Restaurierung:Ein neues Gesicht

Für die Ausstellung "Wege des Barock" ließ die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten zwei Gemälde von Artemisia Gentileschi restaurieren. Die Werke stammen aus einem Saal im Neuen Palais, der derzeit baupolizeilich gesperrt ist.

Von Jens Bisky

Als sie siebzehn war, wurde die junge Römerin Artemisia Gentileschi von einem Kollegen ihres Vaters vergewaltigt, von dem Mann, der sie, die hoch Begabte, in Perspektive unterrichten sollte. Im folgenden Prozess musste sie Folter und demütigende Untersuchungen über sich ergehen lassen. Sie zog nach Florenz und wurde dort als erste Frau in die Accademia dell'Arte del Disegno aufgenommen. Artemisia Gentileschi entwickelte sich zur großen, viel beschäftigten, gut bezahlten Malerin des 17. Jahrhunderts. Ihr gelang eine eigenständige und staunenerregende Künstlerinnenkarriere. Sie starb 1654 in Neapel.

Heute schätzen sich die großen Museen der Welt glücklich, wenn sie ein Werk der Artemisia Gentileschi besitzen oder eines kaufen können. In Potsdam gibt es gleich zwei davon und das schon seit gut zweieinhalb Jahrhunderten: "Bathseba im Bad" sowie "Lukretia und Sextus Tarquinius". Das eine zeigt, wie König David die schöne Bathseba beobachtet, bald wird er sie zum Ehebruch zwingen. Das andere stellt dar, wie der Königssohn Tarquinius Sextus mit dem Dolch in der Hand die Lukretia vergewaltigt. Sie wird daraufhin Selbstmord begehen, das römische Volk sich gegen die Herrschaft der Tarquinier erheben, die Monarchie stürzen, die Republik ausrufen.

Friedrich II. ahnte nicht, dass die Gemälde von einer Frau stammten

Beide Gemälde kaufte Friedrich der Große für sein Neues Palais, mit dem er nach dem Siebenjährigen Krieg seine Stärke und seine finanzielle Potenz demonstrieren wollte. Er ließ sie neben anderen Bildern fest in der Wand des Oberen Saals verbauen, sodass es scheinen musste, als seien sie für dieses Schloss geschaffen worden. Dass eine Frau sie gemalt hatte, ahnten weder er noch einer der vielen Kunstkenner der Zeit, Artemisia Gentileschi war vergessen, die Gemälde sind nicht signiert. Der Malduktus lässt jedoch keine Zweifel an ihrer Urheberschaft.

Friedrich den Großen interessierten in diesem Fall in erster Linie die Sujets. Sie schienen ihm tauglich, den im Unterschied zu ihm, dem König, sexuell sehr aktiven Kronprinzen, der für sein unordentliches, manchen liederlich scheinendes Liebesleben bekannt war, den künftigen Friedrich Wilhelm II., vor den staatsgefährdenden Folgen roher Sinnlichkeit, ungezügelter Leidenschaften zu warnen. Deshalb hat Friedrich die Gemälde vor der Kronprinzenwohnung platziert, neben einem "Raub der Sabinerinnen", einem "Urteil des Paris", einem "Selbstmord der Lukretia", einem "Diogenes in der Tonne".

Bathseba nach Restaurierung, aktuellste Aufnahme

Die Schönheit und ihr Fluch: Artemisia Gentileschi, eine der seltenen erfolgreichen Malerinnen des 17. Jahrhunderts, griff mit „Bathseba im Bad“ eine Erzählung auf, in denen männliche Gier Frauen bedroht.

(Foto: Daniel Lindner)

Dieser Raum im Neuen Palais ist seit Jahren baupolizeilich gesperrt, sodass kaum einer die Potsdamer Gemälde der Artemisia Gentileschi im Original gesehen hat. Und selbst wer vor ihnen stand, sah sie nicht in ihrer ursprünglichen Gestalt. Die Restauratorinnen, die seit Monaten den Zustand der Gemälde untersuchen, die verwendeten Materialien und Spuren der Alterung dokumentieren, stellten fest, dass jemand das Gesicht des Sextus Tarquinius übermalt hat. Artemisia Gentileschi hatte dem Vergewaltiger ein jugendlicheres, hübscheres, trotz der Gier, die ihn treibt, fast zart wirkendes Antlitz verliehen. Diese Entdeckung ist eine kleine Sensation.

Möglich wurde sie durch die Zusammenarbeit des Museums Barberini, das seit seiner Eröffnung vor zwei Jahren von Publikumserfolg zu Publikumserfolg eilt, und der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, die neben vielen anderen Parks und Schlössern auch Sanssouci und das Neue Palais verwaltet.

