EU-Gipfel in Brüssel:Schritt für Schritt zur Juncker-Nachfolge

EU-Gipfel in Brüssel: Kanzlerin Angela Merkel und der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker beim EU-Gipfel in Brüssel.

Kanzlerin Angela Merkel und der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker beim EU-Gipfel in Brüssel.

(Foto: AFP)
  • Beim zweitägigen EU-Gipfel versuchen die Staats- und Regierungschefs, sich auf das Personaltableau nach der Europawahl zu einigen.
  • Doch während Merkel sich hinter den EVP-Bewerber Weber (CSU) stellt, hält die SPD den Niederländer Timmermans für besser geeignet.
  • Die CDU-Kanzlerin hat sich mit ihrem Koalitionspartner SPD darauf verständigt, dass Deutschland sich zum Spitzenkandidaten-Prinzip bekennt. Staatspräsident Macron lehnt das ab.

Von Karoline Meta Beisel, Matthias Kolb und Alexander Mühlauer, Brüssel

Der EU-Gipfel hatte noch gar nicht begonnen, da dämpfte Angela Merkel schon die Erwartungen. Es gebe "eine Reihe von Schwierigkeiten", sagte die Bundeskanzlerin bei ihrer Ankunft in Brüssel. Und so könne es beim "Gespräch über Personen" durchaus sein, dass man sich in der Nacht zum Freitag noch nicht einigen werde. Das wäre auch "nicht so sehr bedrohlich", schließlich habe man noch "ein paar Tage Zeit". Bis zur konstituierenden Sitzung des Europaparlaments am 2. Juli werde man aber eine Lösung finden, versicherte Merkel. Und fügte hinzu: "Wie immer muss man Schritt für Schritt vorgehen."

Immerhin einen Schritt hatte Merkel schon vor dem Gipfel geschafft. Die CDU-Kanzlerin hat sich mit ihrem Koalitionspartner SPD darauf verständigt, dass Deutschland sich zum Spitzenkandidaten-Prinzip bekennt. Doch während Merkel sich hinter den EVP-Bewerber Manfred Weber (CSU) stellt, hält die SPD den Niederländer Frans Timmermans für besser geeignet. Vizekanzler Olaf Scholz ist extra nach Brüssel gereist, und auch wenn er durch die Hintertür zum Vortreffen seiner Parteienfamilie gelangte, so gilt seine Unterstützung für den bisherigen Vizepräsidenten der EU-Kommission als sicher. Timmermans, der in den vergangenen drei Wochen abgetaucht war, präsentierte sich am Donnerstag selbstbewusst und verkündete: "Ich will Chef der EU-Kommission werden, das ist mein einziges Ziel. Ich strebe kein anderes Amt an, das habe ich schon im Wahlkampf klargemacht."

Weber ist von einer Mehrheit im Europaparlament weit entfernt

Die Sozialdemokraten haben bei der Europawahl 32 Sitze verloren. Dass ihr Selbstbewusstsein in den vergangenen Tagen trotzdem gestiegen ist, speist sich unter anderem aus der Tatsache, dass es Weber nicht geschafft hat, bis zum Gipfel in den Fraktionen von Grünen, Liberalen und Sozialdemokraten genügend Unterstützung für seine Person zu finden. Von einer Mehrheit im Europaparlament ist er weit entfernt. Die Beratungen der vier Fraktionen über ein Arbeitsprogramm für die kommenden fünf Jahre dauern an.

Im Vergleich zu ihrem Treffen direkt nach der Europawahl zeigten sich viele Staats- und Regierungschefs vor den Kameras aufgeschlossener gegenüber den Volksvertretern. "Wir brauchen zwei Mehrheiten, im Europäischen Rat und im Parlament", sagte der Luxemburger Xavier Bettel. Während Kanzlerin Merkel dafür warb, die Meinung der Abgeordneten zu respektieren, betonte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron: "Wir müssen mit dem Europäischen Parlament arbeiten." Er nannte als Ziel, "die beste Mannschaft für Europa" zu finden, denn die 28 Staats- und Regierungschefs müssen neben der Nachfolge für Jean-Claude Juncker auch entscheiden, wer künftig die Posten von EU-Ratspräsident Donald Tusk, der Außenbeauftragten Federica Mogherini und EZB-Chef Mario Draghi übernimmt; zudem braucht das EU-Parlament einen Chef.

Dass Macron das Spitzenkandidaten-Prinzip in jetziger Form ablehnt, ist ebenso bekannt wie die Tatsache, dass er sehr wenig von Weber hält, weil er ihm Charisma und Regierungserfahrung abspricht. Dem Eindruck, beim Postenpoker handele es sich um ein Match Deutschland gegen Frankreich, widersprach er und verwies darauf, dass er sich vor Beginn des Treffens mit Kanzlerin Merkel beraten habe.

Parteipolitische Interessen spielen eine größere Rolle als vor fünf Jahren

Macron weiß natürlich, dass jeder Kommissionschef nicht nur vom Europaparlament gewählt werden muss, sondern dass die EVP eine Sperrminorität im Europäischen Rat der Regierungschefs besitzt. Solange die Christdemokraten geschlossen hinter Weber stehen, bleibt dieser im Rennen. Der Wortführer der Sozialdemokraten, Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez, betonte bei seiner Ankunft in Brüssel, dass der künftige Kommissionspräsident aus der Riege der Spitzenkandidaten kommen müsse - und dürfte damit länger auf Timmermans beharren.

Diesmal spielen parteipolitische Interessen eine größere Rolle als vor fünf Jahren. Und so entstehen für manche Regierungschefs wie den Niederländer Mark Rutte spezielle Situationen. Als Liberaler unterstütze er EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, sagte Rutte, doch seine Regierung habe noch nicht entschieden, wen sie als EU-Kommissionspräsidenten unterstützt. Ruttes Vier-Parteien-Koalition werde erst eine Entscheidung treffen, wenn es einen Konsenskandidaten in der EU gebe. Diese Frage stehe jetzt noch nicht an, betonte Rutte und dämpfte wie viele andere die Hoffnungen auf einen Durchbruch. Irlands Premierminister Leo Varadkar sagte am Donnerstagnachmittag, er habe das Gefühl, dass es noch nicht gelingen werde, sich im Rat jetzt schon auf einen neuen Kommissionspräsidenten zu einigen. Dafür werde man einen weiteren Gipfel benötigen: "Die Papstwahl geht wahrscheinlich schneller als die Besetzung dieser Positionen."

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