Gianni Infantino:Er lässt sich ins Amt klatschen

Gianni Infantino: Weiter Fifa-Präsident: Gianni Infantino.

Weiter Fifa-Präsident: Gianni Infantino.

(Foto: AFP)
  • In Paris wird Gianni Infantino als Präsident des Fußball-Weltverbandes Fifa wiedergewählt.
  • Die Delegierten wählen ihn per Applaus. Infantino zeichnet ein rosiges Bild der Fifa.
  • Derweil räumt die Fifa selbst ein, dass es auf den Baustellen zur WM in Katar weiter zu "Verstößen" kommt. Bauarbeiter behaupten, ihre Kollegen würden vor ihren Augen sterben.

Von Thomas Kistner, Paris

"Macht die Musik lauter", ruft Gianni Infantino, als er zu stampfenden Klängen Richtung Rednerpult schreitet. Kurzer Narrhallamarsch im ansonsten sehr schmucklosen Pariser Messezentrum an der Porte de Versailles, bloß dass die Hand hier nicht die Stirn unter der Narrenkappe berührt, sondern heftig über diese Stelle rubbelt, wo das Herz ist. "Uff!", "Puh!" - dann ist es so weit. Der alte, neue Weltfußball-Präsident gibt seine Kernbotschaft preis: "Die neue Fifa steht für Offenheit, Einigkeit und Führungsqualität!" Sowie natürlich für den Rest des gängigen Wohltaten-Sortiments: für Jugend, Frauen, Transparenz, Integrität et cetera pp.

Die Show ist wie stets perfekt vorbereitet. Bis in die Details - weil Infantino ja, trotz seiner Alleinkandidatur, keineswegs sicher sein durfte, dass ihn wirklich alle wählen würden, die ihm dies nach altem Brauch in netten Briefen versichert hatten. Um also der Peinlichkeit von ein, zwei Dutzend Enthaltungen oder gar einigen Gegenstimmen vorzubeugen, vollzieht er einen Handstreich im Kongress, der - wie so oft - nicht den Fifa-Regeln entspricht. Denen zufolge müssen Statutenänderungen zwei Monate vor Kongressbeginn schriftlich allen Verbänden vorgestellt werden. Aber wen kümmert's?

15 Sekunden Zeit hatte das Plenum aus 211 Verbänden, um die Statuten dahingehend abzuändern, dass der Fifa-Boss künftig auch durch einen eher altertümlichen Wahlmodus auf den Thron gehievt werden kann: per Akklamation. Klatschen, bis die Hände glühen. Während der Gefeierte gerührt in die neue Amtszeit schritt.

Paris, Schauplatz des 69. Fifa-Kongresses, offenbarte wie in der Nussschale wieder all die Probleme des Weltfußballs - Probleme, die er so schnell nicht los wird. Wie Opium inhalierten die Versammelten die neuesten Rekord-Erlöszahlen, die ihnen verkündet wurden, andächtig lauschte ein Großteil des Stimmvolks Infantinos beständig ins Euphorische lappenden, eingentlich nur um ihn selbst kreisenden Ausführungen. Der Mann aus dem Wallis hat auch im Showsegment der Selbstinszenierung geschafft, was bis zu seiner ersten Kür 2016 als undenkbar galt: Sepp Blatter, seinen Vorgänger, auszustechen.

"Heute ist ein glücklicher Tag!" verriet Infantino dem Auditorium gleich zu Beginn - gemeint haben könnte er damit neben seiner seit Monaten geklärten Wiederwahl auch den kleinen Ausrutscher, den sich Emmanuel Macron am Vorabend geleistet hatte, sehr zu Infantinos Freude. Frankreichs Staatschef hatte seine Gastgeberrolle für den Weltfußball so interpretiert, dass er der Europa-Union Uefa mahnende Worte in Hinblick auf die Reform ihrer Wettbewerbsformate auf den Weg gab. Macron und Infantino verstehen sich bestens, Infantino und Uefa-Präsident Aleksander Ceferin hingegen mögen sich gar nicht - vor diesem Hintergrund erhielt die unübliche Einmischung von oben eine deutliche Färbung.

