Volvo:Zum Überleben zu wenig, zum Sterben zu viel

Volvo: Håkan Samuelsson hat Volvo in den vergangenen sieben Jahren bereits erfolgreich restrukturiert.

Håkan Samuelsson hat Volvo in den vergangenen sieben Jahren bereits erfolgreich restrukturiert.

(Foto: Volvo)

Gut 650.000 Fahrzeuge verkaufte Volvo im vergangenen Jahr, ein neuer Rekord für die Marke. Aber reicht das, um auf dem Weltmarkt bestehen zu können?

Von Joachim Becker

Nein, gerecht ist so ein Vergleich nicht. Audi, BMW und Mercedes verkaufen jeweils allein in China so viele Autos wie Volvo weltweit. Mit 642 000 abgesetzten Fahrzeugen erreichten die Schweden im vergangenen Jahr zwar einen neuen Höchststand. Gemessen an den deutschen Herstellern ist das zum Überleben aber zu wenig und zum Sterben zu viel.

Trotzdem herrscht bei den Schweden Aufbruchstimmung: "Jeder Autohersteller hat dieselbe Technologie-Roadmap", sagt Håkan Samuelsson. Entscheidend sei die Art und Weise, wie man die Transformation vorantreibe: "Es ist einfacher, Initiativen wie Vernetzung, autonomes Fahren und Elektrifizierung in einer kompakten Produktpalette umzusetzen als in größeren Firmen", so der Volvo-Chef. Kurz gesagt, gehe es darum, die Komplexität zu reduzieren - "und man muss den Mut haben, zu priorisieren".

Klein und agil zu sein, kann in Zeiten des Umbruchs durchaus von Vorteil sein. Die Deutschen haben das schmerzliche Abspecken ihrer Modell- und Motorenpalette noch vor sich. Mit dem Abschied von Acht- und Sechszylindern verlieren sie einen wesentlichen Teil ihrer Markenidentität. Volvo ist beim Umstellen der Antriebspalette dagegen weit fortgeschritten. Längst haben die Schweden nur noch aufgeladene Drei- und Vierzylinder im Programm; in der jüngst vorgestellten S 60-Limousine gibt es keinen Diesel mehr. Die Ankündigung, bereits 2025 die Hälfte aller Autos mit Elektroantrieb zu verkaufen (inklusive Plug-in), stellt selbst die Antriebswende des Volkswagen-Konzerns in den Schatten.

Kein anderer Hersteller hat von den hausgemachten Problemen der deutschen Hersteller mehr profitiert als Volvo: Im vergangenen Jahr konnten die Schweden ihren Umsatz um 21 Prozent auf 21,46 Milliarden Euro steigern. Auch in Deutschland gab es einen neuen Verkaufsrekord - ganz anders als bei Audi. Nach dem Dieselabgasskandal und der WLTP-Absatzkrise sind die Ingolstädter weidwund. "Die Dieselkrise hat sich angefühlt wie der Verlust eines Arms", sagte Audi-Chef Bram Schot auf der Hauptversammlung im Mai, "manche haben gedacht, das überlebt Audi nicht." Verstärkt wird der Image-Totalschaden durch den Abzug von zentralen Zukunftsthemen aus Ingolstadt. Bei Hochleistungselektroantrieben hat Porsche den Hut auf, der modulare Elektrobaukasten kommt aus Wolfsburg und das autonome Fahren wird unter der Regie von VW Nutzfahrzeuge entwickelt.

Wie Audi zur "progressivsten Premiummarke" (Schot) werden soll, bleibt das Geheimnis der Ingolstädter. Momentan kommt das skandinavisch-puristische Volvo-Design bei vielen Kunden besser an. In der Leser-Umfrage von Auto Motor Sport zogen die Schweden beim "guten Aussehen" an Audi und Mercedes vorbei und lagen 2018 nur noch knapp hinter BMW. Vor allem die klare und ruhige Linienführung im Innenraum stellt den Menschen in den Mittelpunkt - was man von den Technik-verliebten deutschen Marken nicht immer behaupten kann. Klar ist aber auch: Die Riesen-Bildschirme im Interieur sind nicht zuletzt dem Geschmack der chinesischen Kunden geschuldet.

Über die Zukunft der Automarken entscheiden eher versierte Netzwerker als Ingenieure

Es ist nicht so, dass Volvo alles besser kann. Pkw-Diesel der Abgasstufe Euro 5 aus Göteborg gehören zu den schmutzigsten im Markt. Mehr als einen Kratzer im Lack der Schweden-Panzer hatte das aber nicht zur Folge. In der nächsten Dekade will sich Volvo ohnehin aus der Entwicklung von Selbstzündern verabschieden. "Die Diesel-Debatte ist in Deutschland viel stärker als in Schweden. In schwedischen Tageszeitungen dreht sich alles um Plug-in oder reine Batterieautos", sagt Volvo-Entwicklungsvorstand Henrik Green.

