran, an denen die meisten vielleicht lieber bei ihren Familien wären: an Weihnachten, Christi Himmelfahrt, Oster- oder Pfingstsonntag. Im nächsten Jahr wird es auf dem Heiligen Berg auch keine Orgelmatineen und keinen Orgelherbst mehr geben, wie Klostersprecher Martin Glaab auf Anfrage bestätigt.

"Rein aus finanziellen Gründen stemmen wir das nicht", sagt er. Die Abtei müsse nämlich zur Existenzsicherung drei Großprojekte finanzieren: die Generalsanierung von St. Bonifaz (20 Millionen Euro), den Ausbau der Klosterbrauerei (12 Millionen Euro) und die Renovierung des Klostergasthofs (mehr als eine Million Euro). Der Sparzwang sei auch der alleinige Grund dafür, warum das Kloster und die Pfarrei St. Vitus ihre beiden Verträge mit der Kirchenmusikerin aufgelöst, respektive nicht verlängert hätten, sagt Glaab. Denn es sei "total schade und für alle Seiten unbefriedigend, wenn man die Projekte einer hochbegabten und preisgekrönten Musikerin sieht und rein aus finanziellen Gründen ständig sagen muss: Eine super Idee, aber woher nehmen? Da ist keine Perspektive drin."

Glaab und Pater Bönsch gehen allerdings nicht davon aus, dass vom nächsten Jahr an das Rauschen des Bieres und die Gesänge der Zecher in Andechs die Musik übertönen werden. Das Kloster sehe sich nämlich trotz des engen Budgets als "Kulturermöglicher". Es biete Veranstaltern, ob es um die Andechser Musikwoche, das neue Carl-Orff-Fest oder das Symposium Kunst und Bier gehe, nach wie vor Sonderkonditionen im Florianstadel an , "weil uns das wichtig ist". Und Bönsch hofft, dass mit einem neuen Organisten und Chorleiter auch die Kirchenmusik in der Wallfahrtskirche weitergeführt werden kann. Dafür gebe es nämlich sehr wohl noch ein Budget. Sollten von der Chorgemeinschaft also zehn Männer und Frauen verbleiben, dann könnten noch "sehr schöne Stücke für Kammerchor" aufgeführt werden, sagt er, vorausgesetzt, dass genug Tenöre oder Bässe übrig sind. "Ich bin da zuversichtlich, das wäre ja auch schlimm, wenn man die Zuversicht verlieren würde."

In einer Unterredung mit den Andechser Sängern hatten sich Pater Bönsch und Pater Lukas Essendorfer, der Kaplan von Andechs, nach Angaben der Chorsprecherin Eberl anders geäußert. Unter anderem habe Pater Essendorfer erklärt, Andechs komme auch ohne Chor aus, die Kirche sei kein Konzertsaal und nicht abhängig von Chor- und Orchestermusik. Was Pater Bönsch auf Anfrage weder bestätigt noch heftig bestreitet. Vom Sparzwang war bei dem Gespräch offenbar auch keine Rede. Eberl zufolge erklärten die Geistlichen, sie hätten den Eindruck, Sul Bi Yi sei nicht glücklich in Andechs. Pfarrei und Kloster könnten ihr nicht die adäquaten Möglichkeiten für ihre künstlerische Entwicklung bieten.

2 Leute vom Andechser Chor im SZ Hochhaus

Chorsprecherin Gabriele Eberl bedauert den Abschied der Organistin.

(Foto: Florian Peljak)

Das sei Unfug, sagt die Kirchenmusikerin Sul Bi Yi. Sie habe zwar von den Mönchen und Priestern zuletzt nur noch sehr wenig Unterstützung erfahren und auf Mails oft wochen- und monatelang keine Antwort bekommen. Mit größeren und vergleichsweise teuren Projekten wie einer Aufführung von Bachs Weihnachtsoratorium drang sie ohnehin nicht durch. Aber sie sei trotzdem glücklich gewesen in Andechs und wäre gerne geblieben. Kompromissbereitschaft bewies Sul Bi Yi von Anfang an: Sie hat als sogenannte A-Kirchenmusikerin den anspruchsvollsten Studienabschluss, gab sich aber mit der schlechter bezahlten B-Stelle in Andechs zufrieden. Nun allerdings fühle sie sich "ungerecht behandelt, weil ich keine richtige Begründung gehört habe".

Mit dem Chor verstand sie sich "von Anfang an", wie Eberl sagt. "Wir haben unwahrscheinlich viel von ihr gelernt, sie hat freiwillig auch Stimmbildung angeboten". Und das erste gemeinsame Konzert, die Aufführung von Gioacchino Rossini schwieriger "Petite Messe solennelle", sei ein großer Erfolg gewesen. Die 51-jährige Chorsprecherin hatte das Vokalensemble nach Pfells Abschied noch zusammengehalten, nun will auch sie der Abtei nach zweieinhalb Jahrzehnten den Rücken kehren. Die Mönche spielten nicht mit offenen Karten, sagt Gabriele Eberl. "Mir fehlt das Vertrauen zum Kloster."

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