Alben der Woche:Nachtschichten auf dem Friedhof der Gitarrenmusik

Willie Nelson liefert feinsten Größenwahn, Adel Tawil Ideologiekritik aus der Mitte der Mainstream-Hölle. Die Hollywood Vampires beweisen ihre Überflüssigkeit und töten, wie die Raconteurs, den Rock.

1 / 10

The Raconteurs - "Help Us Stranger" (Third Man)

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Quelle: SZ

Vor elf Jahren erschien mit "Consolers of the Lonely" das letzte Album der Raconteurs, der Mini-Supergroup um Jack White und Brendan Benson. Nominiert war die Platte damals für den Grammy als bestes Rock-Album, gewonnen hat sie aber nur den Preis für das am besten produzierte nicht-klassische Album. Und, was soll man sagen, das bringt die Sache auch im Jahr 2019 noch ziemlich genau auf den Punkt. Denn das Comeback-Album "Help Us Stranger" (Third Man) ist nun in erster Linie ein gut gebauter musikalischer Druckluftkompressor geworden. Weshalb einem gleich zu Beginn, im Eröffnungstrack "Bored And Razed", auch erst mal ein mächtiger Bassschwall entgegendrückt, bevor sich Jack White mit einem Jack-White-Solo einklinkt, das - wie fast alle Jack-White-Soli dieses Jahrzehnts - klingt, als hätte es den grölenden Fußballstadionchor in seiner Melodieführung schon mitgedacht. Das Besondere an den Raconteurs war immer das Zusammenspiel zweier eher unterschiedlicher Songwriter. Auf der einen Seite Brendan Benson, der filigrane Power-Popper, auf der anderen Jack White, der Blues-Auswalzer. Auch die Songs auf "Help Us Stranger" lehnen mal in die eine, mal in die andere Richtung. Mal Akustik-Schrumm mit Honky-Tonk-Piano, mal brachialer Bombast-Rock. Gerade diese von Jack White dominierten Songs wie "Don't Bother Me" sind dabei mittlerweile zu beinahe unerträglichen, mit Effekten überladenen Griffbrettkreuzzügen verkommen. Das soll wohl innovativ wirken, ist am Ende aber doch nur die zähe und nicht enden wollende Nachtschicht auf dem Friedhof der Gitarrenmusik.

Julian Dörr

2 / 10

Mark Ronson - "Late Night Feelings" (Columbia)

Mark Ronson - „Late Night Feelings“ (Columbia)

Quelle: Columbia

Mark Ronson sagt, die Songs auf seinem neuen Album seien "Sad Bangers", soll heißen: Songs, die knallen und doch zugleich auch ein bisschen traurig machen. DJs freuen sich immer über solche Songs, denn sie eignen sich gut als letzte Platte am Ende einer Party, wenn das Putzlicht schon an ist und die letzten Verstreuten auf der Tanzfläche zusammengekehrt werden. So ein Sad Banger muss voll von süßer Sentimentalität sein, aber nicht weil draußen wieder die Welt wartet mit ihrem hart gleißenden Tageslicht. Die Sentimentalität muss sich vielmehr auf die Schönheit und Laszivität der Nacht beziehen, die gerade zu Ende geht. Et voilà: "Late Night Feelings" (Columbia) ist ein schönes Album geworden, weil Ronson dieses Gefühl genau verstanden hat. "Don't Leave Me Lonely" (mit Yebba), "Pieces of Us" (mit King Princess) und der Titelsong (mit Lykke Li) sind feine Slow-Disco-Dramen mit Träne im Auge und Sinn für die Sensibilitäten des Herunterkommens (also: eher leises Fingerschnippen als fettes Klatschen). Bloß die nervige Country-Disco-Single "Nothing Breaks Like a Heart" mit Miley Cyrus wirkt etwas unpassend. Weil der Song zum Hit geworden ist und weil Country dank Lil Nas X und "Old Town Road" gerade ein Chart-Trend ist, hätte Ronson sagen können: Ich brauch' auf meinem Album unbedingt noch mehr Country! Dass er es nicht gemacht hat, ist sympathisch.

