Fecht-EM:Die Zweifelnden erwachen

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Wie, schon gewonnen? Matyas Szabo (links) jubelt mit Schlussfechter Benedikt Wagner und Max Hartung (re.). (Foto: Marius Becker/dpa)

Die deutschen Säbelfechter raufen sich rechtzeitig zusammen und gewinnen gegen Ungarn EM-Gold. Sie machen damit auch einen entscheidenden Schritt in Richtung Olympia.

Von Volker Kreisl

Fechten ist ein Sport, der in Deutschland seit Jahren um Aufmerksamkeit ringt. Die einstige Erfolgssparte wirbt um Fördergelder, um die Gunst der Sponsoren und um Menschen, die sich das Ganze mal auch direkt anschauen wollen. Gute Werbung dafür ist ein Sieg in einem äußerst mitreißenden Gefecht. Noch besser: ein Titel nach einem äußerst mitreißenden Match. Am besten: Ein äußerst mitreißender Titel zum Abschluss, als Höhepunkt einer Großveranstaltung im eigenen Land.

Die deutschen Säbelfechter haben am Samstag also ordentlich Werbung betrieben zum Abschluss der Europameisterschaft, mit ihrem 45:43-Finalsieg gegen den Weltranglistendritten aus Ungarn. Sie haben dabei - wie schon ihre Team-Kollegen vom Florett mit Silber am Donnerstag - sämtliche Unterhaltungsmittel genutzt, die das Mannschaftsfechten zu bieten hat. Diese Wettkampfform zieht sich über mehr als eine Stunde hin, und am Ende war das Publikum in der Halle 8b der Düsseldorfer Messe derart beschwipst von der Auferstehung des eigentlich schon geschlagenen Säbel-Teams, dass man glauben konnte, Fechten würde nun zum neuen Renner in den örtlichen Vereinen.

Zuvor war das Team - Einzelbronze-Gewinner Max Hartung, Benedikt Wagner, Matyas Szabo und Ersatzfechter Björn Hübner-Fehrer - recht locker durch die K.-o.-Runde gedrungen. Sie hatten Franzosen und Italiener hinter sich gelassen, und schienen mit den derzeit besten Europäern, den Ungarn, dann aber ihre Meister im Finale gefunden zu haben: Zum Auftakt lag man gleich mal 1:9 hinten.

Irgendwann schalteten die Zweifelnden gemeinsam auf Attacke

Wäre ja auch nicht schlimm, Silber ist eine feine Medaillenfarbe. Doch dann, irgendwann, war der Teamgeist dieser Mannschaft erwacht, die Zweifelnden schalteten gemeinsam auf Attacke um. Wagner und Szabo fanden aus ihrem Tief heraus, Hartung blieb stabil, und so sammelten sie ihre Treffer - beharrlich wie die Eichhörnchen, nur eben mit Säbelgeplärr.

Bei 27:27 war wieder Gleichstand, und die Halle stand Kopf, als Hartung seinem Kollegen Wagner zum Schlussgefecht gegen den Olympiasieger Aron Szilagyi einen Sechs-Punkte-Vorsprung mitgab: 40:34. Aber Wagner machte es spannend. Zwar blieb er angriffslustig, doch Szilagyi ist eben erfahren, und irgendwie war klar, dass dieser Nachmittag im allgemeinen Herzrasen enden würde - insbesondere wohl auch bei Trainer Vilmos Szabo, Vater von Matyas und Vater des deutschen Säbelerfolges. Beim Siegtreffer zum 45:43 musste er warten, bis die halbe Minute, die sich gefühlt zu einer halbe Stunde ausdehnte, wegen Videobeweises um war, und der Obmann den letzten Arm hob - Team Germany Europameister.

Es ist der nächste EM-Titel für Szabos Team, das auch schon Weltmeister wurde, aber eben noch diesen einen großen Traum offen hat: eine olympische Medaille, am besten nächstes Jahr in Tokio. Daher geht nach diesem Abend die Arbeit erst richtig los. Die entscheidende Phase des Punktesammelns und Entwickelns für Olympia hat gerade erst begonnen.

Der Durchbruch steht noch aus

Anders als bei den Säblern ist der Weg für die deutschen Degenfechterinnen noch weit. Die europäische Konkurrenz ist bedeutend größer, die das Team um Alexandra Ndolo, Beate Christmann, Andrea Ehlers und Ricarda Multerer in der Weltrangliste noch hinter sich bringen muss. Ihnen geht es wie den anderen Teamkollegen, außer Säblern und Florettfechtern: bei dieser EM haben sie einen Schritt nach vorne gemacht, doch der Durchbruch steht noch aus. Sie haben in Düsseldorf Qualitäten gezeigt, an jenen, die sie zu stabilen Siegern macht, müssen sie weiter feilen.

Am Samstag landete das Frauen-Degen-Team auf Rang sechs, das gibt ein paar Punkte im Ranking, reicht aber nicht für einen bedeutenden Schritt nach vorne. Stärke und Schwäche haben sie gezeigt an diesem Tag, und im Resümee können sie es sich aussuchen, woran sie nun abends beim Einschlafen denken. An die knappe 43:45-Niederlage im Viertelfinale gegen Frankreich, wobei sie aber einen scheinbar aussichtslosen Rückstand aufgeholt hatten, also großen Kampfgeist bewiesen. Oder zuletzt die doch deutliche Lehrstunde im Platzierungsgefecht um Rang fünf. Die Ukrainerinnen hatte man noch in der ersten Hälfte kontrolliert, und in der zweiten dann irgendwie aus den Augen verloren. Nach fünf von neun Teilgefechten führten die Deutschen noch knapp, am Schluss stand es 43:28 für die Ukraine.

Zum geruhsamen Einschlafen sind Gedanken an Fortschritte empfehlenswert, zwischendurch hatte man ja auch noch die Ungarn geschlagen. Doch Trainer Dominik Csobo wird wie die Kollegen Böttcher (Männerdegen), Guichot (Frauensäbel) und Bortolaso (Frauenflorett) vermutlich noch den Finger in die Wunde legen. Was unter anderem noch fehlt, ist die letzte Entschlossenheit in der Gefahrenzone, die letzte Konsequenz beim Ausfallschritt, die den Treffer bringt.

Für sämtliche Teams wäre da die Säbel-Mannschaft von Vilmos Szabo ein Vorbild, besser noch wäre aber eines in der eigenen Fechtgruppe. Beim Frauendegen könnte Alexandra Ndolo diese Rolle einnehmen, sie hat ja Bronze vor drei Tagen in Düsseldorf im Einzel gewonnen, unter anderem, auch weil sie in den entscheidenden Sekunden überlegen war. Warum? Sie wisse auch nicht so genau, warum, sagt Ndolo, aber vielleicht deshalb: "Ich hab' halt nicht so viel Angst vorm Verlieren."

© SZ vom 23.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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