Journalismus:Tödliche Recherche

A labourer sleeps on sacks of sand as another works at a market in Mumbai

Arbeiter auf Sandsäcken in Indien: Der Rohstoff ist weltweit gefragt, teils wird er illegal abgebaut. Wer darüber berichtet, lebt gefährlich.

(Foto: Danish Siddiqui/Reuters)

In Indien starben vier Journalisten innerhalb von vier Jahren. Alle schrieben sie über dasselbe Thema.

Von Lena Kampf, Hannes Munzinger, Frederik Obermaier und Bastian Obermayer

Sieben Tage vor seinem Tod hebt Jagendra Singh zu einer bitteren Klage an: "Warum mussten sie mich töten?", fragt er verzweifelt. "Diese Arschlöcher haben mich mit Benzin übergossen", sagt er in eine Kamera, "hätten sie es gewollt, hätten sie mich verhaften können." Singh ist Journalist, sein Medium ist Facebook, dort folgen ihm Tausende und sehen diese Bilder nun live aus dem Krankenhaus im nordindischen Khutar.

Es ist der 1. Juni 2015. Jagendra Singh hatte wieder und wieder über einen Minister der Regierung im Bundesstaat Uttar Pradesh berichtet, der in den illegalen Abbau von Sand involviert gewesen sein soll.

Illegaler Sandabbau ist ein wachsendes Problem in vielen Regionen Indiens. Der Rohstoff ist weltweit begehrt. Sand wird in der Baubranche, in der Metallverarbeitung und sogar in Reinigungsmitteln und Kosmetika eingesetzt. Schätzungen der UN gehen von weltweit bis zu 50 Milliarden gehandelten Tonnen Sand pro Jahr aus. Die Folgen sind erodierte Strände, verschmutztes Grundwasser und erhöhte Gefahren von Dürren oder Überschwemmungen.

Der Journalist Singh hatte Fotos von Männern veröffentlicht, die am Fluss Garra in Uttar Pradesh Sandbänke abgruben. Der örtlichen Polizei unterstellte er, gegen Geld die Augen zu verschließen. Schon vor Wochen hatten ihn daraufhin Unbekannte aufgegriffen, geschlagen und verlangt, nicht mehr über den Minister zu schreiben. Damals war er mit einem gebrochenen Knöchel davongekommen. Am frühen Abend dieses ersten Juni dann drangen Polizeibeamte und Unterstützer des Ministers in sein Haus ein, so berichtet es seine Familie. Kurze Zeit später wurde er in das nahegelegene Krankenhaus eingeliefert. Am 8. Juni stirbt er im Alter von 46 Jahren.

Singh ist einer von weltweit mindestens 13 Journalisten, die seit 2009 mutmaßlich getötet wurden, nachdem sie über Ressourcenausbeutung oder Umweltverschmutzung berichteten. Zahlreiche weitere wurden angegriffen, eingeschüchtert oder mit Klagen überzogen, um ihre Berichterstattung zu behindern.

Die Organisation Forbidden Stories, ein internationaler Zusammenschluss investigativer Journalisten, hat deshalb das Projekt "Green blood" - grünes Blut - ins Leben gerufen. 40 Journalisten von 30 Medienorganisationen haben in den vergangenen Monaten zusammengearbeitet, um die Arbeit von Kollegen fortzuführen, die bei Recherchen über Umwelt- und Ressourcenausbeutung getötet oder beeinträchtigt wurden. Darunter Reporter von Guardian, Le Monde, El País und den deutschen Medien Süddeutsche Zeitung, WDR und Die Zeit. Forbidden Stories hatte bereits im vergangenen Jahr die Arbeit der ermordeten maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia fortgeführt, um ein Signal zu setzen: Wer einzelne Reporter zum Schweigen bringen will, muss damit rechnen, dann einer Vielzahl von Reportern gegenüberzustehen.

So kam es auch im Fall von Jagendra Singh und dem verdächtigen Minister Rammurti Singh Verma. Reporter von Forbidden Stories sprachen mit Hinterbliebenen, der einzigen Zeugin des Vorfalls, ehemaligen Kollegen und anderen Journalisten vor Ort. Sie erfuhren, dass Verma der Familie des verstorbenen Journalisten umgerechnet etwa 45 000 Dollar gezahlt hatte mit der Bedingung, dass sie auf weitere Anschuldigungen gegen ihn verzichten und die von der lokalen Polizei verbreitete Darstellung der Todesumstände akzeptieren würden: Singh habe Selbstmord begangen.

