Kreativität und Kriminalität:Wenn Mörder malen

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Um festzustellen, welche Morde Little wirklich beging, können womöglich die Porträts helfen, die er im Gefängnis gemalt hat. (Foto: FBI / SZ)

Der US-Serienkiller Samuel Little zeichnet im Gefängnis Bilder seiner Opfer. Das FBI versucht, damit alte Fälle zu lösen. Über künstlerische Verbrecher und verbrecherische Künstler.

Von Moritz Geier

Die Galerie der unbekannten Toten befindet sich auf einer Webseite des amerikanischen FBI: gut zwei Dutzend Porträts junger Frauen, mit ausdruckslosen Gesichtern und roten Lippen, gemalt mit Kreide, Buntstiften und Wasserfarben. Unverkennbar haben die Zeichnungen denselben Urheber, weil sie Ähnlichkeiten aufweisen im Duktus, im Farbton, im Stil. Aber darf man das sagen: Stil? Es ist ja kein Künstler, der diese Frauen gemalt hat. Sondern ihr mutmaßlicher Mörder, Samuel Little, 79, US-Serienkiller von Högel'schem Ausmaß.

Little hat insgesamt 93 Morde gestanden, begangen über einen Zeitraum von 35 Jahren in 14 Bundesstaaten. 2014 wurde er bereits wegen dreifachen Mordes verurteilt, er bekam dreimal lebenslang. Little kooperiert mit der Polizei. Fertigt Zeichnungen im Gefängnis an, die die Ermittler dann veröffentlichen. Sie hoffen, dass jemand die Frauen erkennt, dass sich Namen finden, Todesfälle klären lassen. Offenbar versteht sich Little selbst als Künstler, die Porträts seiner Opfer, sagt er, könne er aus dem Gedächtnis malen.

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Als malender Insasse ist Little kein Einzelfall. Ein Amerikaner hat daraus schon längst ein Geschäftsmodell gemacht. In seinem Onlineshop "Serial Killers Ink" verkauft er Kunstwerke aus dem Knast, Bilder etwa von Thomas Odle (fünf Morde) oder Richard Ramírez (13 Morde). Laut Bild-Zeitung hatte er vor ein paar Jahren auch noch ein Bild des berühmten Killers und Sektenführers Charles Manson im Angebot, wobei natürlich weniger die Kunst den Marktpreis regelt als vielmehr der Gruselfaktor.

Künstler und Verbrecher - Weggefährten?

Und trotzdem, mal ganz banal gefragt: Gibt es eigentlich einen Zusammenhang zwischen Kunst und Verbrechen, zwischen Kreativität und Kriminalität? Der Künstler Joseph Beuys hat mal geschrieben, Künstler und Verbrecher seien Weggefährten. "Beide sind ohne Moral, verfügen über eine verrückte Kreativität, nur getrieben von der Kraft der Freiheit."

Die Kulturgeschichte, das zumindest lässt sich sagen, ist ziemlich voll von ruppigen Gesellen. Der französische Dichter François Villon tötete 1455 in einer Schlägerei einen Priester. Der Maler Caravaggio hat einen Konkurrenten erstochen und Nebenbuhler verprügelt, er wurde mehrmals angeklagt und verurteilt. Und der Renaissance-Bildhauer Benvenuto Cellini ist mit seinen drei Morden gar ein Serientäter.

Samuel Little hat gestanden, 93 Frauen umgebracht zu haben. Aber es ist nicht klar, ob die Zahl wirklich stimmt - 34 Taten sind gesichert. (Foto: Mark Rogers/AP)

Klar, das waren wilde Zeiten damals. Aber was ist mit Karl May? Der saß jahrelang im Gefängnis, weil er ein notorischer Dieb und Hochstapler war. Auch Henri Charrière, der "Papillon" schrieb, darf dem kriminellen Milieu zugeordnet werden, ebenso der französische Literat und Gauner Jean Genet. Über Pablo Picassos Brutalität und Sadismus haben Frauen berichtet, die mit ihm zu tun hatten. Und Wolfgang Beltracchi, der durch seine Genialität als Fälscher den Kunstmarkt vorgeführt hat, war halt doch auch ein Verbrecher, wenn auch ein irgendwie sympathischer.

Der belgische Maler Luc Tuymans hat dem Spiegel mal gesagt, die westliche Kultur sähe ja ganz anders aus, "hätte es nicht all die verbrecherischen, aber kunstsinnigen Renaissance-Fürsten gegeben. Und dazu die Maler, die sich gern in der Nähe der Macht bewegten." Kunst, sagte Tuymans, habe "etwas mit Abhängigkeiten und Perversion" zu tun. "So gesehen sind wir Künstler auch nur Verbrecher."

Der Sonderstatus des Genies

Und was sagen Wissenschaftler? Eine solide statistische Grundlage für die Annahme, dass Kreativität und Kriminalität in einem Zusammenhang stehen, gibt es nicht. Aber auf die Frage, ob Künstler aufgrund ihrer intellektuellen oder psychischen Disposition eher bereit seien, Normen zu verletzen, antwortete der Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp mal im SWR, dass dem künstlerischen Genie "immer ein Sonderstatus zugeschrieben" worden sei. "Und dies hat ihn immer auch unter Druck gesetzt, sich nicht nur im Werk, sondern auch im Verhalten eine Spur anders zu gerieren als ein Bankier oder Kaufmann."

Update: Spätestens seit #MeToo ist den Genies von heute, siehe Kevin Spacey, Woody Allen oder Michael Jackson, der Sonderstatus wohl vollends flöten gegangen.

Die Frage übrigens, ob Genie und Wahnsinn zusammenhängen, debattieren Philosophen und Psychologen schon seit der Antike, wobei klargestellt sei, dass ohnehin nur wenige psychische Erkrankungen die Gefährlichkeit eines Menschen erhöhen. Manche Experten sehen eine ursächliche Verbindung zwischen extremer Kreativität und psychischer Störung, weisen etwa daraufhin, dass manische Phasen mit kreativen Schüben einhergehen. Andere halten dagegen, dass nur berühmte Einzelfälle die These des hochbegabten Psychopathen stützen. Die österreichische Gerichtspsychiaterin Adelheid Kastner sagt, Studien hätten gezeigt, "dass Psychopathologie per se nicht die Kreativität fördert".

Und damit zurück zum Gefängnisinsassen Samuel Little. Aus welchem Antrieb er wohl malt? Wer weiß das schon. Wahrscheinlich hat er einfach nur ganz viel Zeit.

© SZ vom 14.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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