München:Die Verletzlichen

München: Schon heranrasende Radfahrer können ältere Menschen verunsichern. Vor Elektrorollern "haben viele einen Horror", sagt Seniorenbeirat Bauer.

Schon heranrasende Radfahrer können ältere Menschen verunsichern. Vor Elektrorollern "haben viele einen Horror", sagt Seniorenbeirat Bauer.

(Foto: Catherina Hess)

Wegen Unfallrisiken und Sturzgefahren gelten Ältere als die schwächsten Verkehrsteilnehmer. Der städtische Seniorenbeirat und der Experte Wolfgang Hesse diskutieren darüber, was getan werden muss

Von Linus Freymark

Für Reinhard Bauer steht fest: "Wir Senioren sind neben Kindern die schwächsten Verkehrsteilnehmer." Viele ältere Menschen, so der Vorsitzende des Seniorenbeirats der Stadt München, würden nicht mehr so gut sehen oder hören, das Unfallrisiko sei höher als bei jüngeren Verkehrsteilnehmern. Hinzu kommt die Verletzungsgefahr: Ein Sturz beim Versuch, sich vor einem heranrasenden Radfahrer in Sicherheit zu bringen, kann schnell zu einem Knochenbruch führen, von dem sich manche Senioren nie richtig erholen. Bauer hat einen Fachbegriff dafür gefunden, er verwendet ihn gerne, wenn er über die Situation von Senioren im Verkehr spricht: "Wir sind viel vulnerabler als Jüngere."

Im Bundesverkehrsministerium wurde vor Kurzem über die Alltagstauglichkeit von E-Scootern diskutiert, in München streiten Experten, Politiker und die Bahn gerade über einen geeigneten Ausbau des S-Bahnsystems und den Neubau des Hauptbahnhofs. Alles Themen, die auch den Seniorenbeirat beschäftigen: Vor den von Andreas Scheuer (CSU) hochgelobten Elektrorollern etwa "haben viele von uns einen Horror", sagt Bauer. Und über die Verkehrswende und die Zukunft des Münchner Nahverkehrs diskutierte der Beirat am Montag im Rahmen eines Vortrags des Verkehrsforschers Wolfgang Hesse von der Ludwig-Maximilians-Universität im Rathaus. Hesses Fazit: Deutschland müsse dringend einen Ausbau des Schienennetzes forcieren und die durch den Verkehr provozierten Emissionen reduzieren: "Der Verkehr ist Klimasünder Nummer eins." Für München befürwortete er einen schrittweisen Ausbau des S-Bahn-Südrings und kritisierte die hohen Kosten und den großen Aufwand, den der Bau der zweiten Stammstrecke und des Hauptbahnhofs mit sich ziehen würde. Er forderte unter anderem ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen und die generelle Vorrangsregelung für Radler und Fußgänger im Straßenverkehr. Laut Hesse steht die deutsche Verkehrspolitik vor großen Herausforderungen und notwendigen Veränderungen.

Neben den Problemen, vor denen auch jüngere Verkehrsteilnehmer derzeit stehen, etwa Stau oder überfüllte oder ausgefallene U-Bahnen, stehen Senioren zusätzlich vor weiteren Hindernissen. Die meisten älteren Menschen sind auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen, Auto- oder Radfahren fällt vielen schwer. Um U-Bahn, Bus und Tram jedoch auch tatsächlich nutzen zu können, müssen die Haltestellen barrierefrei sein. Bauer meint, in diesem Punkt sei München bereits sehr weit. Doch noch immer gebe es Stationen, die noch nicht umgebaut seien, etwa der Bahnhof in Johanneskirchen. "Dann können manche die S-Bahn eben nicht mehr nutzen", sagt Bauer. Überhaupt fordert der Seniorenbeirat einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs: dichtere Takte, günstigere Tickets, mehr Verbindungen.

Nach dem Vortrag und der Diskussion sitzt Reinhard Bauer alleine auf einem Stuhl in der ersten Reihe. Die anderen Plätze sind bereits leer. Er wisse, dass die Verkehrswende nicht unbedingt ein Thema ist, bei dem die Meinung des Seniorenbeirats gefordert ist, sagt er. Aber er und die anderen wollen sich trotzdem für eine grünere Verkehrspolitik einsetzen, weniger Autos, mehr öffentlicher Nahverkehr. Einige Mitglieder des Beirats werden die Fertigstellung der zweiten Stammstrecke vielleicht nicht mehr erleben, vor 2028 wird sie kaum fertig werden. "Aber wir sehen uns als die, die Zeit und Wissen haben", sagt Bauer. Er hat selbst Kinder und Enkel. Ihnen möchte er ein München mit einem modernen Verkehrssystem hinterlassen.

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