Video on Demand:Der Nächste, bitte

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Auch die Moderatorin und Schauspielerin Katrin Bauerfeind ist Teil der deutschen Programmoffensive von Joyn. In einer Serie von Ralf Husmann spielt sie die Gleichstellungsbeauftragte Eva Jordan. (Foto: Joyn/ProSieben/Christiane Pausch)

Die neue Streaming-Plattform Joyn setzt auf Filme und Serien mit deutscher Prominenz, um Netflix Konkurrenz zu machen. Aber wie viele verschiedene Anbieter verträgt der Markt?

Von Lisa Priller-Gebhardt

Geduld gehört ganz offensichtlich nicht zu den Kernkompetenzen von Max Conze, Vorstandsvorsitzender von Pro Sieben Sat 1. Als sich kürzlich nach der Landung seines Fliegers in London der vordere Ausgang nicht öffnen ließ, wartete der Topmanager, Sitzplatz 1 C, nicht lange, sondern schnappte sich die Stewardess, die ihn durch die im Gang wartenden Passagiere zur hinteren Türe bugsierte.

Für die Entwicklung der neuen Streamingplattform Joyn musste er vermutlich wesentlich mehr Geduld aufbringen. Vor mehr als einem Jahr bereits hat Conze die Umbauarbeiten an der bestehenden App 7 TV beauftragt, über die man bislang vor allem die Inhalte aller Free-TV-Sender der Gruppe aufrufen konnte. An diesem Dienstag wurde nun endlich umgestellt, mit dem Ziel, eine große deutsche Streamingplattform ins Rennen zu schicken. Pro Sieben Sat 1 möchte damit, klar, Netflix und Amazon auf dem deutschen Markt Konkurrenz zu machen. Kann das gelingen?

Die Konkurrenz aus den USA ist mächtig. Die heimischen Sender wollen ihr nicht tatenlos zusehen

Herzstück von Joyn sind die Livestreams von mehr als 50 TV-Sendern. Darunter nicht nur die Kanäle der beiden Joint-Venture-Partner Pro Sieben und Discovery, sondern auch die Sender von ARD und ZDF. "Insgesamt sind auf Joyn dann 67 Prozent des deutschen TV-Angebots zu sehen", sagt Geschäftsführerin Katja Hofem. Neben dem Programm, das man genausogut im Fernsehen anschauen kann, soll das bereitstehen, was der Zuschauer dort verpasst. Und darüber hinaus etwa 40 Filme und Serien wie Single Diaries und Jerks.

Los geht es zunächst mit einem kostenfreien, werbefinanzierten Angebot. Im Herbst kommt der kostenpflichtige Premium-Bereich dazu. Dann sind auch Maxdome und der Eurosport Player abrufbar, der Bundesligaspiele, Tennis-Grand-Slams oder 2020 die Olympischen Spiele in Tokio im Angebot haben wird. Die Benutzeroberfläche ähnelt der von den etablierten Plattformen. Sie analysiert das Nutzerverhalten und liefert auf dieser Basis Vorschläge. Es gibt Empfehlungen, Sortierungen nach Genres, zusätzlich gibt es kuratierte Themenchannels auf der Seite.

Doch wer soll das alles schauen? Laut dem Beratungsunternehmen Goldmedia ist jeder deutsche Abonnent im Schnitt bereits bei gut zwei Anbietern Kunde, Tendenz steigend. Um sich von der Konkurrenz abzuheben, arbeitet Joyn mit bekannten deutschen Gesichtern zusammen. "Der Lokalkolorit ist unser großer Vorteil", sagt Geschäftsführerin Hofem. "Unsere Produktionen müssen nicht so aussehen, dass sie überall auf der Welt funktionieren." Mit zunächst zehn Eigenproduktionen will Joyn am Streaming-Boom partizipieren. Unter anderem wurde um Sendergesicht Klaas Heufer-Umlauf eine Serie gestrickt ( Check Check) und auch Moderatorin und Schauspielerin Katrin Bauerfeind bekommt eine ( Frau Jordan stellt gleich).

Nie haben deutsche Sender mehr Geld ins Programm investiert, nach Schätzung des Branchenverbunds Screenforce im vergangenen Jahr rund acht Milliarden Euro. Die Sender wollen sich der mächtigen US-Konkurrenz nicht tatenlos ergeben.

"Hier entsteht neben dem Abo-finanzierten Streamingmarkt um Amazon und Netflix gerade ein interessanter neuer Spielplatz", sagt Goldmedia-Geschäftsführer Florian Kerkau auf die Frage, ob es für neue Wettbewerber nicht längst zu spät sei. Denn anders als Amazon und Netflix sollen Joyn und auch das Konkurrenzangebot der Mediengruppe RTL, TV Now, ihr Geld vor allem mit Werbung verdienen. Dieses Geschäftsmodell ist in Deutschland noch nicht stark verbreitet. "Die werbefinanzierten Angebote der Fernsehsender, die meist gratis oder für kleines Geld zu haben sind, werden ihr Publikum finden", ist sich Kerkau sicher. TV Now von RTL etwa habe sich "gut entwickelt" und verzeichne im Schnitt fünf Millionen Nutzer.

Conzes ursprünglicher Plan war es, das ganz große Bündnis gegen die US-Anbieter zu schmieden. Ähnliche Pläne haben RTL und Pro Sieben bereits 2012 verfolgt, "Amazonas" nannte sich das Projekt, das aber an Bundeskartellamt und OLG Düsseldorf scheiterte. Ein Jahr später mussten sich auch ARD und ZDF von ihrem Gemeinschaftsprojekt "Germany's Gold" verabschieden. Das ist aus heutiger Sicht insofern bitter für die Sender, als beide Vorhaben lange vor dem großen Durchbruch von Amazon und Netflix angeschoben wurden.

Ob eine Megaplattform doch noch zustande kommt? RTL ist zwar mit TV Now heute unabhängig aktiv, doch das muss ja nicht immer so bleiben. Und auch die Wettbewerbshüter können nicht ignorieren, was sich in der Streamingwelt tut: Internationale Firmen arbeiten mit Hochdruck an neuen Angeboten, vor allem Apple, Warner und Disney. Disney+ soll 2020 in Deutschland starten; Amazon kündigte gerade an, seinen werbefinanzierten Streamingdienst IMDb nach Europa zu bringen.

Joyn soll in den beiden kommenden Jahren planmäßig kräftig wachsen, auf zehn Millionen Nutzer. Für den Zuschauer bedeute das erst einmal "regelrecht paradiesische Zustände", sagt Kerkau. Für Pro Sieben Sat 1 heißt es, sich in Geduld zu üben: Ob es gelingt, die abnehmende Fernsehreichweite durch eine zunehmende Digitalreichweite auszugleichen, wird sich in den nächsten Jahren erweisen. Noch ehe sich die Flugbegleiterin mit Max Conze übrigens zum hinteren Ausgang durchgekämpft hatte, so berichten es Augenzeugen, öffnete sich wie durch ein Wunder der vordere.

© SZ vom 21.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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