Großbritannien:Viel Würde und ein bisschen Kitsch

Eine emotionale Theresa May, ein Gebete vorlesender Donald Trump, "Sailing" von Rod Stewart: Wie die globale Politprominenz beim Auftakt der Gedenkfeiern des D-Day vor 75 Jahren gedachte.

Von Cathrin Kahlweit, London

Die Vorbereitungen am Strand von Portsmouth in den vergangenen Wochen wurden beileibe nicht so strikt geheim gehalten wie vor 75 Jahren; damals hing das Wohl und Wehe Hunderttausender, das Gelingen der vielleicht riskantesten Operation im Zweiten Weltkrieg davon ab, dass vorab nicht das winzigste Detail bekannt wurde. Zwei Tischler, die eine Landkarte für die Planung des D-Day, der alliierten Landung in der Normandie, gebaut hatten, waren danach mehrere Monate nicht nach Hause entlassen worden, weil sie nun ein Kriegsgeheimnis kannten. Eine Hellseherin, die offenbar Informationen über ein gesunkenes Schiff hatte, wurde verurteilt, weil sie womöglich Zugang zu Geheiminformationen besaß. Vorsichtshalber. Hitler sollte glauben, dass die Alliierten weiter östlich landen würden. Er ließ sich bis zuletzt täuschen.

Nun, 75 Jahre später, galten die Heimlichkeiten im Vorfeld einzig der Hoffnung, dass Überraschung und Freude über das perfekte Gelingen einer minutiös geplanten Gedenkfeier nicht im Vorhinein verdorben werden sollten. Eine riesige Bühne samt Nebenbühne war am Strand aufgebaut worden - unweit von dort, wo bei stürmischer See und schwierigen Witterungsbedingungen in der Nacht zum 6. Juni alliierte Soldaten in See stachen, um an der Nordküste von Frankreich die Verteidigungsanlagen der Wehrmacht zu stürmen und mit der Befreiung Frankreichs das Ende des Nazi-Regimes einzuläuten.

Auf der Konferenz von Teheran im Winter 1943 hatten die mächtigsten Anführer der Anti-Hitler-Koalition, US-Präsident Franklin D. Roosevelt, der britische Premierminister Winston Churchill und der sowjetische Staatschef Josef Stalin, eine Gesamtoffensive gegen Nazi-Deutschland beschlossen. Die Landung in der Normandie war der Auftakt zur Endphase der Befreiung. Rund 7000 Landungsboote brachten damals mehr als 130 000 Soldaten an die Küste der Normandie, unterstützt von einer Luftwaffe mit Tausenden Flugzeugen.

Am Mittwoch nun waren, gemeinsam mit etwa 60 000 weiteren Gästen und Teilnehmern, die Queen und Thronfolger Prinz Charles, aber auch ein Dutzend Staats- und Regierungschefs nach Portsmouth gereist, darunter US-Präsident Trump, der mit der Teilnahme an den Feierlichkeiten seinen dreitägigen Staatsbesuch im Königreich beendete. Der kanadische Premier Justin Trudeau war gekommen, ebenso der französische Präsident Emmanuel Macron, der am Donnerstag eine weitere Gedenkfeier in der Normandie abhalten lässt.

Die Briten haben die Herausforderung angenommen, inmitten der Brexitwirren, trotz einer praktisch schon zurückgetretenen Premierministerin und dem Mega-Aufwand für den amerikanischen Staatsgast ein echtes Spektakel zu veranstalten, das sich über Tage zieht und mit der Veranstaltung am Mittwochmittag samt Gebeten, Filmausschnitten, Lesungen und Reden seinen Höhepunkt erreichte. Die Federführung hatte das Verteidigungsministerium, das die Royal British Legion einband, den Veteranenverband.

Die Veranstaltung erinnerte auch an die damalige Zusammenarbeit über ideologische Gräben hinweg

Manch einer unter den Ehrengästen wischte sich denn auch verstohlen eine Träne aus dem Auge, denn die Gedenkfeier war tatsächlich ein üppig inszeniertes und sehr emotionales Multimedia-Spektakel: Schlager aus den 40ern, Aufmärsche und Überflüge, historische Filmausschnitte, Rezitationen aus Memoiren, Drama, Mut, Todesangst. Alles noch einmal zum Leben erweckt. Es war eine würdige, wenngleich bisweilen ins Kitschige abgleitende Veranstaltung, die an das erinnerte, was die Welt nach dem Sieg über Nazi-Deutschland bewegte: Hoffnung und, für eine kurze Weile, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit über ideologische Gräben hinweg.

Bereits im Vorfeld waren einige Hundert britische Veteranen angereist, die auf einem Kreuzfahrtschiff bewirtet und von Rod Stewart mit seinem Song "Sailing" beglückt wurden. Etwa 300 von ihnen saßen dann auch am Mittwoch im großen Rund, und Veteranen, die vor 75 Jahren ihr Leben aufs Spiel setzten, sind es auch, die nach der Feier auf einem Kreuzfahrtschiff, der MV Boudicca, die Reise quer über die See noch einmal antreten werden - etwas bequemer diesmal, zur Erinnerung an Tausende gefallene Soldaten und zum Dank dafür, dass sie selbst überlebt haben.

Die Regie der Veranstaltung hatte dankenswerterweise die Politprominenz zu Statisten gemacht. Donald Trump las kurze Auszüge aus einem Gebet, mit dem sein Vorgänger, Franklin D. Roosevelt, die US-Truppen in den großen Kampf verabschiedet hatte. Emmanuel Macron verlas den letzten Brief eines 1944 exekutierten, erst 16-jährigen Widerstandskämpfers. Und Theresa May trug den Brief eines britischen Soldaten vor, der sich von seiner Familie verabschiedete: "Obwohl ich alles dafür geben würde, zu dir zurückzukehren, habe ich nicht den Wunsch, mich vor dem zu drücken, was uns bevorsteht. Ich würde dir gern so vieles sagen, das du alles schon oft gehört hast. Ich meine es heute mehr denn je." Captain Norman Skinner vom Royal Army Service Corps fiel wenige Tage später. May las den Brief mit so viel Würde und Gefühl vor, dass Tausende gebannt an ihren Lippen hingen. In diesem Moment war sie ganz Mensch.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Textes hieß es, dass Angela Merkel auch an den Feierlichkeiten in Frankreich am Donnerstag teilnehmen würde. Die Bundeskanzlerin ist allerdings bereits wieder zurück in Deutschland.

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