Fußball: Confed-Cup:Romantisierung der Rechtsunsicherheit

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Die erneute Debatte um den Videobeweis im Fußball nach dem 4:3 Brasiliens gegen Ägypten zeigt den Anachronismus im konservativen Kickerkosmos.

C. Catuogno

Johannesburg, 11. Juli 2010, WM-Finale, sagen wir: Brasilien gegen Deutschland. Nach 90 Minuten noch 0:0 - und dann verpasst ein Mann namens, sagen wir: Lukas P. einem Brasilianer so eine kleine, subtil gewischte Ohrfeige, irgendwo im Rücken des Schiedsrichters. Wie viele Menschen wüssten das binnen Sekunden? Zwei Milliarden? Drei Milliarden? Jedenfalls eine ziemlich relevante Anzahl von Leuten, inklusive des Fifa-Präsidenten, und mit großer Sicherheit auch der vierte Offizielle am Spielfeldrand. Schließlich hat man ihm - wozu auch immer - einen TV-Monitor ganz in die Nähe gestellt.

Fifa-Schiedsrichter Howard Webb sorgt mit seiner Elfmeterentscheidung zugunsten Brasiliens für eine neue Diskussion um den Videobeweis. (Foto: Foto: Getty)

Was wäre die Antwort des Fußballs auf eine solche Situation, jener Milliardenbranche also, die sich gern als Hüterin von Gemeinsinn und Fairplay verklärt? Die Antwort des Fußballs wäre es, den Schiedsrichter in einem künstlichen Zustand der Dummheit zu belassen, ihn vielleicht noch den entscheidenden Treffer des Spielers P. anerkennen zu lassen - und ihn dann der Welt zum Fraß vorzuwerfen: als Mann, der das WM-Finale verpfiff.

Erinnerungen an Zidane

Keine Antwort wäre es, den Funk in Betrieb zu nehmen, der den vierten Offiziellen mit dem Schiedsrichter-Ohr verbindet. Und falls doch, wie im Fall von Luis Medina Cantalejo, der im WM-Finale 2006 - offenkundig nach Ansicht der TV-Bilder - den Kopfstoß des Franzosen Zinédine Zidane meldete, muss das unter allen Umständen geleugnet werden.

Auf dem Dorfbolzplatz, in den Ligen des Amateurfußballs, ist die Verbindlichkeit der Tatsachenentscheidung unabdingbar, um die Autorität der Schiedsrichter zu schützen. Unter den Blicken von Milliarden Fernsehzuschauern ist sie ein Anachronismus. Was die ganze Welt sehen kann, sollten auch die Schiedsrichter sehen dürfen. Doch bisher gefällt sich der Fußball in einer fragwürdigen Romantisierung der Rechtsunsicherheit - als mache erst die menschliche Fehlbarkeit aus dem Geschäft wieder ein Spiel.

Andere Sportarten haben sich längst auf die Suche begeben nach Wegen, um ihr Tempo, ihren Spielfluss und ihre Emotionalität zu erhalten, aber trotzdem richtige Entscheidungen zu befördern. Unbestechliche Entscheidungen. Der Fußball lebt lieber mit dem systemimmanenten Irrtum als mit externer - sei es technischer - Kontrolle.

© SZ vom 17.06.2009/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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