So sah es auch Frankreichs Verbandschef Noël Le Graët, der nun in Paris auf den Vorstandsplatz in der Fifa gerückt ist, den Ex-DFB-Präsident Reinhard Grindel im Zuge seiner Uhren-Affäre hatte räumen müssen. Und Le Graët traute sich sogar, es zu sagen! Sein Auftritt währte kurz, bot aber mehr Aufschluss als all die Elogen von Infantino und Co. Er rückte Macrons Fauxpas gerade: "Ich danke dem Uefa-Präsidenten. Wir können unsere Angelegenheiten ohne Einmischung von außen regeln." Und er erwähnte, dass die Wege in die Fifa für europäische Kandidaten nur über die Uefa führen, diese besetzt ihre Plätze im Welt-Council selbst: Ein sachdienlicher Hinweis war das auch an die DFB-Delegation, die zum Pariser Konvent auch mit dem erklärten Ziel gereist war, sich "ein wenig aus dem Abseits" herauszubewegen, in dem man sich seit Grindels Abgang sieht. Man wolle und müsse mit beiden Seiten klarkommen, mit Fifa und Uefa, ließen die deutschen Zaungäste immerzu anklingen.

Eingedenk des realen Risses, der zwischen diesen Großverbänden klafft und der in Paris nicht kleiner wurde, erscheint so ein Spagat naiv. Er könnte den DFB sogar tiefer in die Isolation zu führen. Vorläufig ist nicht absehbar, ob die Uefa irgendwann DFB-Leute in den Fifa-Rat entsenden möchte, die mitfühlendes Verständnis für Infantinos Fußball-Autokratie hegen.

"Zwei Arbeiter sind vor meinen Augen im Stadion gestorben"

Das Bild der Deutschen prägt aktuell auch Sylvia Schenk, die als Sportexpertin für "Transparency International" seit vielen Jahren eng mit der Funktionärswelt zugange ist und jüngst in der Deutschen Welle befand: Bei allen Fehlern Infantinos sei doch "die Fifa als Institution auf jeden Fall vorangekommen"; speziell bei den Menschenrechten. Schenk, muss man wissen, sitzt im Menschenrechtsbeirat der Fifa, für den auch DFB-Interimschef Rainer Koch im Governance-Komitee der Fifa zuständig ist. Infantino hob in Paris nun das Wirken dieses Gremiums hervor - "Schauen Sie auf die Fortschritte in Katar, dank des Fußballs!" Blöd nur, dass gleichzeitig erste Meldungen ins Netz sickerten, dass ein WDR-Fernsehteam noch am selben Abend erschreckende Bilder in der Sendung Sport Inside präsentieren wolle: Ein Nepalese, der auf der Baustelle Al Bayt arbeitete, berichtete über die Ängste bei sich und den Kollegen, "vor allem in großer Höhe. Zwei Arbeiter sind vor meinen Augen im Stadion gestorben". Die Kolonne habe sich geweigert, weiterzuarbeiten, sei aber dazu "gezwungen" worden. Ein anderes Mal seien sieben Arbeiter im Büro eines Bau-Subunternehmers verprügelt worden.

Die Fifa antwortete am Rande des Kongresses auf diese TV-Recherchen. Sie räumte sogar ein, dass es bei einem WM-Stadionbau in Katar zu "Verstößen gegen die Standards für die Arbeiter" gekommen sei; man wolle diesen "schwerwiegenden Vorwürfen" nachgehen. Laut WDR hätten auf Anfrage weder die betroffenen Firmen noch die Behörden Katars reagiert. Indes schloss das Organisationskomitee der WM aus, dass es die beschriebenen Todesfälle auf der Baustelle gab; auch von Misshandlungen sei nichts bekannt.

