Nordhessen:Tod eines Politikers

Der Kasseler Regierungspräsident und CDU-Politiker Walter Lübcke wird mit einer Schusswunde am Kopf leblos in seinem Garten aufgefunden. Die Ermittler gehen von einem Tötungsdelikt aus.

Von Susanne Höll und Philipp von Nathusius

Die Weizenkirmes in Istha ist für das nordhessische Dorf eine große Sache. Es gibt ein Festzelt, einen Discoabend, Umzüge, Pils vom Fass von der Brauerei im 20 Kilometer entfernten Kassel. Große weiße Lettern, die an den Hollywood-Schriftzug erinnern sollen, hat der Heimatverein auf einem Feld unterhalb des 522 Meter hohen Istha-Bergs aufgestellt, um für die Gaudi zu werben. Am Sonntag sollte die Veranstaltung mit einem Gottesdienst enden.

Doch die Ruhe nach dem Fest wurde jäh gestört von der Nachricht, dass der prominenteste Bewohner des 900-Einwohner-Ortes tot aufgefunden worden war, mit einer Schusswunde am Kopf. Der Regierungspräsident des Regierungsbezirks Kassel, Walter Lübcke, 65, wurde Opfer eines Gewaltverbrechens. So viel machten Polizei und Staatsanwaltschaft am Montag publik. Hinweise auf einen Suizid gebe es nicht, sagte der leitende Oberstaatsanwalt Horst Streiff in Kassel. Aber es gibt bislang auch keinen Hinweis auf den oder die Täter, auch nicht ein Motiv. "Wir ermitteln in alle Richtungen", sagte die Präsidentin des hessischen Landeskriminalamts, Sabine Thurau.

Der oder die Täter könnten, theoretisch jedenfalls, politisch motivierte Leute gewesen sein, Kriminelle oder Leute aus dem Freundes- und Bekanntenkreis. Lübcke war in der Nacht zum Sonntag kurz nach Mitternacht von einem Familienmitglied leblos auf der Terrasse seines Hauses in Wolfhagen-Istha aufgefunden worden. Man versuchte noch, ihn zu reanimieren. Ohne Erfolg. Er starb gegen 02.30 in einem nahegelegenen Krankenhaus.

Lübcke gab Rechtspopulisten bei öffentlichen Auftritten Kontra

Eine Kurzwaffe hatte ihn, so Oberstaatsanwalt Streiff, wohl aus nächster Nähe in den Kopf getroffen. Sie wollten weder sagen, ob die Pistole sichergestellt ist noch ob es im Hause Lübcke eine Waffe gab. Details, so die Begründung der Ermittler, sollten geheim gehalten werden, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Die Polizei rief die Bevölkerung auf, bedeutsame Informationen zu melden. Die Aufklärung steht offenkundig noch ganz am Anfang.

Eindringlich bat die LKA-Präsidentin, nicht über Täter und Motive zu spekulieren. Die magere Faktenlage wird aber sicher genau dazu führen. Es kursieren Gerüchte über einen unbekannten Mann, den Lübcke zuvor auf der Kirmes getroffenen haben soll. Und Mutmaßungen über rechtsextreme Täter. Lübcke war nach 2015 für die Unterbringung von Flüchtlingen in Nordhessen verantwortlich gewesen, hatte seine Aufgabe nach Meinung von Experten gut erfüllt. Und nicht nur das. Er gab Rechtspopulisten bei öffentlichen Auftritten Kontra, wenn sie ihn oder die Schutzsuchenden beschimpften. Dabei berief sich er sich auf christliche Werte.

Ermittlungen nach Tod des Kasseler Regierungspräsidenten

Das Haus des Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Hier ist er in der Nacht zum Sonntag leblos aufgefunden worden.

(Foto: Swen Pförtner/dpa)

Anhänger des örtlichen Pegida-Ablegers hatten seine Rede durch Zwischenrufe gestört. Lübcke reagierte scharf: "Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen." Von Ausländerfeinden war der Christdemokrat deswegen bedroht und beschimpft worden. LKA-Chefin Turau sagte aber, es gebe derzeit keine Anzeichen, dass diese Bedrohungen in Zusammenhang mit der Gewalttat stünden.

Mit Lübcke ging es mit der einst strukturschwachen Region bergauf

Lübckes Partei indes zeigte sich bestürzt vom unerwarteten Tod ihres früheren Landtagsabgeordneten: "Wir sind tief bestürzt über den plötzlichen Tod unseres Freundes Walter Lübcke", erklärten der CDU-Landesvorsitzende, Ministerpräsident Volker Bouffier, und der hessische CDU-Fraktionschef Michael Boddenberg. Lübcke habe "nie das klare Wort" gescheut. Und: "Er war ein Brückenbauer, wie er besser nicht sein könnte."

Vor etwa zwei Wochen erst hatte Lübcke seinen zehnten Jahrestag im Amt gefeiert. Auf Bitte des Ministerpräsidenten hin, wie es heißt, hatte er zuvor einer Verlängerung seiner Amtsperiode über das Erreichen des Pensionsalters hinaus zugestimmt. Das Regierungspräsidium in Kassel mit mehr als 1000 Mitarbeitern hat die Aufgabe, Belange der Landesregierung zu vertreten, eine Mittlerinstitution mit großen Befugnissen. In der Behörde herrschten "Fassungslosigkeit und Erschütterung über den Tod des beliebten und außerordentlich nahbaren" Chefs heißt es in einer Mitteilung des Regierungspräsidiums.

Wie auch anderswo in Nordhessen sei Lübcke beliebt gewesen ob seiner bodenständigen Art, sagte Wolfgang Hensel, Ortsvorsteher von Istha. Tatsächlich war es in seiner Amtszeit mit der einst strukturschwachen Region, die im wirtschaftlich starken Süden gerne als "Hessisch Sibirien" verunglimpft wird, aufwärts gegangen. 20 Beamte einer Sonderkommission sind nun auf der Suche nach einem Täter und einem Motiv.

Lübckes Wohnhaus war auch am Montag weiter von Einsatzkräften bewacht. Er hinterlässt eine Frau und zwei erwachsene Söhne.

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