Sangeskunst auf Zuruf:Die Opern-Erfinder

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Die Impro-Oper "La Triviata" mit Andreas Dellert, Burkhard Kosche, Sibylla Duffe und Maria Helgath in Wasserburg. (Foto: Veranstalter/Christian Flamm/oh)

Das Ensemble für improvisierte Opern "LaTriviata" begeistert bei den Wasserburger Theatertagen

Von Peter Kees, Wasserburg

Man nehme eine hochdramatische Sopranistin, eine lyrische Sopranistin, einen Tenor, einen Bass sowie einen Pianisten und lasse die vier klassischen Sänger samt ihrem Begleiter eine Oper improvisieren, im Moment erfinden. Vermutlich meint man, dass das gar nicht geht, lernen klassische Musiker doch in der Regel ausschließlich nach Noten zu musizieren. Und es geht doch, wie Deutschlands erstes und einziges Ensemble für improvisierte Opern LaTriviata Pfingstsamstag bei den Wasserburger Theatertagen bewies, und zwar grandios.

Man mag es kaum glauben, kein einziger Ton war an diesem hinreißenden Abend notiert. Tatsächlich erfanden Maria Helgath (Sopran), Sibylla Duffe (Sopran), Andreas Dellert (Tenor), Burkhard Kosche (Bass) und Michael Armann am Klavier eine ganze Oper in drei Akten spontan. Gewisse Vorgaben dafür gab es vom Publikum. Per Zuruf wurden vier Protagonisten erfunden, jeder erhielt einen Namen sowie bestimmte Charaktereigenschaften: die Leidenschaft der Konditorin Regina ist Fallschirmspringen, Guiseppe ist zickig und liebt Marienkäfer, die sensible Helena kann eigentlich gar nicht singen und Don Juan ist schwul und malt gerne Puppen. Die Handlung spielt im Wasserburger Rathaussaal.

Soweit, so gut. Das könnten die Vorgaben für ein klassisches Improtheater sein, nur dass dort eben keine Sänger, sondern Schauspieler die Geschichte spinnen. Hier sind es aber Opernsänger, die alles bieten von Barockmusik bis zum Musical. Fabelhaft, wie sie einander zuhören, Arien, Duette und Quartette aus dem Moment heraus erfinden, dabei nicht nur die musikalische Struktur, sondern zugleich den Text und den Fortlauf der Geschichte extemporieren.

Vor dem letzten Akt wird das Publikum gefragt, ob man ein gutes oder schlechtes Ende möchte. Drama oder Happy End? Das Votum des Publikums war für einen harmonischen Schluss und so lagen sich denn zum Finale zwei liebende Paare singend in den Armen. In der eben ausgedachten Oper ging es darum, dass Don Juan seine Liebe zu Regina entdeckt und gar nicht homosexuell ist. Rezitative, hochdramatische wie lyrische Momente, musikalische Klänge von Händel bis in die Gegenwart hörte man in dieser Spontan-Oper. Das Publikum applaudierte frenetisch.

Singen können alle vier erstklassig; sie könnten gerne Solisten an manch größerem Opernhaus sein, was wohl auch der Fall ist. Die Stimme von Maria Helgath hat Kraft, die Sopranistin singt dramatisch wie ausdrucksstark. Sibylla Duffe besticht ebenfalls mit ihrem wohlschönen, lyrischen Sopran - und einem exzellenten schauspielerischen Talent dazu, das freilich die anderen drei auch besitzen. Wie herrlich gibt beispielsweise Andreas Dellert den schwulen Don Juan. Da ist nichts überzogen, nichts aufgesetzt, keine plumpe Theatergeste vorhanden. Seine Stimme hat Strahlkraft. Auch Burkhard Kosche weiß mit seiner manchmal baritonal, manchmal eher bassartigen klingenden Stimme wunderbar umzugehen. Der Pianist tut das Übrige. Er ist ein Meister seines Fachs und begleitet die Sänger kongenial. Natürlich gibt es viel zu lachen, doch von Klamauk ist an diesem Abend keine Spur.

Dieser Mutterwitz zeigte sich schon vor der Pause. Das Publikum durfte den Akteuren zunächst Gefühle zurufen, die von diesen sogleich musikdramatisch umgesetzt wurden, in vier Vorstellungsarien. Mit diesen Visitenkarten wurde das hohe Niveau des Ensembles offenbar. Man rezitierte einen Text aus der "Bild-Zeitung", den zuvor ein Herr aus dem Publikum ausgesucht hatte, erfand die Geschichte eines Liebespaars, das sich einst in Wasserburg ewige Liebe geschworen hatte, die Liebste nun aber frei sein will, wegen der "Sonderkündigungsklausel" im Ehevertrag (bald findet jeder einen anderen), oder verarbeitet zum großen Gaudium aller in einem "Operntraum" die Antworten zweier Damen aus dem Publikum auf persönliche Fragen. Man freute sich, all die Dinge, die eben gesagt wurden in der kleinen Szene wiederzufinden.

Ohnehin, das Publikum wurde als Regieteam bezeichnet, kamen von dort doch so einige Spielanweisungen - und seien es nur Sätze, die man auf einen Zettel schreiben sollte und sogleich gesungen hören konnte. Zur wohlverdienten Zugabe wurde nochmals ein Zuschauer befragt. Der Mann durfte seine drei Wünsche an eine Fee äußern. Glückseligkeit, Reichtum und Friede bildeten so ein zauberhaftes Opernfinale. Das Bemerkenswerte: diesen Abend gibt es so nie wieder, denn bei jedem Auftritt wird immer wieder ganz neu erfunden. Großartig!

© SZ vom 11.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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