Antisemitismus:In nur zwei Monaten 15 Fälle in München

Münchner demonstrieren 2018 gegen Antisemitismus. Zum Zeichen der Solidarität tragen viele eine Kippa.

Münchner demonstrieren 2018 gegen Antisemitismus. Zum Zeichen der Solidarität tragen viele eine Kippa.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus registiert seit April alltäglichen Antisemitismus in Bayern.
  • Judenfeindliche Parolen, ein Hitlergruß vor der Synagoge oder SS-Runen an einem Mahnmal: Allein in München hat sie innerhalb von zwei Monaten 15 solcher Fälle aufgenommen.
  • Nun veröffentlicht die Einrichtung solche Vorfälle auch auf ihrer Facebookseite.

Von Martin Bernstein

Man mag die Worte kaum wiedergeben. Aber sie sind so gefallen. Mitten in München, auf dem Jakobsplatz. Ein altes Ehepaar steht Anfang April vor der Synagoge Ohel Jakob. Der Mann deutet in Richtung des Gotteshauses und erklärt seiner Frau: "Schau mal. Diese Gebäude da vorne wurden für den Judendreck hingebaut." Er gibt sich keine Mühe, leise zu sein. Er will wohl gehört werden. Als ihn eine Zeugin anspricht, beschimpft er sie: "Du bist doch asozial." Und dann kommt der alte Mann richtig in Fahrt. Hass auf Israel und Holocaustleugnung packt er in seine Tirade: "Die armen Palästinenser. Den Juden ist noch nie etwas passiert. Nur den Palästinensern." Die Ehefrau, die danebensteht, versichert, ihr Mann sei kein Nazi. Die Juden gehörten vernichtet, sagt der Mann, denn: "Wegen so 'nem Dreckspack muss man sich aufregen."

Alltag in München? Man mag es nicht glauben - und muss es doch. 15 Fälle wie diesen hat die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) schon registriert, seitdem sie am 1. April im Auftrag des Sozialministeriums und mit Unterstützung des Antisemitismus-Beauftragten der Staatsregierung, Ludwig Spaenle, ihre Arbeit in Bayern aufgenommen hat. Seit Dienstag veröffentlicht Rias Bayern solche Vorfälle nun auch auf einer Facebookseite.

"Damit soll das Ausmaß des alltäglichen Antisemitismus sichtbarer gemacht werden", erklärt Leiterin Annette Seidel-Arpacı. "Es muss nicht immer eine so krasse Konfrontation sein, auch vermeintlich weniger schwerwiegende Fälle, oft unterhalb der Strafbarkeitsschwelle, können massive Auswirkungen auf Betroffene haben." 39 antisemitische Vorfälle hat die beim Jugendring angesiedelte Einrichtung bayernweit binnen zwei Monaten registriert.

Die meisten der Vorkommnisse fallen nach Rias-Angaben unter die Kategorie "Verletzendes Verhalten": antisemitische Äußerungen gegenüber jüdischen und nichtjüdischen, israelischen und nichtisraelischen Personen oder Institutionen. Aber auch antisemitische Massenzuschriften, gezielte Sachbeschädigungen jüdischen Eigentums oder von Schoah-Gedenkorten, eine Bedrohung und ein physischer Angriff wurden bereits dokumentiert.

Keine Einzelfälle. 86 antisemitische Straftaten registrierte die Münchner Polizei vergangenes Jahr, darunter eine Serie von 33 Briefen mit antisemitischen und islamfeindlichen Morddrohungen - gegen Kindergartenkinder. Im Jahr zuvor waren 51 antisemitische Delikte in der Kriminalstatistik verzeichnet, 2015 waren es noch 24.

In diesem Jahr hat die Polizei schon acht Mal über strafbare Fälle von Judenhass in München berichtet. Darunter war eine antisemitische Hassmail-Serie von offenkundig gewaltbereiten Tätern, die sich "Staatsstreichorchester" nennen. Und eine Chat-Gruppe von 47 Polizisten hauptsächlich des Unterstützungskommandos (USK), in der auch antisemitische Videos kursierten.

"Wir sind uns sicher, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist"

Ein Hitlergruß vor der Synagoge, SS-Runen am Deportations-Mahnmal in Obermenzing, ein Rechtsradikaler, der antisemitische Parolen von seinem Balkon in der Fasanerie brüllt, ein Zettel, auf dem gegen Juden gehetzt wird, an der Tür eines israelischen Lokals in der Maxvorstadt. So äußert sich Judenhass in München.

In der Münchner U-Bahn singen Fußballfans ein antisemitisches Lied und leugnen die Schoah. Ein jüdischer Unternehmer entdeckt an der Wand seines Firmenparkplatzes in einem Vorort von München einen durchgestrichenen Davidstern und ein Hakenkreuz. "Wir sind uns sicher, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist", sagt Seidel-Arpacı. Sie ist überzeugt davon, dass mit dem Start der Facebookseite noch mehr Menschen antisemitische Vorfälle melden werden.

Oft ist laut Seidel-Arpacı der politische Hintergrund nicht direkt zuzuordnen: "Ein Hakenkreuz kann genauso von einem islamistisch motivierten Täter wie von einem Neonazi an eine Synagoge geschmiert werden", sagt sie. Dennoch geht die Polizei davon aus, dass die Masse antisemitischer Straftaten auf das Konto rechter Täter geht.

Im ersten Quartal 2019 registrierte die Polizei bayernweit 26 strafbare Fälle von Judenhass, 23 davon werden als politisch rechts motiviert gewertet. Das geht aus aktuellen Zahlen der Bundesregierung hervor. Acht Tatverdächtige konnten bisher ermittelt werden - allesamt Rechtsextremisten. Vergangenes Jahr wurden in Deutschland 1799 antisemitische Straftaten verübt, 49 Menschen wurden dabei verletzt.

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