Solche Berichte aus der realen Welt setzen die Fifa unter Druck - und auch diejenigen, die in Infantinos Ägide substanzielle Verbesserungen sehen. Koch und Schenk etwa, die bezüglich der Menschenrechtslage im WM-Land 2022 gern Fortschritte darlegen. Doch womöglich ist es ein Unterschied, ob unabhängige Journalisten mit direkt Betroffenen reden und mit diskreter Kamera unterwegs sind, oder ob ein ausgesuchter Honoratiorenstab, warm empfangen von den Autoritäten des Wüstenstaats, Inspektionen vornimmt.

Und damit zurück in Infantinos wunderbarer Fußballwelt in Paris: In nur gut drei Jahren, so der Präsident, habe er die Fifa von einer "fast kriminellen" Organisation in einen Hort des Guten verwandelt. Denn: "Heute, am Wahltag, spricht niemand mehr über Krisen, über Skandale, niemand spricht mehr über Korruption!" Das war bemerkenswert kaltschnäuzig eingedenk der Tatsache, dass dem Fifa-Ethikkomitee seit März ein hunderte Seiten starkes Anklagedossier gegen Ahmad Ahmad vorliegt. Um nur ein Beispiel zu nennen.

Der FunktionärAhmad aus Madagaskar hatte Infantino Anfang 2016 eine UN-Mitarbeiterin in Ostafrika vorgestellt: Eine gewisse Fatma Samoura. Wenig später wurde die Senegalesin Fifa-Generalsekretärin - also Vorstandschefin des Weltfußballs. Aber nur auf dem Papier; Samoura hat auch nach drei Jahren kein Profil im Fußball entwickelt. Weshalb er die Afrikanerin berufen haben könnte, entfuhr Infantino womöglich nun im Überschwang des Kongress-Feiertags: "Wir haben in Fatma eine Frau als Generalsekretärin - und sie ist auch keine Europäerin!", rief er in die Halle. Im selben Moment tauchte das Gesicht der Senegalesin auf der riesigen Leinwand auf. Auch ohne viel Taktgefühl war erkennbar, wie Samoura diese Vorführung empfand. Wenigstens fühlte sich im überwiegend mit Männern gefüllten Saal niemand bemüßigt, auf die Schenkel zu patschen. Eine ebenso steile Karriere wie Samoura machte auch ihr Mentor Ahmad. Er wurde 2017 Chef des Afrika-Verbands Caf. Nun liegen harte Vorwürfe gegen ihn vor, erhoben vom ehemaligen CAF-Generalsekretär Amr Fahmy, den Ahmad gefeuert hatte. Es geht um Klassiker in der Fußball-Geschäftswelt: Ahmad soll Abzweigungen aus Fördergeldern für Verbandschefs von je 20 000 Dollar bewilligt haben (siehe Ausriss), verkleidet als "Aufwandsvergütung". Er soll für 830 000 Dollar Fußballausrüstungen zu überhöhten Konditionen bei der Firma eines Freundes geordert haben. Es geht um teure Autos, sogar um unangemessenen Umgang mit Verbandspersonal.

Ahmads bisherige Erklärungsversuche, vorgetragen bei der britischen BBC, klangen wenig überzeugend. Die Berufung Fahmys sei ein Fehler gewesen, Präsidentenkutschen müssten halt repräsentativ sein, und die Ausrüstung habe bestellt werden müssen, weil der Vorgänger keinen offiziellen Vertrag mit einer Bekleidungsfirma abgeschlossen habe. Ach so.

Was die Fifa-Ethikermittler unter der von Infantino ausgesuchten Kolumbianerin Claudia Rojas tun werden, ob sie den Fall des Präsidenten-Vertrauten überhaupt anschauen, ist nicht bekannt. Die Verwaltungsjuristin Rojas schwirrte in Paris im Party-Modus durch die Halle, herzte und grüßte die lieben Delegierten. Tags zuvor hatte sie den Aufpassern im Compliance-Komitee auf deren Eingabe hin mitgeteilt, dass sie keinen Anlass für ein Verfahren gegen Infantino sehe. Der Boss hatte mit einer Flut an Geschenken für einen privaten Freund offenkundig gegen Verhaltensregeln verstoßen. Aber wurscht. Über Skandale spricht ja keiner in Infantinos neuer Fifa.

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