Gymnasium Gilching:Streit schlichten im Klassenzimmer

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Margarete Blunck arbeitet als Erziehungsmediatorin am Christoph-Probst-Gymnasium. Ihr gelingt es immer wieder, Konflikte zu lösen. Auch Lehrer suchen Rat bei der 54-Jährigen.

Von Sabine Bader, Gilching/Berg

Auf den ersten Blick wirkt der Fall unstrittig: Zwei Schüler geraten in den Gängen des Gilchinger Gymnasiums aneinander. Der Grund ist offenbar ein Mädchen. Der 18-Jährige boxt den 17-jährigen Kontrahenten heftig in die Seite. Der andere will sich das nicht gefallen lassen und wendet sich an Erziehungsmediatorin Margarete Blunck. Die bittet den 18-Jährigen zum Gespräch. Sie fragt den jungen Mann, warum er so wütend sei. Im Verlauf des Gesprächs stellt sich heraus, dass es mitnichten um ein Mädchen geht, sondern um ein anderes Problem: Er will ein besonders gutes Abitur machen, weil er Medizin studieren will. Seine Eltern leben getrennt, der Vater hat eine neue Frau, und auch die Mutter hat endlich einen Freund. Eigentlich alles gut, sagt der 18-Jährige. Doch nichts ist gut.

Denn ausgerechnet jetzt im Abistress fährt die Mutter mit ihrem Neuen zwei Wochen in Urlaub. Wo er, der Sohn, doch so furchtbare Prüfungsangst hat. Das schaffe er nicht, denkt er, und ist sich ziemlich sicher: Er wird das Abi verhauen.

Doch was jetzt tun? Blunck fragt den Jugendlichen, wer es seiner Meinung nach wissen sollte, dass er momentan so viel Stress hat. Sie beschließen, dass Blunck die Mutter informiert. Und die Mutter versteht nach dem Gespräch, warum ihr Sohn in der vergangenen Zeit so zickig zu ihr war. Der Sohn will übrigens nicht, dass seine Mutter die Reise absagt. Jede Seite beginnt, die andere zu verstehen.

Mal geht es um ein Handy, mal um einen blöden Kommentar: Streit unter Jugendlichen gehört zum Alltag auf dem Schulhof. (Foto: Köhler/photothek/imago)

Situationen wie diese, gehören zum Arbeitsalltag der 54-Jährigen in Gilching. Das Gymnasium übernahm eine Vorreiterrolle, indem es vor zehn Jahren die Stelle eines Erziehungsmediators geschaffen hat. 24 Wochenstunden ist Blunck an der Schule beschäftigt. Bezahlt wird sie vom "Zweckverband für weiterführende Schulen im westlichen Landkreis".

Dass es in Schulen zu Konflikten kommt, gehört zum Alltag - Differenzen untereinander, mit Lehrern, Gruppenkonflikte. "Zuhören ohne Wertung und verstehen, was die Wut auslöst, das sind einige Schritte meiner Arbeit", erzählt Blunck. Danach wird gemeinsam überlegt, wie sich die Schwierigkeiten lösen lassen. Bluncks Hilfe nehmen nicht nur Schüler in Anspruch. Auch Eltern und Lehrer holen sich Rat bei ihr.

"Eine bessere Arbeit könnte ich mir nicht wünschen", sagt Schuldirektor Peter Meyer. Dank Blunck gebe es an seiner Schule mit immerhin 1350 Schülern und 130 Lehrern weniger Konflikte als an anderen Schulen dieser Größenordnung. Für die Gespräche mit Schülern oder Lehrern hat Blunck einen sogenannten Trainingsraum, den die Beteiligten unauffällig aufsuchen können, beschreibt Meyer die Situation.

Ehrenamtlich ist Blunck übrigens seit etlichen Jahren Gemeinderätin der ÖDP in Gilching und dort Sozialreferentin.

