1200 Jahre Infografik:Verstehen Aliens unsere Bilder?

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Die Pioneer-Plakette aus dem Jahr 1972 soll außerirdischen Intelligenzen von Menschen und ihrem Planeten in unserem Sonnensystem künden. (Foto: NASA/Taschen Verlag)
  • Ein beeindruckender Bildband erklärt die Geschichte von 1200 Jahren Infografik.
  • Die gezeigten Motive reichen von frühen Darstellungen der Planeten als vielköpfiges Wesen bis zur Art, wie der Mensch mit Außerirdischen kommunizieren wollte.
  • Das zeigt auch das große Dilemma, das mit der grafischen Darstellung von Informationen bis heute einhergeht.

Von Bernd Graff

Zu den heikleren Kommunikationen zählt der Austausch mit Außerirdischen. Was sagt man den Leuten? Und wie? Verstehen sie uns, verfügen sie über dieselben Sinne wie wir? Können sie überhaupt wahrnehmen, hören, sehen, fühlen, wissen wie wir? Kapieren sie Gesten, können sie rechnen, und kennen sie den Unterschied zwischen Zeichen und Bezeichnetem? Andererseits: Vielleicht steht da gerade Dschingis Korg vor uns, der Eroberer der Orion-Schulter, und wir missverstehen jede Botschaft seiner wippenden Fühler!

Trotz dieser absehbaren Schwierigkeiten hat man sich 1972 durchgerungen, mit einer ziemlich ausgeklügelten Informationsgrafik einen ersten kommunikativen Schritt auf Außerirdische zu tun. Sie ist ein Meilenstein in der Geschichte der zum sprechen gebrachten Illustrationen, zu deren weit über 1200-jähriger Vergangenheit der Taschen-Verlag gerade mit "History of Information Graphics" einen fulminanten Bildband herausgebracht hat. Natürlich ist auch jene bildhafte Alien-Ansprache darin zu finden, die man damals an den interstellaren Raumsonden Pioneer 10 und Pioneer 11 als goldene Plakette anbrachte.

Sie ist ausdrücklich als Botschaft an extraterrestrische Intelligenzen gedacht, die so von der Existenz der Menschheit, ihrem Planeten Erde und deren Position im Weltraum erfahren sollen.

Bildband: "History of Information Graphics"
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Eine kleine Zeitreise durch Infografiken aus 1200 Jahren: von Planetensystemen als vielköpfige Wesen bis zur Art, wie der Mensch sich Aliens präsentieren wollte.

Für Menschen sofort erkennbar ist die Darstellung eines nackten Menschenpaars, der Mann hebt den Arm zum Gruß. Für Wissenschaftler und Aliens interessanter ist die Darstellung des Hyperfeinstrukturübergangs des im All verbreiteten Wasserstoffatoms und eine binäre 1, aus beidem soll man alles andere der Grafik ableiten können. Die meisten irdischen Wissenschaftler, denen man die Plakette zeigte, konnten allerdings nichts damit anfangen.

Das aber, womit man etwas anfangen kann, das nackte Paar, hat für Carl Edward Sagan, den Plaketten-Designer, damals so etwas wie einen Shitstorm ausgelöst. Einerseits stieß man sich an der Nacktheit, was sollen die Aliens nur von uns denken! Andererseits störte man sich dann aber daran, dass die nackte Frau nicht nackt genug war. Denn beim Start der Sonden fehlte den Pioneer-Plaketten jener winzige Strich, der beim Countdown noch da war und der die weibliche Vulva hatte andeuten sollen. Dieser Strich wurde kurzfristig entfernt, weil er, so die Begründung, in klassischen Darstellungen und bei konventionellen Statuen auch nicht vorkomme. Das wird jedes Alien einsehen. Andere mokierten sich über den Arm des Mannes. Kein Alien kapiere doch, dass der nicht immer so abstehe, All-Wesen müssten ihn für eine Antenne halten. Sagan hatte das Paar ursprünglich noch Hand in Hand darstellen wollen, rückte dann aber wieder davon ab, als ihm klar wurde, dass man Mann und Frau dann nur für ein einziges, vierbeiniges Wesen mit einem dünnen Verbindungskanal zwischen den Körperhälften halten werde. Außerdem fehlt der Infografik die Darstellung aller anderen Lebensformen der Erde: Pflanzen, Tiere kommen schlicht nicht vor. Die den Alien vorgestellte Welt ist also bloß anthropozentrisch gedacht. Und dann: Was lesen die Aliens eigentlich aus der Plakette, wenn sie diese falsch herum (er-)halten oder die Menschendarstellung nicht als ein dreidimensionales Schema, sondern auch als einen verschlüsselten Strichcode wahrnehmen?

