Algorithmen:"Künstliche Intelligenz kann keine Empathie"

Sturmtief 'Friederike'

Wenn ein Schaden entsteht, dann ist menschliche Kompetenz gefragt. Computer können falsche Schlüsse ziehen.

(Foto: Friso Gentsch/dpa)

Versicherer setzen auf Digitalisierung - aber nicht überall. Nach Schäden ist es wichtig, passend zu agieren. Eine von Maschinen generierte Nachricht reicht nicht.

Von Anna Gentrup

Beim Nürnberger Versicherer Ergo Direkt ist ein Programm im Einsatz, das Mails, Faxe und Briefe von Kunden vorsortiert. Ein Kunde reicht einen Schaden ein, ein anderer will eine Preisauskunft, ein Dritter will abschließen, kündigen - oder sich beschweren.

Bei dem Direktversicherer gehen im Jahr allein 300 000 E-Mails ein, sie wurden früher von 1,5 Mitarbeitern sortiert. Das macht jetzt ein Computer mit einem speziell trainierten Algorithmus, berichtete Mark Klein, Digitalchef bei Ergo, bei einer Fachkonferenz. Wenn das Programm einmal eine Mail falsch zuordnet, teilen ihm das die betroffenen Sachbearbeiter mit. Die Maschine lernt ständig dazu, es handelt sich um ein System der künstlichen Intelligenz (KI).

Versicherer sollten nicht versuchen, ihre Kundenberater durch KI zu ersetzen

Zu 90 Prozent ordnet das Programm die Nachrichten korrekt den Bereichen zu. "Wir werden hier sehr schnell bei 98 Prozent liegen", sagte Klein. Die Mitarbeiter, deren Aufgabe das Programm übernommen hat, seien weiterhin bei Ergo beschäftigt. "E-Mails sortieren ist nicht das Hobby der Mitarbeiter, die können viel mehr", sagte er. "Wir könnten deutlich mehr Leute im Kundenkontakt gebrauchen."

KI-Verfahren können hier die Menschen nicht ersetzen. Aber wenn Versicherer diese Techniken nicht nutzen, können sie kaum überleben, argumentierten die Experten. "Die künstliche Intelligenz kann keine Empathie", sagte Stefan Groschupf, Chef des US-Technologieunternehmens Automation Hero.

Nach Schäden - etwa nach einem Einbruch oder einem Unfall - sei es besonders wichtig, zur rechten Zeit passend zu agieren. Eine offensichtlich von Maschinen generierte Nachricht reicht nicht. "Da schlagen Chatbots total fehl", sagte Groschupf. Versicherer sollten nicht versuchen, ihre Kundenberater durch KI zu ersetzen, sondern sie mithilfe von Technologie unterstützen. Sie sollten ihm sofort alle Daten zu dem Vorgang und mögliche Hilfsangebote auf den Bildschirm spielen. So kann der Mitarbeiter mehr Zeit mit dem Kunden verbringen. "Wir müssen in einer schnelleren, digitalen Welt Kundeninteraktion noch menschlicher machen", sagte er.

Dabei haben die Gesellschaften aber keine Wahl, sagte Andreas Liebl, Geschäftsführer der Münchener KI-Initiative Applied AI, die enge Verbindungen zur TU München hat. Liebl glaubt, dass der Markt sich dramatisch verändert und die Unternehmen KI-Techniken flächendeckend einsetzen müssen. Durch die aktuelle Entwicklung sind Unternehmen "extrem gefährdet", die solche neuen Techniken nur an einzelnen Stellen einsetzten. KI sei nicht einfach die Anwendung einer neuen Technologie, sondern ein Prozess, der grundlegende Veränderungen hervorrufe.

Andreas Nawroth, Chef des Segments künstliche Intelligenz beim Rückversicherer Munich Re, erwartet einen "bedeutenden Umbruch" durch die KI. "Das wird schneller kommen als angenommen und es wird die gesamte Wertschöpfungskette beeinflussen", sagte er.

"Wichtig ist die Integration von KI in die Systeme der Firmen", so Nawroth. "Nicht nur ein, zwei Pilotprojekte, das genügt nicht." Stattdessen müssten die Systeme mit großen Datenmengen gefüttert werden. Das geht über die Analyse von E-Mails wie bei Ergo Direkt weit hinaus.

Die Munich Re nutzt ebenso wie ihr Rivale Swiss Re KI-Systeme in großem Stil in der Schadenbearbeitung und der Risikoanalyse. Swiss-Re-Manager Jürg Schelldorfer erklärte, wie ein KI-System mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gesundheitsentwicklung eines 36-jährigen Mannes über einen Zeitraum von 10 Jahren vorhersagt - und danach den Preis für eine Risiko-Lebensversicherung bestimmt und sogar im Laufe der Zeit verändert. Dafür gehen Daten über den potenziellen Kunden ebenso in die Berechnung ein wie große Mengen an allgemeinen Gesundheitsdaten. "Das kann sogar dazu führen, dass der Betreffende sein Gesundheitsverhalten ändert."

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