Schülerin und Ausbilderin: Margarete Blunck (links) hat den Beruf der Erziehungsmediatorin bei Elfi Schloter gelernt. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Sie ist zudem Mitglied im Starnberger Kreistag. 1999 hat Margarete Blunck die Ausbildung zur Erziehungsmediatorin gemacht. Diese dauert drei Jahre und umfasst je ein Wochenende im Monat, drei Wochen Selbsterfahrung, in der die Absolventen ihre eigene Familiengeschichte aufarbeiten, um diese nicht unbewusst auf die Fälle zu projizieren, sowie 33 Einheiten Supervision und ein vierzehntägiges Praktikum. Am Ende der Ausbildung steht eine schriftliche und mündliche Prüfung vor einem zertifizierten Mediator und einem Psychologen.

Ausbilderin von Blunck war Elfi Schloter. Viele Eltern im Landkreis kennen Schloter noch aus ihrer Zeit, als sie die Erziehungsberatungsstelle im Starnberger Landratsamt leitete. Als Schloter Anfang der Siebzigerjahre nach Starnberg kam, waren sie in der Beratungsstelle zu zweit. Als sie 1989 in Pension ging, war der Mitarbeiterstamm wegen des großen Andrangs bereits auf 13 angewachsen. Oft ging es in den Beratungsgesprächen um Schulschwierigkeiten und um Scheidungsprobleme, erinnert sich die Psychologin, Familientherapeutin und Supervisorin. Schon damals hatte Schloter die Schulen aufgefordert, mit den Erziehungsberatungsstellen zusammenzuarbeiten. Neuland in der politischen Landschaft in Bayern. "Heute ist die Jugendhilfe ein Partner der Schulen", sagt Schloter.

Auf die Frage, was sie 1986 dazu bewogen habe, das "Institut für Zusammenarbeit im Erziehungs- und Bildungsbereich" (IFZE) in Berg zu gründen, wird sie plötzlich wortkarg. "Mein Sohn ist damals gestorben", sagt sie. "Ich brauchte eine neue Aufgabe, von der ich wusste, dass er sie gutgeheißen hätte." Der Verein, der über Spenden finanziert wird, versteht sich als eine Art Bindeglied, hat eine Scharnierfunktion zwischen den Kindern und Jugendlichen, den Eltern und den Schulen. "Denn mir ist aufgefallen, dass sich die Lehrer oft allein gelassen fühlen, während die Kinder der Gruppendynamik in den Klassen ausgesetzt sind." Nicht selten sei es auch nötig, die Eltern mit ins Boot zu holen.

Seit 1997 bietet Schloter nun die Ausbildung zum Erziehungsmediator an. Sie kostet 180 Euro im Monat, plus 500 Euro Prüfungsgebühr. Der Lehrplan umfasst Kenntnisse in Psychologie, Medizin, Pädagogik, im juristischen Bereich, in der Methodik, der Mediation und in der Selbsterfahrung. Längst ist die Ausbildung von Erziehungsmediatoren zum Beruf der 79-Jährigen geworden. Schloter arbeitet bei der Ausbildung auch mit vielen Dozenten zusammen. Im September startet ein neuer Ausbildungsjahrgang. Sieben der 18 Plätze sind bereits besetzt.

Dem Erziehungsmediator komme bei einem Konflikt die Rolle des allparteilichen Dritten zu, sagt sie. Sein Ziel sei es, für die Beteiligten eine einvernehmliche, faire Konfliktlösung zu erreichen. Denn Schloter ist sich sicher: "Jeder Mensch hat die Ressource zur Versöhnung."

Beim Fall des 18-jährigen Abiturienten in Gilching, den Margarete Blunck eingangs erzählt hat, war das so. Jeder der Beteiligen hat angefangen, sich in die Lage des anderen hineinzuversetzen. "Der Konflikt hat sich von selbst aufgelöst, weil alle die Not des anderen erkannt haben", sagt Blunck.

© SZ vom 04.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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