Klassik:Fracksause

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Kleider machen Leute: Bei den Konzerten von Frank Peter Zimmermann und Hilary Hahn in München zeigt sich, wie sehr die Musik von der äußeren Erscheinung geprägt ist.

Von Reinhard J. Brembeck

Auftritt Hamlet, Auftritt Hilary Hahn. "Auftritt" ist ein im Theater gängiger Begriff, gern wird er auch für Konzerte verwendet. Der Konzertbesucher aber macht sich kaum klar, wie grundlegend die Parallelen zwischen Theater und Musik sind und wie stark seine Erwartung noch vor jedem erklingenden Ton durch Auftritt und Erscheinung eines Musikers vorgeprägt wird. Der Philosoph Theodor Adorno hat den Komponisten Maurice Ravel "Meister der klingenden Masken" genannt. Und die Interpreten? Die sind bei jedem Auftritt Meister musikalischer Maskeraden. Wobei, das lehren die Bilder des in bunte Mumpitzereien verliebten Symbolistenmalers James Ensor, eine Maske nichts verbirgt, sondern, im Gegenteil, Wesentliches und Verborgenes grell zum Vorschein bringt. Bei den Münchner Auftritten der Geigerin Hilary Hahn mit einem Bach-Abend im Prinzregententheater und von Frank Peter Zimmermann mit Bohuslav Martinůs selten zu hörendem 2. Violinkonzert im Nationaltheater war das wieder fein zu beobachten.

Zur Maske gehört immer auch das Kostüm. Gegensätzlicher aber können Kostüme nicht sein als die der Geigengroßweltmeister Hahn und Zimmermann. Er trägt einen nicht übermäßig eleganten und auch nicht fabelhaft gut sitzenden schwarzen Anzug. So verschanzt sich Zimmermann hinter diesem Standardbollwerk der Männlichkeit. Der Anzug suggeriert Abwendung und Ablehnung von Show, Blendwerk, Extravaganz und Experiment, er steht für Seriosität, technische Souveränität, Verbindlichkeit, Allgemeingültigkeit.

Mit dem Kleid spielt sich die Maskierung in den Vordergrund und lenkt vom Menschen ab

Mittlerweile verzichten viele Büromenschen wie Solisten, so auch Zimmermann, zunehmend auf eine Krawatte. Und die Fliege ist noch seltener geworden, steht sie doch offen für Extravaganz, die viele Musiker der bürgerlichen Mitte gern vermeiden wollen. Extravagant aber wirkt die um sich greifende Mode von Dirigenten, bloß mehr ein elegantes langes Hemd ohne Binder zur Hose zu tragen. So wie Zimmermanns hoch gewachsener Dirigent Dima Slobodeniouk, der damit aussieht wie eine Mischung aus Nosferatu, Salonlöwe und Guru. Seine ausgreifenden Armbewegungen in Igor Strawinskys "Feuervogel", dessen rhythmische Zuspitzungen grandios gelingen, unterstreichen diesen Eindruck.

Der in Extravaganzen verliebte und sich ähnlich kleidende Dirigent Teodor Currentzis, der sein Outfit selbst entwirft, ist auch in diesem Punkt der radikalste seiner Sorte. Ein Musiker, der durch seine zwischen sportlich und ausgefallen changierende Erscheinung zu erkennen gibt, dass es auch sein Dirigat sein wird.

Den Frack dagegen, dieses Unterschichtsrelikt der frühen Industrialisierung, tragen nur noch wenige Solisten. Wohl aber die Männer in dem an diesem Abend männerlastigen Staatsorchester. Der Frack ist die Maske pur. Er drängt sich in den Vorder- und den Mann darin in den Hintergrund. Er nivelliert jede Individualität, er steht für Austauschbarkeit. Der Frack taucht alles in einen festlich karnevalesken Rahmen. Die Staatsorchestermusikerinnen, alle ebenfalls in schwarz, mit Bluse und Hose oder langem Rock, können in ihrem sehr viel weniger konfektionierten und festlich einheitlichen Outfit nicht neben dem brillanten Einheitslook der Männer bestehen.