Sympathiepunkte hat auch das angekündigte Tempolimit bisher nicht gekostet. Vom Jahr 2020 an soll kein neuer Volvo ab Werk schneller als 180 Kilometer pro Stunde fahren. Weil mit dem Fahrwiderstand auch der Energieverbrauch überproportional zunimmt, ist dieser Schritt für (teil-)elektrische Antriebe folgerichtig. Die sportliche Elektro-Tochtermarke Polestar ist von dem Limit allerdings ausgenommen. Einfach wird der Spagat zwischen traditionellen (Verbrenner-)Käufern, die weiterhin "schneller, höher, weiter" fordern, und einer neuen Kundengeneration, die Wert auf Klimaschutz legt, für keinen der Hersteller.

Es geht nicht nur um einen Technologie-, sondern auch um einen grundlegenden Imagewandel. Schiere Größe hilft dabei ebenso wenig wie der Audi-Slogan "Vorsprung durch Technik". Die Technologie-Roadmap ist wie gesagt für alle (Premium-)Marken dieselbe. Volvo liegt mit den Kernwerten Sicherheit, Qualität, Design und Umweltschutz ziemlich genau in dem Zielkorridor der nächsten Jahre. Als entscheidend könnte sich aber auch der Führungsstil von Håkan Samuelsson erweisen. Der 68-Jährige ist wesentlich älter als die meisten deutschen Autobosse. Seine Erfahrung ist in einer gewissen Lässigkeit zu spüren: Samuelsson muss seine Position nicht ständig mit Superlativen aus dem Autoquartett beweisen. Als er 2012 das Ruder übernahm, schrieb Volvo rote Zahlen und war nach elf Jahren unter dem Ford-Regime technisch ausgeblutet. Außerdem hatte die Übernahme durch den chinesischen Geely-Konzern zwei Jahre zuvor das Selbstverständnis der stolzen Traditionsmarke von 1927 angeknackst.

Samuelsson, der bis 2009 die Nutzfahrzeugmarke MAN geleitet hatte, sah die Krise als Chance. Genau diese Fähigkeit ist jetzt gefragt. Die Aufgabe besteht darin, die Marke durch eine Vielzahl von Partnerschaften schnell weiterzuentwickeln - ohne austauschbar oder unglaubwürdig zu werden. In dieser Transformation liegt die zentrale Aufgabe der nächsten Jahre.

Ist es Zufall, dass gerade auch bei Daimler ein Schwede die Macht übernommen hat? Selbst wenn er (wie in der Branche üblich) behauptet, Benzin im Blut zu haben: Ola Källenius ist kein Ingenieur, sondern gelernter Finanz- und Marketingexperte. Mit einem klaren Bekenntnis zum Klimaschutz sowie zu neuen digitalen Geschäftsmodellen pflegt er einen etwas anderen Stil als seine Vorgänger. Der 49-Jährige legt nicht nur Wert auf ein ausgeglicheneres Verhältnis von Männern und Frauen im Management, sondern öffnet die Stuttgarter Wagenburg auch für neue Formen der Zusammenarbeit. Sein Vorgänger Dieter Zetsche hat zwar im März noch die Smart-Kooperation mit Geely bekannt gegeben. Aber auch die Partnerschaft mit BMW bei neuen Mobilitätsdiensten sowie bei der Entwicklung des autonomen Fahrens trägt klar die Handschrift von Källenius. Eine Strategie, die so ähnlich von Håkan Samuelsson stammen könnte.

Die beiden Schweden an der Spitze von Daimler und Volvo könnten bald mehr miteinander zu tun haben. Es geht nicht nur darum, Smart als Elektromarke aus chinesischer Produktion neu aufzusetzen. Gut vorstellbar ist auch, dass Geely als größter Daimler-Aktionär beim autonomen Fahren an die Plattform von BMW und Daimler andockt. Bis 2025 will Volvo ein Drittel aller Fahrzeuge mit Autobahnpiloten (Level 3) verkaufen. "Eine Software in der höchsten Ausbaustufe für Robotertaxis würde die Limits eines solchen Systems sprengen", so Green. Trotzdem will Volvo bis 2025 mindestens einen Großkunden wie Uber für ein solches System gewinnen.

Noch ist unklar, wie die kleine schwedische Firma mit 43 000 Mitarbeitern einen solchen (finanziellen) Kraftakt stemmen will: Angesichts geringer Stückzahlen von Robotaxis amortisiert sich das System nur in einer der weltweit führenden Plattformen. In diesem Spiel ist selbst der Geely-Konzern mit über zwei Millionen Fahrzeugen eine kleine Nummer. Manchmal ist Marktmacht eben doch durch nichts zu ersetzen.

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