Jan Kedves

3 / 10

Hot Chip - "A Bath Full of Ecstasy" (Domino)

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Quelle: SZ

Nostalgische Geräusche gibt es auch auf "A Bath Full of Ecstasy" (Domino), dem neuen Album von Hot Chip. Das beginnt nämlich wie eine wundervoll herzensschwere Pet-Shop-Boys-Erinnerung. Solange bis der Four-to-the-floor-Beat alle einsam tanzenden Synthiefleckchen zu einer großen "Melody of Love" einfängt. Das siebte Studioalbum der britischen Band ist durchdrungen von einer heimelig-versöhnlichen Retro-Wärme, die aber unter keinen Umständen mit Retromanie zu verwechseln ist. Auch weil diese Songs immer genau dann schlaue Haken schlagen, wenn man gerade glaubt, sie bequem in einer Schublade verstaut zu haben. So beginnt der Titeltrack mit Autotune-Sirenengesang, bevor er sich plötzlich in einen von Schlagzeug-Besen angestrichenen Soulschwank verwandelt, nur um dann nach dem nächsten Refrain wieder eine andere Abzweigung zu nehmen und zu einem von EDM-Effekten zerhackten Justin-Bieber-Crooner zu werden. Spätestens hier kann man nicht mehr anders, als sich dieser rückhaltlos kitschigen, immer noch größere Gesten auffahrenden Liebesplatte einfach zu ergeben. Oder wie es die Frontmänner Alexis Taylor und Joe Goddard ausdrücken: "I've got the cure, the pure remedy/ Come take a bath in our ecstasy/ I will wash away all of your fears, you'll see".

Julian Dörr

4 / 10

Willie Nelson - "Ride Me Back Home" (Sony)

Willie Nelson - ´Ride Me Back Home"

Quelle: dpa

Dritter Vorschlag beim Willie-Nelson-Googeln: "Willie Nelson gestorben". Das wäre dann also die schlechte Nachricht für den Sänger. Es halten ihn genug Menschen für tot, dass es für einen Suchmaschinen-Trend reicht. Die gute Nachricht: "Willie Nelson Tour" ist auf Platz zwei der Vorschläge, und dieses Spannungsfeld beschreibt den seit ein paar Jahrzehnten doch etwas vogelscheuchigen Country-Kautz dann ja auch ganz gut: Nelson ist inzwischen irgendwas zwischen hypervitaler Nervensäge (im allerbesten Sinne) und tot (im aller-nicht-mehr-lebendigsten Sinne). Und so ist sein neues Album "Ride Me Back Home" (Sony) denn auch ein Alterswerk, das irgendwo zwischen politischem Pamphlet ("Immigrant Eyes"), altersweisem Lebensratgeber ("Stay Away From Lonely Places") und Heimatsehnsucht im Lebensspätherbst (Titelstück) changiert. Die Songs sind durchweg latent unterfordert instrumentalisiert - also manchmal schon auch langweilig -, aber eben auch von einer wunderbar milden Wärme durchtränkt. Und das alles ist wiederum ziemlich egal, weil sich das Album ja allein für die Cover-Version von Mac Davis' Größenwahn-Hymne "It's Hard to Be Humble" lohnt. In der geht es in der Hauptsache darum, wie schwer einem Bescheidenheit fällt, wenn man in absolut jedem Sinne perfekt ist, und Nelson torkelt denn auch wunderbar verballert der absolut besten Zeile mindestens dieser Woche entgegen: "My friends say that I'm egotistical / Hell, I don't even know what that means / I guess it has something to do with the way / That I fill out my skintight blue jeans." Noch Fragen? Eben.

Jakob Biazza

5 / 10

Adel Tawil - "Alles lebt"

Adel Tawil - 'Alles Lebt'

Quelle: dpa

Sehr gewissenhaft produzierte Pathos-Pampe. Dazu betreibt der knuffigste aller deutschen Popsänger so etwas wie Ideologiekritik aus der Mitte der Mainstream-Hölle, zum Beispiel in "Katsching": "Wir laufen durch ein Wunderland / in dem man alles kaufen kann / Wir tanzen mit dem Teufel / und der lacht uns dabei an". Hirnerweichend gut gemeint und dann doch so seelenlos, dass man fast schon wieder gerührt ist.

Jens-Christian Rabe

6 / 10

Hollywood Vampires - "Rise" (ear music/Edel)

Hollywood Vampires - ´Rise"

