Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz:Noch nicht überall angekommen

Seit Januar müssen intersexuelle Menschen in Stellenausschreibungen ausdrücklich erwähnt werden, mit "divers". Behörden, Arbeitsagenturen und Großfirmen haben das schon auf dem Schirm, kleinere Betriebe eher nicht.

Von Nadja Tausche, Freising

Das dritte Geschlecht wird im Landkreis Freising langsam sichtbar. Gleich an mehreren Stellen zeigen sich die Auswirkungen der Gesetzesänderung, laut der sich Menschen seit Januar 2019 offiziell als "divers" eintragen lassen können. Denn auch Arbeitgeber müssen bei Stellenausschreibungen seitdem eine neutrale Formulierung wählen, weil sie sonst gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstoßen würden. Folgen können zum Beispiel Schadensersatzforderungen sein. Für die Arbeitsagentur Freising heißt das: "Alle Stellenangebote, die wir aufnehmen, müssen geschlechtsneutral sein", sagt Pressesprecherin Kathrin Stemberger. Viele Firmen, die der Arbeitsagentur die Ausschreibungen schicken, hätten die Bezeichnung "m/w/d" von sich aus angegeben, so Stemberger, die anderen habe man darauf hingewiesen.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz: Am besten eine für die Bedürfnisse von allen: Uni-Sex Toilette im Dekanatsgebäude der Technischen Universität München in Weihenstephan.

Am besten eine für die Bedürfnisse von allen: Uni-Sex Toilette im Dekanatsgebäude der Technischen Universität München in Weihenstephan.

(Foto: Marco Einfeldt)

Stemberger findet die neutrale Formulierung wichtig. Man wolle alle Menschen ansprechen, sagt sie: "Im Jahr 2019 sollte das für die Gesellschaft und für eine Behörde als Teil der Gesellschaft selbstverständlich sein." Allzu viel Arbeit mache die Gesetzesänderung der Arbeitsagentur nicht: Man stehe sowieso in Kontakt mit den Arbeitgebern. Die Option des dritten Geschlechts betrifft Menschen, die körperlich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können. Das kann zum Beispiel an der Chromosomenzahl oder an der Hormonproduktion liegen. Deutschlandweit betrifft das geänderte Gesetz laut Bundesregierung rund 160 000 Menschen.

Wichtig ist, dass offener diskutiert wird

Wie viele Menschen im Landkreis Freising betroffen sind, dazu liegen dem Landratsamt keine Daten vor. Auch die Zahl derer, die sich seit der Gesetzesänderung im Januar haben ummelden lassen, werde auf Landkreisebene nicht festgehalten, so Pressesprecherin Eva Zimmerhof. Die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises, Petra Lichtenfeld, meint: Der Vorstoß sei die gesetzliche Grundlage dafür, dass intersexuelle Menschen als normaler Teil der Gesellschaft gesehen werden. Ob die Gesetzesänderung Betroffene im Alltag tatsächlich vor Diskriminierung schütze, müsse sich zwar erst zeigen, "aber zumindest wird nun offener diskutiert und das Thema rückt mehr in den Fokus",schätzt Lichtenfeld.

An den Universitäten in Freising ist die Umsetzung der Gesetzesänderung noch in vollem Gange. Sowohl die Technische Universität (TU) München in Weihenstephan als auch die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf haben die Stellenausschreibungen angepasst, an der TU können Studenten Workshops zu den Themen Gender- und Diversitykompetenz wählen. Außerdem, berichtet Klaus Becker von der TU-Pressestelle, werde zurzeit ein Teil der Toiletten zu Unisex-Toiletten umgewidmet: "Auch am Campus Weihenstephan gibt es schon mehrere."

Für kleine Läden ist es kein Thema

Anders ist es, wenn man sich in der Freisinger Innenstadt umschaut. Hier scheint alles wie immer, was die Aushänge in den Schaufenstern angeht. Im dem des O2-Ladens hängt ein Zettel, laut dem man "einen/eine Bürokaufmann/frau" sucht, auch im Vodafone-Shop ist die Ausschreibung mit "m/w" formuliert. "Das Thema ist bei mir im Kopf noch ganz weit hinten", erklärt Sandra Rixe, Leiterin des O2-Shops. Sie findet, man solle das Thema nicht zu sehr bürokratisieren: Die Gesetzesänderung sei nur eine "Formalität". Wer interessiert sei, solle sich einfach bewerben, das Geschlecht spiele keine Rolle.

Andreas Muschler von der gleichnamigen Konditorei meint: "Ich will niemanden diskriminieren, aber ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht." Auch im Mitarbeitergesuch in seinem Schaufenster fehlt das "d" für "divers". Muschler glaubt, dass die wenigsten Betroffenen tatsächlich ein Problem mit den bisherigen Ausschreibungen haben. Online seien trotzdem alle drei Geschlechter angegeben, weil das eine Agentur übernommen habe. Die Frage nach speziellen Toiletten erledige sich in seiner Konditorei sowieso: Die seien auch jetzt schon genderneutral, sagt Muschler. Auch am Münchner Flughafen gibt es bereits Toiletten für alle Geschlechter, diejenigen, die auch für Menschen im Rollstuhl ausgewiesen sind. Im neuen Flugsteig, der momentan gebaut wird, sollen die barrierefreien Toiletten offiziell mit "divers" gekennzeichnet werden, wie Pressesprecher Ingo Anspach erklärt. In Stellenausschreibungen hatte der Flughafen das dritte Geschlecht schon angegeben, bevor das Gesetz überhaupt in Kraft getreten ist, nämlich direkt nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Ende 2018, das auch der Auslöser für die Gesetzesänderung war.

Unklar ist die offizielle Anrede

Bis ins Detail geklärt ist allerdings noch nicht alles, was das dritte Geschlecht angeht. So weist Monika Gerschau, Frauenbeauftragte der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, darauf hin, dass es noch keine passende Anrede für intersexuelle Menschen gibt. "Im Detail sind sicher noch sprachliche Anpassungen erforderlich, um alle drei Geschlechter angemessen anzusprechen", so Gerschau. An der Hochschule umgehe man das Problem, indem man die Studenten statt mit "Sehr geehrter Herr/sehr geehrte Frau" mit "Studierende" anschreibe.

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