Tag der Industrie:Altmaier steckt in einer Beziehungskrise

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Es passiert nicht häufig, dass der gleichmütige Peter Altmaier seinen Ärger so nach außen trägt. Doch am Tag der Industrie in Berlin war dem Wirtschaftsminister noch immer anzumerken, dass ihm die Attacken der vergangenen Wochen nachgehen. (Foto: John Macdougall/AFP)
  • Noch im Vorjahr hatte Wirtschaftsminister Altmaier der Industrie schwungvoll einen "Wachstumspakt für Innovation, Entlastung und Bürokratieabbau" vorgeschlagen.
  • Die Lobbyisten haben das nicht vergessen - doch geschehen ist wenig. Darum ist das Verhältnis zwischen der Industrie und dem Wirtschaftsminister deutlich abgekühlt.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Stehende Ovationen für den Wirtschaftsminister beim Tag der Deutschen Industrie - wann hat es das zuletzt gegeben? Gerade hat er seine Rede beendet, für einen "neuen europäischen Kapitalismus" geworben, der Wirtschaft und Umwelt in Einklang bringe, da erhebt sich die Spitze der deutschen Industrie spontan von ihren Sitzen. Der Applaus dauert lang, die Wirtschaftsleute sind vom Johlen nicht weit entfernt.

Nur gilt das alles nicht dem deutschen Wirtschaftsminister, sondern dem französischen: Bruno Le Maire.

Die Industrie hat in einen morbiden Bau im Ostteil Berlins geladen, das einstige DDR-Funkhaus gleich an der Spree. 30 Jahre nach der Wende liegt hier immer noch der Geruch von Linoleum in der Luft, von der Decke rieselt der Putz, die Farbe blättert ab. Der Ort zeugt von dem steten Bemühen der Industrie, irgendwie hipp zu wirken - während manche der Forderungen, niedrigere Steuern, niedrigere Strompreise, weniger Bürokratie, durchaus noch ziemlich die alten sind.

Peter Altmaier hatte eine halbe Stunde vor Le Maire in dem Saal gesprochen. Der Beifall war freundlich, aber bescheiden; selbst an Stellen, an denen er nicht anders klingt als wenig später Le Maire. Der CDU-Mann und die deutsche Industrie, das wird keine Liebe mehr.

"Es fällt uns schwer, in der Arbeit der Bundesregierung einen klaren wirtschaftspolitischen Kurs zu finden"

Schon zur Eröffnung hatte BDI-Chef Dieter Kempf der Bundesregierung im Allgemeinen und Peter Altmaier im Speziellen ordentlich eingeschenkt. "Es fällt uns schwer, in der Arbeit der Bundesregierung einen klaren wirtschaftspolitischen Kurs zu finden", hatte er beklagt. Sie verwalte den Status quo, mehr noch: "Die Koalition hat einen großen Teil des in sie gesetzten Vertrauens verspielt." Vertrauen: Kanzlerin Angela Merkel soll auf diesen Hinweis später noch süffisant reagieren.

Dem deutschen Wirtschaftsminister allerdings fallen nun seine Ankündigungen aus dem Vorjahr auf die Füße. Beim Tag der Industrie 2018 hatte er eine schwungvolle Rede gehalten, die er beherzt damit begann, dass er sein Jackett in die Ecke pfefferte. Damals hatte er der Industrie einen "Wachstumspakt für Innovation, Entlastung und Bürokratieabbau" vorgeschlagen. Unter anderem sollte dazu ein "Strompreisgipfel" mit der Industrie gehören, um die Energiekosten der Wirtschaft anzugehen. Der BDI hat das nicht vergessen. "Bis heute gibt es dafür nicht einmal einen Termin", sagt Kempf. Es ist ein Beispiel für die Enttäuschung, die sich in der Industrie breit macht - über große Worte, denen zu wenig Taten gefolgt seien.

Bei der Industriestrategie dagegen hat Altmaier geliefert - aber auch das nicht zur uneingeschränkten Freude der Industrie. "Hierzu gibt es viel Kritik", führt Kempf ein. Etwa zur Idee einer Beteiligungsfazilität: einer Art Sondervermögen, aus dem der Staat notfalls Unternehmensanteile kaufen könne, ehe etwa chinesische Investoren nach strategisch wichtigen Firmen greifen können. Das lehnt die Industrie ab. Auch die Förderung sogenannter europäischer Champions schmeckt dem BDI nicht. "Wir brauchen keine vom Staat geförderten Unternehmen", findet Kempf. Später wird Frankreichs Bruno Le Maire auch für solche Champions eintreten, er sagt: "Ich weiß, dass das der Wirtschaft Angst macht." Nicht zwangsläufig entstünden so neue Riesen oder Monopolisten. Seinen Applaus schmälert das nicht.

Altmaier selbst hat sich in sein Schicksal gefunden, er wirbt nicht einmal mehr groß um die Gunst der Industrie. Zu seiner Industriestrategie verweist er darauf, dass die Vorschläge "keinen Anspruch auf Richtigkeit" erhöben. Für CO₂-Preise, eines der großen Themen beim Industrietag, will er erst ein triftiges Konzept sehen - und ereifert sich über Wirtschaftsvertreter, die erst nichts von derlei Klimaschutz wissen wollten, um sich nun darüber zu empören, dass die Politik nicht schnell genug auf Schülerproteste reagiere. Namen nennt er keine, aber der Frust wird deutlich. Und es passiert nicht häufig, dass der gleichmütige Altmaier seinen Ärger so nach außen trägt.

Auch Parteifreunde hatten hart gegen Altmaier gekeilt

Die Attacken der jüngeren Zeit haben einiges verändert im Verhältnis zwischen Wirtschaft und Wirtschaftsminister. Vor allem der Verband der Familienunternehmer, aber auch Parteifreunde hatten hart gegen Altmaier gekeilt. Der BDI selbst hatte das zwar kritisiert, aber mehr dem Stil als dem Inhalt nach. Mit der Folge, dass nun auch Altmaier selbst nicht mehr viel in das Verhältnis investiert. Er wähnt hinter den Attacken ohnehin auch verkappte Angriffe auf Merkel, als deren Vertrauter er gilt. Oder die Rache frustrierter Anhänger des Beinahe-CDU-Chefs Friedrich Merz.

Am Dienstag ist es wiederum die Kanzlerin, die Altmaier in Schutz nimmt - und ihrerseits die Industrie angreift. Sie wundere sich, sagt Merkel, "mit welcher Akribie" sich die Industrie an der "Beteiligungsfazilität" abarbeite. Gerade so, als seien das "Kühnert'sche Ideen der Verstaatlichung", in Anspielung an den jüngsten Vorstoß von Juso-Chef Kevin Kühnert. Wer Altmaier kenne, der wisse doch, dass dies abwegig sei. Auch könne sie an europäischen Champions nichts Falsches finden.

Ach ja, und das von der Koalition angeblich verspielte Vertrauen: Ein Jahr und drei Monate sei die ja nun im Amt, sagt Merkel. "Ich könnte jetzt darüber sprechen, wie viele Stunden ich damit verbracht habe, mich mit dem Vertrauensverlust der deutschen Automobilindustrie auseinanderzusetzen. Das will ich aber jetzt nicht tun." Letztlich gehe es immer um gemeinsame Verantwortung von Politik und Wirtschaft, auch für letztere sei Vertrauen wichtig. "Und das", sagt Merkel, "ist meine Botschaft an Sie."

© SZ vom 05.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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