U21-Europameisterschaft:Das Turnier der Spätstarter

U21-EM - Training Deutschland

Die Spieler um Florian Neuhaus (2.v.r) dehnen sich.

(Foto: dpa)
  • Im Kader der U21-Nationalmannschaft fehlen einige große Namen wie Brandt, Sané, Havertz oder Werner.
  • Alle diese Talente wären grundsätzlich spielberechtigt, sind aber bereits gesetzte A-Nationalspieler.
  • Daher können sich beim Turnier in Italien nun andere, etwas später gestartete Nachwuchstalente beweisen.

Von Sebastian Fischer, Udine

Die Geschichte der jungen Karriere von Florian Neuhaus ist die Geschichte eines Umwegs. Es war im Sommer 2017, er war gerade mit 1860 München aus der zweiten Liga abgestiegen und hatte seine erste Saison als Profifußballer hinter sich, da erhielt er ein Angebot von Borussia Mönchengladbach. Das kann sehr verlockend sein für einen Zwanzigjährigen, der Neuhaus damals war, doch wenn sich Gladbachs Manager Max Eberl erinnert, dann spricht er über einen Sportler, der seine Stärke nicht überschätzte: Neuhaus wollte vor allem spielen. Gladbach verlieh ihn für ein Jahr in die zweite Liga an Fortuna Düsseldorf.

Nun, zwei Jahre später, gehört Neuhaus, 22, zur deutschen U21, für die an diesem Montag die Europameisterschaft in Italien und San Marino mit dem Spiel gegen Dänemark in Udine beginnt. Und Eberl sagt, Neuhaus' Weg sei "ein Paradebeispiel dafür, wie sich ein Talent entwickeln kann". Es muss nicht immer schnell gehen.

Dem Markt ein bisschen entgegenwirken

Wenn man den deutschen Kader betrachtet, dann fällt auf, dass die besten jungen Spieler des Landes fehlen. Leroy Sané, Julian Brandt, Timo Werner, Thilo Kehrer und Kai Havertz wären alle spielberechtigt, weil sie nach dem Stichtag 1. Januar 1996 geboren sind. Doch sie sind längst A-Nationalspieler. Nun könnte man deshalb auf die ketzerische Idee kommen, die EM sei ein Turnier der besten Zweitbesten. Meikel Schönweitz widerspricht dieser These allerdings entschieden.

Schönweitz, 39, ist seit diesem Jahr als Cheftrainer U-Nationalteams für den deutschen Nachwuchs verantwortlich. Ja, sagt er, "die Altersspanne hat sich sehr stark verschoben." Spieler sollen immer früher immer weiter in ihrer Entwicklung sein. Doch er kommt zu einem anderen Schluss, als der Markt ihn vorgibt: "Wir wollen dem eigentlich ein bisschen entgegenwirken", sagt er, "weil es den einen oder anderen Spieler gibt, der zwei, drei Jahre im Männerfußball braucht, um sich weiterzuentwickeln." Sein Lieblingsbeispiel ist Neuhaus: "Ein Spieler, der mit 18 nicht durchgestartet ist - und der mit 22 auf einmal einen Marktwert von über 20 Millionen hat, weil er die Zeit genutzt hat."

In der Zweitligasaison mit Düsseldorf trug Neuhaus sechs Tore und drei Vorlagen zum Aufstieg bei, debütierte in der U21-Nationalelf, es war erst sein sechstes Juniorenländerspiel überhaupt, bis zur U20 hatte ihn nie ein Auswahltrainer nominiert. In Gladbach war er in der vergangenen Saison von Beginn an Stammspieler als Achter im Mittelfeld, spielte eine überragende Vorrunde, hatte in der Rückrunde dann wie die ganze Mannschaft zu kämpfen. Er bereitete neun Tore vor und schoss drei. Eberl sagt, im Grunde sei Neuhaus immer beteiligt gewesen, wenn es für den Gegner gefährlich wurde.

