Klassikkolumne:Souveränes Timing

Das "Trio Zimmermann" hat eine famose eigene Fassung von Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen eingespielt.

Von Harald Eggebrecht

Es gibt Musikstücke, deren Horizont so unermessbar weit ist und die in jeder Beziehung so attraktiv, tiefsinnig und unterhaltsam im besten Sinne sind, dass jeder Musiker sie spielen will, auch wenn sie ursprünglich nur für ein bestimmtes Instrument gedacht waren. Transkriptionen gehören daher ganz selbstverständlich zum Musikmachen. Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen sind zuerst für ein zweimanualiges Cembalo geschrieben. Aber ihr Klangreichtum, ihre polyphone Vielfalt und die virtuosen Ansprüche haben natürlich nicht nur Pianisten angelockt, die die Variationen seit langem schon auf ihrer einfachen Klaviatur spielen mit größtem Erfolg, man denke nur an Glenn Gould. Andere Versionen reichen von zwei Klavieren, etwa von Max Reger, bis zu Akkordeon oder einer Fassung für Orchester. Die wohl überzeugendste Übertragung ist angesichts der Dreistimmigkeit des Originals die für Streichtrio, die als erster der Geiger Dmitri Sitkowetski 1984 vorlegte. Nun hat das unvergleichliche Trio Zimmermann (Frank Peter Zimmermann, Violine; Antoine Tamestit, Viola; Christian Poltéra, Violoncello) aber eine eigene, dem Original so nah wie möglich kommende Fassung eingespielt. Und des Staunens ist kein Ende über Durchsichtigkeit des dreistimmigen Geflechts, Intonationsklarheit und absolute Gewaltlosigkeit in der Klangproduktion. Hinzu kommt das souveräne Timing, das weder Hetzen noch Schleppen zulässt. Fast möchte man meinen, hätte Bach diese drei Meistermusiker hören können, er hätte ihnen wohl gleich ein ganzes Paket an Streichtrios geschrieben. (Bis)

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Langsam, aber doch stetig tauchen jene Komponisten und ihre Werke wieder aus der Finsternis aus, welche die nazistische Auslöschungspolitik über sie und ihr Schaffen ausgebreitet hatte. Manche konnten sich retten, so etwa Erich Wolfgang Korngold, der nach sensationellem Wunderkindstart in Wien später in Hollywood zu einem der ganz großen Filmkomponisten werden konnte. Doch seine europäischen Werke der Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre waren "dank" der Nazis für viele Jahrzehnte nach 1945 im Bewusstsein der Deutschen und Österreicher so gut wie ausradiert. Auch der 1894 in Prag geborene Erwin Schulhoff, einer der politischsten und vielseitigsten Komponisten seiner Zeit, war im schwarzen Loch der Vernichtung verschwunden. Er starb im KZ auf der Wülzburg 1943. Doch endlich werden einige seiner Stücke häufiger gespielt, darunter die brillanten fünf Stücke für Streichquartett von 1923. Das exzellente Jerusalem Quartet hat diese Tanzsätze so ironisch wie charakteristisch aufgenommen. Korngolds glänzendes 2. Streichquartett von 1933 realisieren die Vier in seiner ganzen Klangfarbenraffinesse und rhythmischen Eleganz. Außerdem präsentieren sie fünf jiddische Lieder mit der Sopranistin Hila Baggio, die Leonid Desyatnikov komponiert hat. Die Lieder erinnern enthusiastisch und auch sarkastisch an jene grandiose jiddische Kultur, die in vielen Spielarten ganz Europa bis in die überseeischen Länder der Emigration hinein beeinflusst hat, trotz Vertreibung und Holocaust. "The Yiddish Cabaret" haben die "Jerusalems" daher ihr eindringliches Album genannt. (harmonia mundi)

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Sie war die erste deutsche Violinistin, die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Weltruhm erreichte, die 1937 in Mainz geborene Edith Peinemann. Sie studierte unter anderem bei Max Rostal und gewann mit 19 den ARD-Wettbewerb 1956. Seitdem gehört die Peinemann, eine noble Erscheinung und Künstlerin, zu den hervorragenden Geigerinnen der Zeit. 1965 gab sie ihr Carnegie Hall-Debüt in New York. Besonders der große Dirigent George Szell hat sich für sie eingesetzt und ihr unter anderem eine herrliche Guarneri del Gesú verschafft. Die Peinemann hat sich immer als prima inter pares verstanden im symphonischen Dialog, nicht als Starsolistin. Jetzt ist eine Kassette mit Aufnahmen des SWR aus ihrer Frühzeit zwischen 1952 und 1965 herausgekommen. Sofort fällt auf, dass die Geigerin nicht an Show-Pieces oder dem Standardrepertoire interessiert ist, sondern schon als 15-jährige unter anderem die bis heute keineswegs geläufige Suite für Violine und Klavier von Max Reger spielte mit ihrem Vater Robert. Zu den Raritäten gehört auch Hans Pfitzners Violinkonzert, das sie überall aufgeführt hat. Und bei Béla Bartóks 2. Violinkonzert leistete sie 1957 Pionierarbeit, weil es damals noch keineswegs Repertoire war. Zu hören ist ein stets hoch konzentriertes, deutlich konturiertes, in den Klangfarben eher herb orientiertes, ausdrucksklares Violinspiel von großer Ernsthaftigkeit und zupackender Kraft. Auch andere Radioanstalten sollten bitte dringend ihre Peinemann-Dokumente veröffentlichen. (SWR CLASSIC).

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