Wenn das Vorwissen abnimmt, werden die visualisierten Informationen schnell zu Rätseln

Man weiß wenig über den bisherigen kommunikativen Erfolg dieser Pioneer-Plaketten, nur so viel ist sicher: Sie sind Ikonen in der weit über tausendjährigen Geschichte der Informationsgrafik in unseren westlichen Kulturen. Dieser Geschichte des Wissenstransfers mithilfe von bildhaft aufbereiteten Daten haben die Autorin Sandra Rendgen und Herausgeber Julius Wiedemann diesen kolossalen, kolossal beeindruckenden Band mit mehr als 400 historischen wie zeitgenössischen Karten, Diagrammen und Zeichnungen aus allen Bereichen der Informationsvisualisierung gewidmet.

Der Band ist prächtig nicht nur, weil er so viele, vor allem historische Grafiken zusammengetragen und systematisch aufbereitet hat. Er ist auch deswegen so beeindruckend, weil er uns etwa anhand der mittelalterlichen Druckgrafiken, Handzeichnungen und Buchmalereien mit exemplarischer Wucht das Alien-Dilemma als unser eigenes vor Augen führt.

Denn anschaulich wird durch die historischen Beispiele, dass es immer eine kulturhistorische Bedingtheit unseres Wissens gibt, ein an die eigene Zeit gebundenes, meist unausgesprochenes, gemeinsames Vorwissen, das uns den Bildern Information entnehmen lässt. Wir müssen mit den Infografikern über dieselben Konzepte von Welt verfügen, damit wir Informationen aus Bildflächen herauslesen können. Nur dann werden sie kommunikativ. Fehlen die Konzept-Übereinkünfte, können wir mit den grafisch codierten Informationen nichts oder nichts mehr anfangen.

Das beeindruckendste Beispiel hierfür ist das Voynich-Manuskript eines unbekannten Autors aus dem 15. Jahrhundert. Alle darin versammelten Texte, Diagramme und Illustrationen konnten bislang nicht entschlüsselt werden, nichts ergibt Sinn. Wird es der ansprachefrohen Pioneer-Plakette nicht ganz ähnlich ergehen?

Man muss schon ziemlich viel wissen, um mehr wissen zu können. Man muss etwa die politische Karte von Europa kennen, um die satirischen Darstellungen des Illustrators Paul Hadol zum Verlauf des deutsch-französischen Krieges 1870/71 lustig finden zu können, denn der Illustrator hat aus den Länderumrissen Karikaturen der kriegerischen Akteure gemacht.

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Mit ein paar Jahrhunderten Abstand verliert sich der Gehalt der Grafiken auch wieder. Von ehemals visualisierten Informationen bleiben nur noch Rätsel. Wir verstehen heute etwa kaum mehr, was uns der mehr nach Verdauungstrakt als nach Weltkarte ausschauende Atlas des Mönchs Ranulf Higden aus dem 14. Jahrhundert damit sagen will, dass er das Rote Meer und England rot anzeigt, die gewürfelte Restwelt (Osten ist oben), Berge und Ozeane, aber grün. Inseln sind darauf sowieso nur Texte. Oder ob es wirklich einen Informationsgewinn (oder nicht vielmehr einen beflissenen Demutsbeweis) darstellt, auf der ellenlangen "Genealogie von Jesus" des Theologen Peter von Poitiers aus dem späten 12. Jahrhundert alle Bibel-Prominenz seit Adam auf kleinteiligster Ahnentafel plus erbaulichen Traktaten und bildstarken Medaillons gelistet zu sehen. Sie wirkt so nützlich wie eine Gebrauchsanweisung für Digitaluhren heute. Oder was will jene kalendarische Schrift aus dem 9. Jahrhundert vermitteln, welche die sieben Planeten unseres Sonnensystems in Form eines einzigen Mischwesens mit sieben sich argwöhnisch beäugenden Köpfen darstellt? Darunter ist noch eine Art Pool gezeichnet, der als Karte zu den Quellen der vier Paradiesflüsse ausgegeben wird. Hätte man dieses Blatt statt der Goldplaketten an die beiden Pioneer-Sonden geheftet, unsere Lebensform wäre für Aliens kaum weniger verständlich als mit Sagans Infografik.

Auch die historische Differenz dieser beiden Artefakte würden sie wohl verschmerzen: Die Raumsonde bewegt sich seit dem letzten Funkkontakt im Jahr 2003 auf den 67 Lichtjahre entfernten Stern Aldebaran im Sternbild Stier zu. Dessen Position wird sie in etwa zwei Millionen Jahren erreichen. Würde sie erst dann von Aliens gefunden werden, dann wären die 1100 Jahre, die zwischen der Entstehung des Mischwesens und dem nackten Menschenpaar liegen, für alle Aliens der Welt zu vernachlässigen.

Julius Wiedemann (Hg.), Sandra Rendgen: History of Information Graphics. Taschen -Verlag, Köln 2019, 462 Seiten. Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch. 50 Euro

© SZ vom 25.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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