Vertical Farming:Hausgemacht

Rooftop Production of Spirulina in Bangkok

In Bangkok werden auf einem Hoteldach Algen produziert. Ein deutsches Forschungsprojekt arbeitet daran, den Anbau direkt in der Fassade zu ermöglichen.

(Foto: Paola Di Bella/Redux/laif)

Salat vom Dach, Algen von der Fassade: Hochhäuser könnten Städte in Zukunft mit Lebensmitteln versorgen. Doch die urbane Landwirtschaft hat auch ihre Tücken.

Von Gabriela Beck

Sie besiedeln seit drei Milliarden Jahren unsere Meere und Böden, wachsen in Wüsten und Polregionen. Sie haben die Fotosynthese erfunden und könnten nun die Versorgung der Menschheit mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen revolutionieren: Cyanobakterien, auch Blaualgen genannt. Die winzigen Lebewesen stellen aus Wasser, Sonnenlicht und Kohlendioxid wertvolle Bausteine her - zum Beispiel Zucker, Eiweiße oder Vitamine. Die Arbeit könnten sie in Zukunft auch an Gebäuden verrichten, um anschließend geerntet und gegessen zu werden.

Laut Prognose der Vereinten Nationen wird die Zahl der Stadtbewohner bis zum Jahr 2030 um eine Milliarde auf 5,2 Milliarden Menschen steigen. Aktuell leben 55 Prozent der Weltbevölkerung in Städten. Bis 2050 soll sich der Anteil auf fast 70 Prozent erhöhen. Und die urbanen Ballungszentren werden weiterwachsen. Das heißt: Die Transportwege für die Versorgung der Einwohner mit Lebensmitteln werden immer länger. Da liegt es nahe, einen Teil der Agrarproduktion in die Städte zu verlegen, dort anzubauen, wo die Ernte auch verbraucht wird.

"Technisch geht fast alles, aber uns fehlen Prototypen und Daten für den wirtschaftlichen Betrieb von vertikalen Farmen."

Doch Boden ist in den Metropolen wertvoll, und Dachflächen sind größtenteils schon durch Terrassen, Photovoltaik und Gebäudetechnik belegt, sodass darauf kaum Landwirtschaft in industriellem Maßstab betrieben werden kann. In Städten werden sich die Anbauflächen in Zukunft daher eher in die Höhe als in die Fläche ausdehnen. "Vertical Farming" bezeichnet das Konzept eines übereinander geschichteten Massenanbaus - in Hochhäusern oder ausgedienten Lagerhallen. Obst, Gemüse und Salate gedeihen dort unter maximal kontrollierten Lebensbedingungen, entkoppelt von ihrer natürlichen Umgebung. LED-Lampen ersetzen die Sonne, Nährstofflösungen herkömmliche Erde. Licht, Temperatur, Wasser- und Nährstoffzufuhr müssen optimal aufeinander abgestimmt sein, um die Vorteile nutzen zu können - eine ganzjährige Produktion über mehrere Ebenen ohne Ernteausfälle aufgrund von Wetterkapriolen.

Deshalb benötigt eine vertikale Farm für den gleichen Ertrag bis zu hundertmal weniger Grundfläche als herkömmliche Landwirtschaft, hat Daniel Podmirseg, Architekt und Gründer des Vertical Farm Institute in Wien, ausgerechnet. Da verwundert es, dass zwar seit Jahren spektakuläre Entwürfe von Pflanzentürmen, sogenannte Farmscraper, kursieren, aber bisher wenig gebaut wurde. "Eine Hürde sind die hohen Investitionskosten", erklärt Podmirseg. "Technisch geht fast alles, aber uns fehlen Prototypen und Daten für den wirtschaftlichen Betrieb von vertikalen Farmen." Genau daran arbeitet das multidisziplinäre Team. Eines der größten Probleme beim Anbau über mehrere Ebenen, so fanden die Forscher heraus, ist der Energieverbrauch - vor allem für Kunstlicht. Das Vertical Farm Institute nutzt eine Simulationssoftware, mit der sich auf das einzelne Projekt bezogen genau berechnen lässt, wie viel Energie in die Kultivierung gesteckt werden müsste. "Wenn ich die falsche Gebäudetypologie mit einer ungeeigneten Pflanze kombiniere, explodiert der Energieverbrauch", sagt Podmirseg. Zum Beispiel sei es Unsinn, Tomaten in einem Hochhaus mit Zwischengeschossen zu ziehen, denn Tomaten brauchen viel Tageslicht. "Spargel oder Chicorée sind dort besser aufgehoben."

Trotzdem ist Podmirseg von Vertical Farming überzeugt: "Wir kommen nicht drum herum, einen gewissen Prozentsatz der Nahrungsmittel dort anzubauen, wo sie konsumiert werden". Dafür kämen außer neu gebauten Farmscrapern auch andere Gebäude infrage, etwa leer stehende Fabrikanlagen. "Dann verringern sich auch die Investitionskosten. Die Gebäude stehen ja schon." Ebenso die vielen Millionen Quadratmeter Fassadenfläche in Städten.