"Sie sagten, das Leben meiner Kinder sei bedroht"

Die einzige Zeugin der Tat, eine Freundin Singhs, hatte dessen Version zunächst bestätigt, sich später aber mehrfach widersprochen. Ob auch sie Geld erhalten hat ist unklar. Auf Anfrage teilte ein Sprecher Vermas mit, der Minister könne keine Fragen beantworten, da er im Krankenhaus liege. Die Hinterbliebenen Singhs haben sich über die Zahlung von Verma zerstritten. Der Tod des Familienvaters hatte ihnen eine Zeit lang mediale Aufmerksamkeit verschafft, sie fühlten sich dadurch sicher. Doch mit der Zeit hätten Freunde und Verwandte begonnen, Druck auf die Witwe auszuüben. "Viele unserer Verwandten stellten sich plötzlich gegen uns", erinnert sie sich. "Sie sagten, das Leben meiner Kinder sei bedroht." Also einigte sie sich mit Verma und akzeptierte das Schweigegeld. Sie solle es für ihre Tochter Dishka einsetzen, meinte der.

Dishka aber lehnte das Geld ab, sie kämpft dafür, dass ihr Vater als Mordopfer anerkannt wird. "Er wollte für Gerechtigkeit kämpfen und er wollte etwas Gutes für die Stadt Shahjahanpur tun", sagte sie Reportern, "Sehr wenige Menschen sind so unerschrocken, es mit einem so mächtigen Minister aufzunehmen. Das bestätigt auch ein Journalist, der in Shajahanpur für die große Tageszeitung Times of India arbeitet: Singh sei der letzte Reporter gewesen, der über illegalen Sandabbau in der Region geschrieben habe.

Auch in anderen Landesteilen zieht das Geschäft mit Sand und Kies offenbar korrupte Politiker und zwielichtige Unternehmer an. Auch dort starben in den Vergangenen Jahren Journalisten, während sie zur "Sand-Mafia" recherchierten: der Investigativjournalist Sandeep Kothari wurde nur Wochen nach Jagendra Singh im zentralindischen Bundesstaat Madhya Pradesh entführt und verbrannt. Im Februar 2016 wurde der Reporter Karun Misra von bewaffneten Motorradfahrern erschossen und im März 2018 überrollte ein Lastwagen den TV-Journalisten Sandeep Sharma.

"Die Sandmafia gilt derzeit als eine der prominentesten, gewalttätigsten und undurchdringlichsten Gruppen der organisierten Kriminalität in Indien", sagt Aunshul Rege, Professorin an der Fakultät für Strafrecht der Temple University in Philadelphia. Die wirtschaftliche Entwicklung Indiens treibt den Bedarf der örtlichen Industrie nach Sand, Kies und Mineralien weiter an.

Im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu ist illegaler Sandabbau seit Jahren ein Problem. 2013 erkannte die lokale Regierung das Problem an, verhängte ein Abbauverbot und untersuchte die Aktivitäten privater Sandexporteure. Dennoch konnten diese bis 2016 zwei Millionen Tonnen Mineralien international verkaufen. Zu diesem Schluss kommt ein Expertenbericht an ein Gericht in Madras, wo ein Rechtsstreit über das Verbot geführt wird. Aus Zollunterlagen geht hervor, dass trotz des Verbots bis 2016 auch nach Deutschland exportiert wurde. Erst im November 2016 setzte die Zollbehörde das Verbot um und blockierte die Exporte. Eine deutsche Firma, die laut Bundesregierung davon betroffen ist, ist die Dinslakener Ampeco GmbH. Ampeco hatte sich umgehend an das deutsche Generalkonsulat in Chennai gewandt und um Hilfe gebeten, woraufhin der Vizegeneralkonsul tatsächlich bei den indischen Behörden intervenierte.

Auf schriftliche Fragen antwortete Ampeco nicht. In einer Petition an die Regierung beklagte sich Ampeco vehement über die Blockade, die nur aufgrund von Gerüchten über das Fehlverhalten Einzelner zustande gekommen sei. Das Auswärtige Amt betonte, der Einsatz sei kein Lobbying gegen das Exportverbot gewesen. Aspekte der Menschen- und Arbeitnehmerrechte sowie des Umweltschutzes im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung würden beachtet und gewahrt.

Sandhya Ravishankar ist eine der wenigen Journalisten, die sich seit 2013 traute, über das Problem in Tamil Nadu zu berichten, mit unmittelbaren Konsequenzen: "An dem Tag, als wir die erste Geschichte veröffentlichten, bekamen wir innerhalb einer oder zwei Stunden eine Verleumdungsklage gegen die Zeitung, und ich war als Beschuldigte genannt." Die Klage zeigte Wirkung - kein Medium wollte ihre weiteren Recherchen veröffentlichen. Erst 2017 machte eine Nachrichtenwebsite ihre Erkenntnisse öffentlich.

Ravishankar erhielt daraufhin Drohanrufe, wurde verfolgt, sogar Bilder aus Überwachungskameras wurden online veröffentlicht. Darauf ist zu sehen, wie sie einen Informanten trifft. Ravishankar verließ die Region und ist aus Angst um ihre Sicherheit nie wieder zurückgekehrt. Ihre Berichterstattung über die Sand-Mafia aber führt sie fort. Mit der Organisation Forbidden Stories fand sie Partner, die ihre Recherchen weiterführen und einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren konnten. "Aufgeben", sagt sie, "hätte einfach nicht meiner Natur entsprochen."

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