Deutsches Theater Berlin:Miethaushölle und Märchenwald

ruhig Blut

Im Spinnennetz des Wutbürgertums: Henriette Blumenau, Nico Link, Florian Köhler als Protest-Ladys in „Ruhig Blut“ von Eleonore Khuen-Belasi.

(Foto: Lupi Spuma/Schauspielhaus Graz)

Mörderinnen, Selbstmörderinnen und Wutbürger: Drei Stücke von Frauen bei der "Langen Nacht der Autoren" am Deutschen Theater in Berlin - und es geht mal nicht um Sexismus.

Von Anna Fastabend

Es ist ungerecht, dass meistens alle Augen auf den Regisseur gerichtet sind, während man den Stückeschreiber gerne ignoriert. Nicht so bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater (DT) Berlin, bei denen jedes Jahr zwei Wochen lang die Gegenwartsdramatik im Mittelpunkt steht. Am Samstag ist das Festival traditionell mit der Uraufführung der drei Gewinnertexte des Stückewettbewerbs zu Ende gegangen. Das Besondere: Die aus 113 Einsendungen ausgewählten Texte stammen dieses Jahr ausschließlich von Frauen, ohne dass dafür eine Frauenquote verantwortlich gewesen wäre. Der weibliche Jahrgang ist auch deshalb so erfreulich, weil Dramatikerinnen noch viel zu selten auf deutschsprachigen Bühnen gespielt werden. Dank Svealena Kutschke, Eleonore Khuen-Belasi und Lisa Danulat gibt es nun drei Aufführungen mehr, die sich aber nicht um Sexismus und "Empowerment" drehen, was man jungen Autorinnen ja gerne unterstellt, sondern um Einsamkeit, Schuld und Privilegienverlust.

Bevor die "Lange Nacht der Autorinnen" losgeht, lernt man das Trio bei einem Gespräch im mondänen Saal des DT kennen. Die erste, die sich vorstellt, ist die 42-jährige Svealena Kutschke, die seit 2009 erfolgreich Romane schreibt. Ihr Stück "Zu unseren Füßen, das Gold, aus dem Boden verschwunden" ist ihre erste Theaterarbeit und im Prinzip die Fortsetzung ihres Romans "Stadt aus Rauch", der vom Rechtsextremismus des Kaiserreichs bis in die Neunzigerjahre handelt. Im Stück bildet Kutschke den heutigen Rechtsruck wie unter einem Brennglas ab. Der Schauplatz ihrer Geschichte ist ein Mietshaus im Norden Berlins, wo viele Menschen die AfD gewählt haben. Dennoch leben die Bewohner in friedlicher Koexistenz, bis ein geflüchteter Syrer im Erdgeschoss einzieht und die Lage eskaliert. Der künstlerische Kniff des Stückes: Kutschke lässt alle Beteiligten zu Wort kommen, außer den Geflüchteten selbst, der damit zur Projektionsfläche für die Vorurteile der anderen wird.

Statt die Geschichte in einer realitätsnahen Kulisse spielen zu lassen, hat Regisseur András Dömötör die Box des DT von der Bühnenbildnerin Sigi Colpe zu einer Art Therapieraum umgestalten lassen. Die fünf Schauspieler sitzen entweder im Stuhlkreis zwischen den Zuschauern oder umkreisen die in der Mitte hängende Lampe wie Falter das Licht. Dabei ist Kutschkes Sprache an manchen Stellen so brutal wie ein Schlag in die Magenkuhle, an anderen zart wie ein Sommerregen. Viele ihrer poetischen Formulierungen würde man sich sofort an die Wand pinnen. Allerdings passen sie besser in einen Roman als auf die Bühne, etliche Passagen sind so artifiziell und verrätselt, dass sie unverstanden an einem vorbeirauschen. Anderes wirkt zu konstruiert, wie die Szene mit dem ehemaligen Gerichtsvollzieher, der auf den Syrer einprügelt, nur weil der ihn an einen anderen Asylbewerber erinnert, der sich vor seinen Augen verbrannt hat. Da kann Jörg Pose den Gerichtsvollzieher mit fahrigen Händen und zerfurchter Stirn noch so überzeugend spielen, es hätte eine nachvollziehbarere Erklärung für die Tat seiner Figur geben müssen. Außerdem könnte es der eine oder andere langsam satthaben, andauernd Menschen bei den Erklärungsversuchen für ihr übergriffiges Verhalten zuzuhören. Nicht ohne Grund wenden sich derzeit viele lieber den Geschichten von Betroffenen zu.