Kräuter, Erdbeeren und Salat fürs Abendessen direkt von der Fassade pflücken - eine verlockende Vorstellung. Aber im Moment noch ziemlich unrealistisch, wenn es über Projekte in Wohnblockhöhe hinausgehen soll. Denn je höher das Haus ist, desto höher sind die Windgeschwindigkeiten und Temperaturunterschiede. "Die Auswahl an Gewächsen, die sich in derart exponierten Lagen wohlfühlen, ist überschaubar", sagt Timo Schmidt, Professor für Fassadentechnik und Design an der Hochschule Augsburg und Mitglied des Forschungsteams von "Next Generation Biofilm". Und der Wunsch nach immergrünen Pflanzen schränke das Sortiment weiter ein. "Schließlich wollen wir im Herbst und Winter nicht auf braune Wände mit verschrumpeltem Bewuchs schauen."

Dennoch ist ein Begrünungsanteil sinnvoll. Denn Pflanzen auf dem Dach oder an der Fassade schützen Gebäude im Sommer vor Überhitzung und im Winter vor Auskühlung. Sie filtern Feinstaub, dienen als Schallschutz und halten UV-Strahlen ab. Das Grün an den Hauswänden ist Lebensraum für Insekten und Vögel und wirkt nicht zuletzt optisch positiv auf unser Wohlbefinden.

"Wir stehen heute da, wo wir in den Achtzigerjahren mit der Photovoltaik waren: Die Systeme existieren, funktionieren aber noch nicht wirtschaftlich."

Bauingenieurin Azra Korjenic, Professorin für Ökologische Bautechnologien an der Technischen Universität Wien, führt seit Jahren Messungen an Gebäuden mit begrünten Fassaden durch. Dass der Pflanzenpelz zu Verbesserungen des städtischen Mikroklimas führt, steht für sie außer Frage. Aber: "Für die Begrünung der Fassade gibt es Grenzen." Brandschutzbestimmungen bei Kletterpflanzen, die Tragfähigkeit der Fassade bei vorgehängten Trog- und Kassettensystemen, und natürlich müsse auch gewährleistet sein, dass man überhaupt an die Pflanzen herankommt. Gerade entwickelt Korjenic im Rahmen des Projekts "GreeningUp!" Konzepte zur Instandhaltung von begrünten Fassaden. Ihr Tipp: "Wer für die Grünpflege professionelle Fassadenkletterer beauftragt, spart Kosten für Hubsteiger und muss keine Gehsteigsperren beantragen. Man ist unabhängiger und kann schneller bei Kleinigkeiten wie einer verstopften Leitung reagieren."

Auf der Suche nach Alternativen zur Agrarproduktion an Außenfassaden richtet sich der Blick der Forscher auf winzige Organismen, die weder Wurzeln noch Blätter haben: Mikroalgen. Mithilfe von Fotosynthese können diese Lebewesen neben Sauerstoff Proteine, Lipide und Kohlenhydrate herstellen. Dr. Michael Lakatos, Ökologe an der Hochschule Kaiserslautern, setzt in dem Verbundforschungsprojekt "Next Generation Biofilm" nun zum ersten Mal überhaupt auf terrestrische Cyanobakterien aus der Wüste. Diese luftexponierten Biofilme haben einen entscheidenden Vorteil: Sie können Stickstoff direkt aus der Luft fixieren. Das heißt: "Wir müssen unsere 'Cyanos' nicht untergetaucht im flüssigen Nährmedium füttern, sondern können sie mit Nebel bedampfen", sagt Projektleiter Lakatos. "Dadurch sparen wir etwa 90 Prozent Wasser und bis zu 40 Prozent Energie gegenüber aquatischen Bioreaktor-Systemen, weil auch Durchmischungs- und Trocknungsprozesse wegfallen." In sogenannten Bioreaktoren entsteht unter Sonneneinstrahlung bei Zugabe von Kohlendioxid und einem Nährmedium Biomasse, die geerntet werden kann. In vielen asiatischen Ländern ist es üblich, dass Algen auf den Teller kommen. Sie können aber auch zu einem Nahrungsergänzungsmittel weiterverarbeitet oder als blauer Farbstoff verwendet werden.

Mit dem von Timo Schmidt und Michael Lakatos entwickelten Bioreaktor können die Cyanobakterien industriell kultiviert werden. Diese "Minifabriken" können als Fassadenelemente verbaut werden. Der Prototyp ähnelt einem überdimensionierten Handtuchwärmer. Mehrere Millionen Cyanobakterien pro Quadratzentimeter tummeln sich in den Glasröhren. Weil sie relativ leicht sind, lassen sich die Elemente auch in die Fassaden bereits bestehender Gebäude integrieren. Timo Schmidt: "Wir stehen heute da, wo wir in den Achtzigerjahren mit der Photovoltaik waren: Die Systeme existieren, funktionieren aber noch nicht wirtschaftlich."

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