Hilary Hahn tritt in einem bodenlangen roten Edelkleid auf die leere Bühne, an deren Rand karger Blumenschmuck Friedhofsatmosphäre verbreitet. Unwillkürlich denkt der Konzertbesucher an die in einem langen weißen Kleid ertrinkende Maria Callas in Luchino Viscontis "Traviata"-Inszenierung. Wie der Frack, so blendet auch das Abendkleid jede Individualität aus, weil sich die Maskierung in den Vordergrund spielt und vom Menschen ablenkt. Anzug und im höheren Maße das Abendkleid sind eine Maske, die den Musikermenschen und seine Verletzlichkeit vor der Neugier des Publikums schützen soll.

Dies steht im Widerspruch zum heute gängigen Musikverständnis, das ja vom Interpreten fordert, dass er sein Eigenstes und Intimstes vermittels einer nicht von ihm komponierten Musik ins gleißende Licht der Öffentlichkeit katapultieren soll. Dieser Anspruch ist verkehrt, weil er die völlige psychische Entkleidung des Musikers fordert, um Erfolg haben zu können. Zudem erklärt dieser Anspruch, warum die meisten Musiker sich hinter ihrer Kleidung zu verstecken versuchen. Als wollten sie damit suggerieren, dass ihr Spiel keinesfalls von ihren intimsten und geheimsten Wünschen künden würde. Was es aber durchaus tut.

Doch Maske und Kostüm sind Verräter. Wie der Anzug bei Frank Peter Zimmermann verrät das Festkleid viel über die Ästhetik von Hilary Hahn. Rot ist eine provokante Farbe, ganz gleich, wie man sie konkret deutet. Sie zieht den Blick des Zuschauers auf die sowieso schon einsam auf der Bühne stehende Musikerin. Der Schnitt des langen Abendkleides, der den Körper fast völlig verdeckt, macht aus der Frau auf der Bühne fast eine Figurine, wie sie in Museen steht. Hilary Hahn aber durchbricht die ihr vom Kleid aufgezwungene Statik durch eine lässig grazile Choreografie, die so gar nicht zu dieser Robe passt. Im Programmheft zeigt sich die fast 40-jährige Hahn geradezu girliehaft in einer zerschlissenen schwarzen Jeans und in schwarzem Oberteil mit durchbrochenen Ärmeln. Zu diesem Outfit würde ihre Choreografie stimmig passen. Doch das wäre dann gewöhnlich und hätte nichts Extravagantes.

Neugierig begibt sich diese grandiose Geigerin mit Bach auf einen Weg ins Ungewisse

Abendkleid plus Choreografie passen exakt zu Hahns Umgang mit Bach in den Soli a-Moll, E- und C-Dur. Die Geigerin begegnet dem strengen Konstruktivisten Bach gelassen mit jugendlicher Heutigkeit. Hahn war siebzehn Jahre alt, als ihre erste CD erschien, mit drei Soli von Johann Sebastian Bach. Das ist immer noch eine sensationelle Aufnahme, da sie diese Stücke fern aller Vorbilder, ruhig und ohne alle dramatischen Zuspitzungen als lichte Zaubergärten präsentiert, geheimnisvoll, aber stets stimmig. Hahn schiebt ihre Persönlichkeit nie vor die Musik. Sie trägt Bach so vor, wie sie ihr rotes Abendkleid trägt: als etwas unverkennbar ehrwürdig Altes, das noch immer verzaubert.

Mittlerweile aber gibt Hilary Hahn ihre lange geübte hinreißende Distanz, lange Zeit ihr Alleinstellungsmerkmal, immer wieder mal auf, setzt auf Leidenschaft. So verdichtet und vergrößert sie den Klang gerade in den Satzschlüssen. Das ist neu in ihrem Musizieren, und dieses neue Element wirkt noch nicht organisch eingebunden in ihr Spiel. Da ist diese grandiose Musikerin neugierig auf dem Weg ins Ungewisse.

Hahn pflegt in ihrer Erscheinung wie in ihrem Spiel eine aristokratische Extravaganz, die derart erlesen ist, dass sie vom Hörer kaum als Extravaganz wahrgenommen wird. Sie belässt Bach durchaus in seiner zeitlichen wie ästhetischen Fremdheit, bindet ihn aber ganz leicht ans Heute an. Frank Peter Zimmermann dagegen holt mit seiner alltäglichen Erscheinung und seinem zwar nie exzentrischem, wohl aber exzeptionell beherrschten Spiel Martinů in die Mitte der Gesellschaft. Er nimmt der folkloristischen Urtümlichkeit alles ungeschlacht Gefährdende oder Verschreckende. Doch dank seines enormen technischen Könnens wirkt das nie als Verkleinerung oder Domestizierung.

© SZ vom 07.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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