Der Manager glaubt, es sei vielleicht das eher zurückhaltende Naturell des Spielers, das ihn etwas später auffallen ließ als andere. Neuhaus ist damit nicht alleine im Kader. Eduard Löwen, 22, der von Absteiger Nürnberg für rund sieben Millionen Euro zu Hertha BSC wechselt, stieg in seinem letzten Jahr als Jugendspieler mit dem 1. FC Saarbrücken aus der Junioren-Bundesliga ab. "Die Meinungen über den Spieler sind sehr weit auseinandergegangen", sagt Michael Köllner, sein früherer Trainer: Viele hätten geglaubt, Löwens Fähigkeiten würden nicht reichen. Köllner war damals U21-Trainer in der Regionalliga.

Nübel als Nummer 1 und Tah als Kapitän

Da ist der Bremer Maximilian Eggestein, 22. Während um seinen jüngeren Bruder Johannes, ebenfalls im EM-Kader, wegen seiner vielen Tore als Nachwuchsstürmer früh ein Hype entstand, entwickelte er sich in Ruhe zu einem verlässlichen Mittelfeldspieler. Eggestein war einer der Gewinner der vergangenen Saison, wurde einmal für die A-Nationalelf nominiert.

Oder Marco Richter, 21, der Offensivspieler vom FC Augsburg: Einerseits galt er immer als besonders talentiert, ein Dribbler und begabter Techniker. Andererseits frühstückte er bis vor Kurzem nicht vor dem Training, weil er gerne lange schlief. Er schoss einmal in der Regionalliga sieben Tore in einem Spiel. Ein anderes Mal spielte er zur Strafe in einem ungewaschenen Trikot, weil er seines zuvor nicht in die Tasche gelegt hatte. Erst spät in der vergangenen Saison zeigte er regelmäßig seine Fähigkeiten. Wenn man ihn auf seine Laufbahn anspricht und fragt, ob er sich die Spiele der deutschen U21-Europameister 2017 im Fernsehen angesehen habe, dann lacht er, verneint und begründet es fast rührend ehrlich: "Ich war nicht so drin im Thema Nationalmannschaft."

Große Ambitionen, aber es geht auch um Erfahrungswerte

Für die U21 geht es in Italien und San Marino auch um die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020, die wäre mit dem Halbfinaleinzug als Gruppenerster oder bester Gruppenzweiter sicher. Die deutsche Mannschaft hat logischerweise mit der von 2017 nicht viel gemein, aber sie ist trotzdem Titelverteidiger. In der Gruppe ist Deutschland mindestens gegen Dänemark (mit Dortmunds Stürmer Jacob Bruun Larsen), und im letzten Gruppenspiel gegen Österreich Favorit. Dritter Vorrundengegner ist Serbien - mit dem bisherigen Eintracht-Frankfurt-Torjäger Luka Jovic als herausragendem Akteur.

Trainer Stefan Kuntz, der sich am Wochenende auf Schalkes Torwart Alexander Nübel als Nummer 1 und Verteidiger Jonathan Tah als Kapitän festlegte, hat vorsorglich im Kicker-Interview schon mal angedeutet, dass es bei der Bewertung eines möglichen Ausscheidens auch auf die Art und Weise ankomme. Die Ambitionen sind groß, aber es soll auch um Erfahrungen gehen, gerade für die Spätstarter. Denen, sagt Schönweitz, könne so ein Turnier einen "Riesenschub" geben.

Florian Neuhaus, der in Kaufering in Oberbayern mit dem Fußball begann, auf einem Hartplatz aus Gummi Tricks lernte und etwas länger brauchte, bis er auf den wichtigsten Rasenplätzen des Landes ankam, soll als Europameister zurückkehren, wenn es nach seinem Manager geht. Und dann? "Flo soll lange in Gladbach sein", sagt Max Eberl, "und hier Nationalspieler werden."

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