Quelle: dpa

Vatertagsausflüge, Junggesellenabschiede, es gibt Unternehmungen, bei denen wünscht man allen Beteiligten viel Spaß, ist aber froh, wenn sie zügig zur Tür raus sind. Jetzt gibt es tatsächlich ein zweites Album der Hollywood Vampires: Johnny Depp (Schauspieler), Joe Perry (Aerosmith-Gitarrist) und Alice Cooper (Alice Cooper) hauen noch mal rum, und klar, gern, sollen sie, kein Problem. Aber es hätte völlig gereicht, wenn sie das zu ihrem eigenen Vergnügen machen. Man gönnt den älteren Herren den Spaß, aber "Rise" (ear music/Edel) ist dann eben doch nur ein Album voll lauwarmer Hardrock-Aufgüsse und Riffs aus der Aerosmith-Restekiste. Cooper gruselkrächzt ein bisschen rum, das Ganze säuft in kathedralenweitem Hall ab. Und der größte Spaß kommt hier nun mal zu kurz: Johnny Depp, das zeigt sich bei den Konzerten der Band, hat kaum je eine Rolle mit größerer Hingabe gespielt als die des Rock'n'Rollers. Aber wer nur das Album hört, sieht ihn ja nicht. Tja.

Max Fellmann

7 / 10

Mannequin Pussy - "Patience" (Epitaph)

Mannequin Pussy (Epitaph)

Quelle: Epitaph

Das neue Album von Mannequin Pussy heißt "Patience", was ein recht ungewöhnlicher Titel für eine Girlpunkband ist. "Geduld" ist ja nun nicht das erste, was man mit Punk assoziiert. Vielleicht meinen sie den Hörer. Der soll warten bis ein Song kommt, an den er sich hinterher auch erinnern kann. Im Video zu "Drunk II" singt Marisa Dabice derweil zwischen knutschenden Paaren über eine verlorene Liebe. "Drunk II" ist viereinhalb Minuten lang, "Drunk I", das auf dem Album nach "Drunk II" kommt, nur gut 50 Sekunden. Alles in allem ist das Indie-Punk mit ein bisschen Hardcore und Emo-Texten. Also Musik, die in Rrriot-Girl-Zeiten schon interessanter gemacht wurde.

Juliane Liebert

8 / 10

Far Caspian: The Heights (Dance To The Radio)

Far Caspian: The Heights (Dance To The Radio)

Quelle: Dance To The Radio

Bisschen zackiger, bisschen elegischer Indiepop aus Leeds, in den besten Momenten - man höre nur "Conversations" - schön mittelschwer angewackelt mit dem Vibrato-Pedal, für den zarten Schwindel auf den Fahrten übers Land zum See. Keine große Sache, aber doch eine sehr feine kleine.

Jens-Christian Rabe

9 / 10

Black Midi - "Schlagenheim" (Rough Trade)

Black Midi - "Schlagenheim" (Rough Trade)

Quelle: Rough Trade

Wenn man auf der Suche nach Informationen zur sehr jungen und sehr neuen Südlondoner Band Black Midi unbedarfterweise "Black Midi Music" sucht, landet man bei einem Video mit dem Titel: "Black Midi Songs will kill your brain and your computer". Man muss nun sagen, dass es sich hierbei um das Musikgenre Black Midi handelt, nach dem sich die Band benannt hat. Black Midi, das Genre, klingt in etwa so, als würden alle Tasten auf allen Keyboards der Welt gleichzeitig gedrückt, ein technisches Experiment bei dem Millionen von Noten bis zur absoluten Überlastung übereinander gestapelt werden. Black Midi, die Band, klingt genau so und ganz anders. Auf ihrem Debüt "Schlagenheim" (Rough Trade) stapeln sie nämlich alles, was man jemals mit einer Gitarre machen konnte, übereinander. Das klingt dann mal nach Indie-Prog-Rock, mal nach verfrickeltem Videospielsoundtrack. Oder so als hätten Robert Plant, Peter Gabriel und David Byrne zusammen eine Sonic-Youth-Coverband gegründet. Liest sich jetzt wie müder Rockisten-Quatsch, schießt in seiner ästhetischen Hemmungslosigkeit aber weit in die Zukunft.

Julian Dörr

10 / 10

Bad Breeding - "Exiled" (One Little Indian Records)

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Quelle: SZ

Wem das nun alles trotzdem zu gemütlich wird, dem sei zum Abschluss noch "Exiled" (One Little Indian Records), das neue Album der britischen Anarcho-Punk-Band Bad Breeding ans Herz gelegt. Hier gibt es weder warme Bäder noch Erinnerungen, sondern nichts als die kalte, ungerechte, spätkapitalistische Realität, einmal durch den Noise-Häcksler geschoben und in zwölf Songs kaum über der Zwei-Minuten-Marke zurück in die Welt gespuckt. Eine bitterböse Platte voller unbequemer Wahrheiten, die nicht nur für Brexit-Großbritannien gelten.

Julian Dörr

© SZ vom 19.06.2019/biaz
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