Das Museum Barberini bereitet die Ausstellung "Wege zum Barock" vor. Sie soll am 13. Juli eröffnet werden und man kann jetzt schon wetten, dass sie das Ereignis des Berlin-Brandenburgischen Kunstsommers wird. Über fünfzig Meisterwerke werden aus Rom, aus dem Palazzo Barberini und dem Palazzo Corsini, nach Potsdam ausgeliehen, darunter auch Caravaggios "Narziss". Er zeigt die Kunst, den entscheidenden, den dramatischen Augenblick sinnlich drastisch und in überwältigender Monumentalität vorzuführen.

Die Prachtparade römischer Barockkunst bietet endlich auch Gelegenheit, die zwei sonst verborgenen Gemälde Artemisia Gentileschis kennenzulernen. Die beiden Großformate wurden ausgebaut, in die Restaurierungswerkstatt der Stiftung gebracht, geröntgt, gereinigt, untersucht, der Firnis vorsichtig abgenommen. Vier Frauen haben sich der Aufgabe gewidmet: die Kustodin Franziska Windt, die Leiterin der Gemälderestaurierung, Bärbel Jakisch, die beiden freien Restauratorinnen Nina Beck und Johanna Thierse.

Tarquinius nach Restaurierung, aktuellste Aufnahme

„Lukretia und Sextus Tarquinius“: Das Werk, als auch „Bethseba im Bad“, ließ Friedrich II. in einem Saal des Neuen Palais fest einbauen.

(Foto: Daniel Lindner)

Ziel einer Restaurierung ist es, möglichst viel über ein Gemälde herauszufinden, es zu reinigen, Schäden wie Risse, Löcher behutsam zu beheben, die Farbschicht zu festigen, aber doch möglichst wenig einzugreifen, zu verändern. Jeder Schritt wird dokumentiert, im Labor werden Stoff- und Farbproben analysiert. Und jeder Fund, jede Beobachtung wirft neue Fragen auf.

Entstanden beide Werke für einen Auftraggeber? Als Paar oder als Teil einer Serie? Vermutlich nicht, ist doch "Bathseba im Bad" anders als "Lukretia und Sextus Tarquinius" nicht auf Leinwand, sondern auf eine Tischdecke gemalt worden. Was ist Original, was spätere Zutat? Im Fall des neuen Gesichts von Sextus Tarquinius war der Befund eindeutig. Es könnte sein, vermutet Franziska Windt, dass im späten 18. Jahrhundert das jugendliche Gesicht des Vergewaltigers zu menschlich, zu sympathisch wirkte, dass man den Übeltäter älter, härter, brutaler erscheinen lassen wollte als Artemisia Gentileschi ihn malte. Sie hat ihre Bilder, Komposition und Farbgebung oft verändert, was dafür spricht, dass ihre Bilder beim Malen entstanden, so wie die Gedanken beim Reden entstehen.

Beide Gemälde müssen sehr bunt und kontrastreich gewesen sein

Die Gemälde sahen in der Mitte des 17. Jahrhunderts nicht so aus, wie wir sie heute vor uns haben. Das liegt vor allem an der Alterung, wodurch die Farbpigmente sich verändern. Der Himmel vergraut und Artemisia Gentileschis große Stärke, die Stoffe schillern und in vielen Nuancen erscheinen zu lassen, ist nur in Teilen noch nachzuerleben, weil die Farben über die Jahrhunderte dunkler geworden sind. Beide Gemälde müssen wir uns, davon ist Franziska Windt überzeugt, sehr bunt, kontrastreich und leuchtend vorstellen.

Die Restaurierungsarbeiten und die Forschungen zur Geschichte der Gemälde werden nicht völlig abgeschlossen sein, wenn die große Barockausstellung im Museum Barberini eröffnet. Es wird darin um Höhepunkte der römischen Barockmalerei gehen und darum, wie sie weithin nach Europa wirkte, bis nach Neapel und auch nördlich der Alpen. Deswegen spielt Friedrich der Große als Sammler, der Bilder von Guido Reni und Luca Giordano kaufte, eine Rolle. Deswegen sind die Gemälde von Artemisia Gentileschi wichtig. Sie zog 1630 nach Neapel, ihr Vater war inzwischen Hofmaler von König Karl I. in London. Sie besuchte ihn dort und kehrte nach seinem Tod nach Neapel zurück.

Die Ausstellung, ein schönes Beispiel für die Zusammenarbeit verschiedener Institutionen, wird nicht nur die Gemälde aus dem noch gesperrten Saal des Neuen Palais allen vor Augen stellen, sondern auch einen Vergleich mit den Bildern von Zeitgenossen und Kollegen ermöglichen. Man wird vergleichen können, an den alten Meistern Neues entdecken.

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