Auch schwierig: Kutschke hatte erklärt, dass sie sich nicht an die Figur des Syrers herantraue, weil sie nicht für ihn sprechen kann. Dann aber lässt sie in ihrem Stück zwei Personen mit Migrationshintergrund auftreten, für die sie nach der von ihr aufgestellten identitätspolitischen Logik ebenfalls nicht sprechen dürfte - was das Erzählen von Geschichten natürlich grundsätzlich schwierig macht.

Das löst Eleonore Khuen-Belasi in "Ruhig Blut" besser. Die 1993 geborene Philosophieabsolventin lässt sich auf das gefährliche Spiel, allzu konkret zu werden, gar nicht erst ein. Ihr liege die abstrakte Herangehensweise, erzählt sie kurz vor der Uraufführung in den Kammerspielen des DT, und man befürchtet, dass es gleich ziemlich theoretisch zugeht. Was dann glücklicherweise nicht passiert, und das, obwohl auch Khuen-Belasi ein Theaterneuling ist. Ihre Arbeit, entstanden als Koproduktion mit dem Schauspielhaus Graz, ist eine schreiend komische Allegorie auf Wutbürger, die sich zu intoleranten Weltverbesserern aufschwingen. Statt gegen Windräder oder Geflüchtete kämpfen ihre Protagonisten gegen aufgesprungenen Asphalt. Schön auch die Idee, ausgerechnet drei alte Damen die Bürgerwehr gründen zu lassen, bei denen wirkt es natürlich besonders grotesk, wenn sie volles Geschütz auffahren.

Für die absurde Geschichte haben die Regisseurin Clara Weyde und ihr Team eine wunderbare Bühnenentsprechung gefunden, die aus einem schräg gestellten Netz mit groben Maschen besteht, auf dem die drei alten Ladys wie Spinnen herumkriechen und die vierte, die sich seit ihrem Absturz in Gefangenschaft befindet, mit Miniatur-Megafonen bekämpfen, damit sie ja an Ort und Stelle bleibt. Im Gegensatz zu Kutschkes Stück meldet sich bei Khuen-Belasi auch die von Julia Gräfner verkörperte Diskriminierte zu Wort. Erst brüllt sie furchteinflößend nach ihrem Narrativ, dann bringt sie das Netz mit ihrem Körpergewicht fast zum Umsturz. Mit dem dadaistischen Stück zeigt Khuen-Belasi die totalitären Tendenzen auf, die mit Selbstermächtigung einhergehen können, ohne orthodox und belehrend zu sein.

Bei Lisa Danulats Uraufführung "Entschuldigung", die auf der großen Bühne des DT in Koproduktion mit dem Theater Neumarkt Zürich gezeigt wird, zieht einen die versponnene Kulisse von Alexander Wolf sofort in den Bann. Ein detailverliebter Märchenwald, der mit echten Baumstämmen und ausgestopften Tieren so jenseits der "catchy" Instagram-Ästhetik vieler Inszenierungen ist, dass man sich kurz daran gewöhnen muss. Dann aber gibt es kein besseres Symbol für den Zustand der beiden Frauenfiguren im Stück, einer Mörderin und einer Selbstmörderin, die vom Weg abgekommen sind und in Gedanken immer wieder an den Punkt zurückkehren, der für sie alles verändert hat.

Die Idee für das Stück sei ihr nach einem Suizid im Bekanntenkreis und dem Besuch eines Frauengefängnisses gekommen, erzählt die 1983 geborene, bereits mehrfach ausgezeichnete Dramatikerin. Erstaunlich, wie sie die beiden auf den ersten Blick so unterschiedlichen Schicksale miteinander verschränkt, bis man versteht, dass es zwischen den Frauen mehr Gemeinsamkeiten gibt, als man denkt. Das funktioniert so gut, weil Danulat genau weiß, wie man mit nur drei kurzen Sätzen die ganze Tragödie zwischen Mutter und Sohn oder Stalkerin und Ex-Freund beschreibt. In der Regie von Peter Kastenmüller wird "Entschuldigung" zu einem surrealen Märchentrip - und zur besten Inszenierung des Abends.

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