Verhaftung von Iwan Golunow:Überall Verfahrensfehler

MOSCOW RUSSIA JUNE 8 2019 Ivan Golunov investigative journalist of the online newspaper Meduza

Iwan Golunow bei der Anhörung vor einem Moskauer Gericht, das den Reporter wegen angeblichen Drogenhandels vorerst zu zwei Monaten Hausarrest verurteilte. Iwanows Arbeitsgeber hält die Vorwürfe für inszeniert.

(Foto: imago images / ITAR-TASS)

Der russische Enthüllungsjournalist, der für einen Artikel über Korruption recherchiert hatte, steht für zwei Monate unter Hausarrest. Ihm droht ein Prozess wegen Drogenhandels. Kritiker halten die Vorwürfe für inszeniert.

Interview von Paul Katzenberger

Der russische Enthüllungsjournalist Iwan Golunow, der am Donnerstag wegen angeblichen Drogenhandels festgenommen wurde, steht seit Samstag unter Hausarrest. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm zehn Jahre Haft. Der 36-Jährige schreibt für das regierungskritische Online-Portal Meduza. Dort hält man seine Recherchen für den wahren Grund der Ermittlungen. Wie die russische Zeitung RBK berichtete, recherchierte Golunow gerade zu Verbindungen von Staatsbediensteten zur organisierten Kriminalität sowie zum Bestattungswesen, das in Russland als extrem korrupt gilt. Auch der russische Präsident Wladimir Putin sei über den Fall informiert, sagte am Montag ein Kremlsprecher. Die Ermittlungen hätten Fragen aufgeworfen, so der Sprecher: "Natürlich sind auch Fehler möglich. Überall arbeiten nur Menschen." Sergei Davidis, im Vorstand der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial für politische Gefangene zuständig, hält es für plausibel, dass Golunow Opfer eines Komplotts wurde.

SZ: Sind die Drogen-Vorwürfe gegen Iwan Golunow aus Ihrer Sicht berechtigt?

Sergei Davidis: Memorial hat den Fall bislang nicht offiziell bewertet. Denn bevor wir die Einschätzung abgeben, ob jemand ein politischer Gefangener ist, muss es dafür handfeste Belege geben, die einer gründlichen Überprüfung bedürfen. Aber es gibt meiner Meinung nach schon klare Anhaltspunkte dafür, dass die Verhaftung Iwan Golunows politisch motiviert ist.

Woraus schließen Sie das?

Zunächst einmal erscheint es wenig glaubwürdig, dass ein investigativer Journalist plötzlich mit Drogen handelt und große Mengen Suchtmittel bei sich zu Hause aufbewahren soll. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Journalist vielmehr wegen seiner Recherchen ein Strafverfahren angehängt bekommt, ist in Russland deutlich höher. Denn die Leute, denen er mit seinen Nachforschungen in die Quere kam, haben es hier in der Hand, die Justiz gegen ihn in Stellung zu bringen. Leider müssen wir in Russland immer misstrauisch sein, wenn ein Journalist eines Rechtsbruches beschuldigt wird. In solchen Fällen muss die Straftat eindeutig belegt sein, bevor wir davon ausgehen können, dass der Journalist das Recht auch tatsächlich gebrochen hat.

Die Behörden legen ja Beweismittel vor: Drogen, die sie bei Golunow und in seiner Wohnung gefunden haben wollen.

Es spricht sehr viel dafür, dass ihm diese Substanzen untergeschoben wurden. Das können wir im Augenblick nicht beweisen, aber in jedem Fall kann man sagen, dass bei seiner Verhaftung vieles nicht mit rechten Dingen zuging. Die Liste der Verfahrensverstöße durch die Behörden ist lang.

Er wurde etwa ohne richterlichen Beschluss länger als 48 Stunden in Gewahrsam gehalten. Gibt es weitere Beispiele?

Viele. So wurden etwa keine Proben von seinen Händen und Nägeln genommen, um zu prüfen, ob er in Berührung mit Drogen kam. Es wurde physische Gewalt gegen ihn eingesetzt und seltsamerweise wusste die Polizei sofort, wo genau sie in seiner Wohnung nach Drogen suchen muss, um sie in kürzester Zeit zu finden. Und so weiter.

Seine Auftraggeber vom Online-Portal Meduza haben mitgeteilt, dass sie glauben, seine Verhaftung stünde in Zusammenhang mit seinen jüngsten Recherchen. Ist das ein mögliches Szenario?

Wir haben nicht die Informationen, über die Meduza verfügt. Aber es ist denkbar. Bei der Gerichtsanhörung am Samstag brachte Golunow ja vor, er glaube, dass es in Wahrheit um seine Nachforschungen im Moskauer Bestattungswesen geht. Sein Artikel zu dieser Thematik sollte in dieser Woche veröffentlicht werden. Dazu könnte der Zeitpunkt seiner Verhaftung also in einem kausalen Zusammenhang stehen.

Ist Golunows Verhaftung auch als Schlag gegen Meduza zu verstehen? Das regierungskritische Portal ist für den Kreml unbequem, auch weil es sich der Zensur durch die Verlegung der Redaktion nach Lettland entzogen hat.

Der russischen Staatsmacht ist Meduza sicher ein Dorn im Auge. Aber das gilt für andere ausländische oder unabhängige Medien in Russland ebenfalls, wie etwa Radio Free Europe, Echo Moskwy oder die Nowaja Gaseta. Meiner Meinung nach geht es hier eher um die Enthüllungen eines einzelnen Journalisten. Hinter Golunows Verhaftung steht nicht die russische Regierung, also etwa Präsident Putin oder Ministerpräsident Medwedew, sondern Leute, die auf ungesetzlichem Weg sehr viel Geld verdienen, und die den Journalisten stoppen wollten.

Was macht sie da so sicher?

Dafür spricht, dass Golunow jetzt nicht im Gefängnis, sondern im Hausarrest sitzt.

Nun, es haben sich ja auch viele Kollegen mit ihm solidarisiert und aus Protest für ihn demonstriert.

Aber genau deswegen haben die Justizbehörden wohl von oben einen Hinweis bekommen, nicht allzu rabiat gegen Golunow vorzugehen. Denn wegen der offensichtlichen Rechtsverstöße der Behörden hat die Angelegenheit eine gewaltige öffentliche Aufmerksamkeit im In- und Ausland sowie in den sozialen Netzwerken bekommen. Da die Staatsmacht in dem Fall kein eigenes Interesse hat, ist sie nun darum bemüht, den Fall runterzukochen.

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